Sexuelle Belästigung an Universitäten: Kampf auf Kosten aller Beteiligten
Seite 2: Denkt keiner an die Frauen?
Was in den meisten Diskussionen rund um den "Dear Colleagues"-Brief und Title IX untergeht ist, dass die Universitäten, die angesichts der Drohung des Bundesmittelentzuges eher übervorsichtig sind, sich so unter Druck gesetzt sahen, dass sie in ihrem Bemühen, Opfern sexueller Übergriffe zu helfen, nicht mehr überlegten, dass ein Vorwurf nun einmal auch möglichst neutral untersucht werden sollte um zu vermeiden, dass aus einem Vorwurf eine Vorverurteilung wird.
Dieses Denken führte nicht nur dazu, dass viele männliche Studenten schon wegen simpler Vorwürfe die Universitäten verlassen mussten oder gingen weil sie die Situation auf dem Campus nicht mehr ertragen konnten, es ignorierte auch die (sexuelle) Selbstbestimmung von Frauen und Männern gleichermaßen.
Es gibt viele Fälle, die auch außerhalb der USA für Aufmerksamkeit sorgten - exemplarisch sei hier Emma Sulkowiczes "Matratzenperformance" genannt, die letztendlich immer wieder den beschuldigen Paul Nungesser mit einer Vergewaltigung in Verbindung brachte und von der Universität sogar als mutig angesehen wurde, während Paul Nungesser, obgleich sowohl die Universität selbst als auch später die Staatsanwaltschaft der Meinung waren, dass für eine Vergewaltigung keine Belege vorlagen, keinerlei Unterstützung durch die Universität erhielt. Eine Verhaltensweise, die der Universität eine Klage wegen sexueller Diskriminierung einbrachte, Paul Nungesser und die Universität einigten sich später auf einen Vergleich und die Universität gestand ein, die Auswirkungen auf Pauls Leben durch Emmas Performance unterschätzt zu haben.
Als einer der bizarrsten Fälle dürfte der des Studenten gelten, der im bewusstlosen Zustand oralen Sex durch seine Mitbewohnerin erfuhr und danach der Vergewaltigung bezichtigt und als schuldig der Universität verwiesen wurde.
Doch der eingangs erwähnte Fall ist ein Beleg dafür, wie gerade auch Frauen von den Folgen des neuen Title IX betroffen waren.
Sie wollen den Mann schützen, Sie arme Frau
Die Beteiligten in diesem fast schon Shakespearschen Drama sind eine begabte Tennisspielerin und ein ebenso begabter Footballspieler, die sich an der Universität kennenlernen, sich treffen und eine Beziehung eingehen. Zoe Katz und Matt Boermeester, beide über 21 Jahre alt, bildeten eines der Sportlerdreamteams und zeigten sich auch in der Öffentlichkeit als strahlendes Paar. Dass sie auch Spaß am Roughhousing hatten, wurde ihnen zum Verhängnis.
Unter "Roughhousing" wird spielerisches Raufen verstanden, das von Außenstehenden sicherlich falsch interpretiert werden kann. Genau dies passierte den beiden Verliebten, der stille Beobachter erzählte dies einem Mitbewohner, dieser erzählte es dem Trainer an der Universität und dieser ging damit zum "Title IX Büro", jenen inneruniversitären Behörde, die sich mit jeglichen Vorwürfen in Bezug auf den Title IX befasst.
Von da an ging alles einen fatalen Gang, sowohl für Matt, der nicht nur von seinem Footballteam ausgeschlossen, sondern auch von der Universität geworfen wurde, als auch für Zoe Katz, deren stetes Beharren darauf, dass sie niemals von Matt in irgendeiner Form missbraucht oder angegriffen worden war, als Lüge einer "misshandelten Frau", die sich vor dem Angreifer fürchte, abgehandelt wurde.
Die kafkaesken Auswirkungen des "Dear Colleague"-Letters zeigten sich darin, dass Zoe mitgeteilt wurde, sie dürfe die derzeitigen Anschuldigungen weder mit anderen Studenten besprechen, öffentlich ansprechen oder Kontakt zu Matt suchen. Sollte sie mit Personen sprechen, die sich ihr als Zeugen anböten, würde es auch zu Ermittlungen gegen sie und ggf. Sanktionen kommen.
Wie ernst es dem Title-IX-Büro ist mit diesen Regelungen, die ursprünglich Zeugenbeeinflussung verhindern sollten, war, zeigte sich daran, dass ein Kommentar von Zoe Katz via Twitter eine prompte Reaktion der Universität mit sich brachte. Deutlich wurde ihr nahegebracht, dass sie auf weitere Tweets verzichten solle. Sie hatte insofern kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, dass ihr Freund als jemand, der sie misshandelte und sie als misshandelte Frau bezeichnet wurden.
When I told the truth about Matt, in repeated interrogations, I was stereotyped and was told I must be a 'battered' woman, and that made me feel demeaned and absurdly profiled. I understand that domestic violence is a terrible problem, but in no way does that apply to Matt and me.
Zoe Katz hat insofern keine Möglichkeit mehr, selbst darüber zu bestimmen, mit wem sie auf dem Campus zusammen sein möchte und wie sie ihre Beziehung gestalten will bzw. darf nicht einmal Kontakt zu ihrem selbstgewählten Partner aufnehmen, wenn sie dies möchte, solange gegen ihn eine Title-IX-Untersuchung läuft.
Dies reduziert sie auf eine Frau, über die andere bestimmen. Es ist nicht selten, dass sich Opfer sexueller Belästigung oder Gewalt innerhalb von Beziehungen sogar für den Täter einsetzen, dennoch sollte ab einem gewissen Zeitpunkt die Forderung "Hört den Frauen zu bzw. glaubt ihnen", die gerade auch Feministinnen erhoben, ebenso für Frauen gelten, die sagen "es ist nichts passiert".