Seymour Hersh: Ukrainische Beamte sollen in erheblichem Ausmaß Hilfsgelder veruntreuen
Korruption in der Ukraine ist ein bekanntes Phänomen. Dass die US-Regierung nur halbherzig dagegen vorgeht, soll zu einem Zerwürfnis mit den Geheimdiensten geführt haben.
Es ist längst kein Geheimnis mehr: Die Ukraine hat ein Problem mit Korruption. Das Land habe in diesem Punkt "ein sehr schwieriges Erbe, ein sehr schlechtes Image", sagte kürzlich Michael Harms, Geschäftsführender Direktor des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, laut Deutscher Presse-Agentur (dpa).
Harms gehörte zu der Wirtschaftsdelegation, die Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf seiner Reise nach Kiew begleitete. Die Ukraine sei in dieser Frage inzwischen auf einem guten Weg, so Harms weiter. Und deshalb müsse die Politik nun Werbung für das Land machen, um Investitionen anzulocken.
Mit dieser Meinung war Harms nicht allein. Auch andere Mitglieder der Delegation äußerten sich positiv: Vor sieben oder acht Jahren sei Korruption noch ein entscheidender Faktor für den Verzicht auf Investitionen gewesen. Heute sei das anders, weil die Regierung in Kiew den Kampf dagegen sehr ernst nehme.
Der aktuelle Bericht des investigativen Journalisten Seymour Hersh lässt an dieser Darstellung Zweifel aufkommen. Nach einer Schätzung von CIA-Analysten seien 400 Millionen US-Dollar, die von den USA als Hilfsgelder zur Verfügung gestellt wurden, von ukrainischen Beamten veruntreut worden, heißt es in dem Bericht.
Die veruntreuten Gelder sollen für den Kauf von Diesel für die ukrainische Armee bestimmt gewesen sein. Die Ukraine habe billigen Diesel beim Kriegsgegner Russland gekauft und wohl zu deutlich höheren Preisen bei den US-Amerikanern abgerechnet.
Aber auch am Einkauf von Waffen verdienen die ukrainischen Beamten mit. Sie hätten in Polen, Tschechien oder am Persischen Golf Firmen gegründet, über die der Einkauf von Waffen und Munition abgewickelt werde. Andere Beamte seien bereit, in diesem Zusammenhang Schmiergelder von diesen Firmen anzunehmen.
Wie Hersh nun aus Geheimdienstkreisen erfahren haben will, sei das Thema Korruption im Januar bei einem Treffen von CIA-Direktor William Burns mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angesprochen worden. Burns Botschaft an Selenskyj hätte laut Hersh auch aus einem Mafiafilm der 1950er-Jahre stammen können.
Die ranghohen Generäle und Regierungsbeamten in Kiew waren verärgert über Zelenskys Habgier, so Burns gegenüber dem ukrainischen Präsidenten, weil er einen größeren Anteil des abgeschöpften Geldes einnahm, als an die Generäle ging.
Seymour Hersh
Die Reaktion von Selenskyj ist nicht überliefert. Aber Burns soll dem ukrainischen Präsidenten eine Liste mit 35 Generälen und hohen Beamten übergeben haben, deren Korruption der CIA bekannt gewesen wären.
Einige Tage später soll Selenskyj tatsächlich zehn Personen, die auf der Liste aufgeführt waren, entlassen haben. Ansonsten sei wenig unternommen worden. Und die Entlassenen hatten demnach offenbar keinen Grund zur Reue. "Die zehn, die er loswurde, prahlten schamlos mit dem Geld, das sie hatten, und fuhren in ihrem neuen Mercedes durch Kiew", habe ein Geheimdienstmitarbeiter Hersh gesagt.
Interessanter als die Korruption in der Ukraine ist allerdings etwas anderes: Weil das Weiße Haus zu lax mit diesem Thema umgehe, sei es "zu einem ‚totalen Zusammenbruch‘ des Vertrauens zwischen dem Weißen Haus und einigen Teilen der Geheimdienste" gekommen.
Ein weiterer Streitpunkt sei "die schrille Ideologie und das mangelnde politische Geschick von Außenminister Tony Blinken und dem nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan". Der Präsident und seine beiden wichtigsten außenpolitischen Berater lebten "in anderen Welten" als die erfahrenen Diplomaten, Militärs und Geheimdienstler, die dem Weißen Haus zugeteilt seien.
"Sie [Blinken und Sullivan] haben keine Erfahrung, kein Urteilsvermögen und keine moralische Integrität. Sie erzählen einfach Lügen und erfinden Geschichten. Diplomatische Bestreitbarkeit ist etwas anderes", sagte der Geheimdienstler.
Seymour Hersh
Was den Geheimdienstler dem Bericht zufolge am meisten aufstoßen dürfte, ist die scheinbare Konzeptions- und Führungslosigkeit der Regierung von Joe Biden in diesem Konflikt. Dem Hersh-Bericht zufolge bekommt sie die mutmaßliche Veruntreuung von Hilfsgeldern durch ukrainische Beamte nicht in den Griff.
Redaktionelle Notiz:
Unabhängig nachprüfen ließen sich die Aussagen in Hershs Bericht nicht. In diesem Fall offenbart sich ein grundsätzliches Problem: Geheimdienste und deren Mitarbeiter sind keine vertrauenswürdigen Quellen. In der Vergangenheit zeigte sich nicht nur einmal, dass Geheimdienste ihre eigene Agenda haben und danach trachten, Medien und Journalisten zu manipulieren.
Medien wie die Washington Post haben Regeln, wie Journalisten mit Informationen aus dem Dunstkreis von Geheimdiensten umgehen sollen. Eine Regel: Sie sollten der Öffentlichkeit mitteilen, was sie über ihre Quelle wissen und was nicht. Die potenzielle Enthüllung soll auch eingeordnet werden, um zu erkennen, ob sie eventuell Fake News ist oder Teil einer Kampagne. Das hat Hersh allerdings nicht getan.
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