Seyran Ateş und Efgani Dönmez wollen EU-Richtlinie zur Extremismusbekämpfung

Efgani Dönmez. Foto: Gianmaria. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Europäische Bürgerinitiative fordert Maßnahmenkatalog

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Die bekannte Berliner Anwältin Seyran Ateş hat nach der Eröffnung einer Berliner Reform-Moschee, die ihr Hunderte von Todesdrohungen einbrachte (vgl. Ein Gebet erschüttert die muslimische Welt), zusammen mit dem Österreicher Efgani Dönmez (der bei den Grünen ausstieg und jetzt auf der Liste von Sebastian Kurz kandidiert) und dem Softwareentwickler Sebastian Reimer die Europäische Bürgerinitiative (EBI) Stop Extremism gestartet, die unter anderem vom bekannten Berliner Psychologen Ahmad Mansour unterstützt wird (vgl. "Sind wir eure Kuscheltiere?").

Die Initiative diagnostiziert, "die letzten Jahre" hätten "gezeigt, dass wir den Kampf gegen den Extremismus auf die leichte Schulter genommen haben", weil inzwischen "kaum ein Tag vergeht an dem [wir] nicht von geplanten Terror-Attacken auf europäischem Boden lesen müssen, oder es gewalttätige Ausschreitungen von nie dagewesenem Ausmaß gibt." "Heute", so Ateş, Dönmez und Reimer, "steigt die Zahl der Anschläge in Europa mit islamistischem Motiv, es gibt bekennende Neo-Nazi-Gruppierungen in vielen EU-Ländern und es gibt linke Extremisten, die friedliche Demonstrationen in Gewalt und Schreckenskundgebungen verwandeln."

Um "ein friedliches Leben in Toleranz, Mitmenschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit" zu bewahren muss man den Initiatoren nach "handeln, bevor die Extremisten das Ruder an sich reißen." Dieses Handeln soll aus der Verabschiedung einer europäischen Anti-Extremismus-Richtlinie bestehen, die die Mitgliedsländer dann in nationales Recht umsetzen müssten. Diese Richtlinie soll neben einer "auf der EU-Grundrechtecharta basierenden Definition von Extremismus" Maßnahmen zum "verbesserten Austausch zwischen Behörden", Möglichkeiten zum Verhängen von Geldbußen und vereinfachten Kündigungen sowie einen vereinfachten Schadensersatz enthalten. Außerdem soll es eine "Warnliste" und ein "Europäisches Binnenmarktsiegel" gegen Extremismus geben. Wie ein ebenfalls gefordertes "erweitertes Impressum" aussehen soll, lässt die Initiative ebenso offen wie die Frage, wie man "eine Rückkehr von 'Foreign Fighters' in die Mitte der Gesellschaft" bewerkstelligen soll.

Handlungsbedarf und ungelöste Probleme

Dass es vor allem in Sachen Zusammenarbeit Verbesserungsbedarf bei der Extremismusbekämpfung gibt, zeigten erst gestern wieder neue Enthüllungen zum Berliner Weihnachtsmarktmassenmörder Anis Amri: Der hatte anscheinend doch einen tunesischen Reisepass, mit dem er vor seiner Tat abgeschoben werden hätte können - aber die Ermittler gaben diese Information nicht an die Ausländerbehörde weiter.

Ein anderes in den letzten Tagen bekannter gewordenes Problem ist, dass sich unter Extremismuswächtern selbst Extremisten verbergen können, wie der Fall zweier Linksextremisten deutlich macht, die lange Zeit für den "Störungsmelder" der politiknahen deutschen Wochenzeitung Die Zeit tätig waren und im Verdacht stehen, ihre Presseausweise dazu missbraucht zu haben, um Gewaltdrohungen gegen Journalisten wie Tim Pool, Lauren Southern, Luke Rudkowski, Marcus DiPaola und Max Bachmann zu organisieren. Das kam heraus, nachdem einer der Linksextremisten unter seinem Zeit-Pseudonym "Sören Kohlhuber" zur Verwüstung Hamburgs twitterte: "Jede Flasche, jeder Stein hat heute seine Berechtigung!"

Ein anderes Problem, wie man verhindern will, dass die von der Initiative geforderten Instrumente dazu missbraucht werden, um Regierungskritiker auszuschalten: Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan brandmarkt seine Gegner als "Terroristen" - und in Sozialen Medien in Deutschland heißt es inzwischen sarkastisch "Hate Speech" sei doch "klar definiert", nämlich als "alles, was Merkels Wiederwahl gefährdet".

Mindestens eine Million Wahlberechtigte aus mindestens sieben EU-Ländern muss unterschreiben

Eine Europäische Bürgerinitiative ist trotz des etwas irreführenden Namens kein Bürgerbegehren, das in eine Volksabstimmung mündet, sondern lediglich eine Petition mit besonderen formalen Voraussetzungen. Liegen die Unterschriften und die sonstigen formalen Voraussetzungen vor, dann muss sich die Kommission innerhalb von vier Monaten damit "befassen". Allerdings bleibt es ihr überlassen, ob sie die Initiative ablehnt und wie ausführlich sie eine Ablehnung begründet. Damit eine Bürgerinitiative von der EU-Kommission als EBI zur Kenntnis genommen wird, muss sie von mindestens einer Million Wahlberechtigten aus mindestens sieben EU-Ländern unterschrieben werden. Außerdem gibt es für die einzelnen Länder Quoren, die sich nach der Zahl der Abgeordneten im Europaparlament richten: Damit die Unterschriften aus Deutschland überhaupt mitzählen, müssen alleine dort mindestens 72.000 zusammenkommen. In Frankreich liegt das Quorum aktuell bei 55.500, in Italien bei 54.750 und in kleinen Ländern wie Estland, Malta, Luxemburg und Zypern bei jeweils 4.500 Unterschriften.

Dönmez kann den aktuellen Umfragen nach (in denen die Kurz-Liste mit etwa 30 Prozent klar führt) damit rechnen, sein Anliegen nach dem 15. Oktober auch über eine neue österreichische Regierung voranzutreiben. Ateşs Einfluss in Deutschland ist dagegen wesentlich geringer. In ihrer Ibn-Rushd-Goethe-Moschee im Dachgeschoss der evangelischen St. Johanniskirche in Moabit ließen sich bekanntere Politiker bislang nicht sehen, weshalb auf Twitter spekuliert wird, dass ihnen gute Beziehungen zum ankaragelenkten türkischen Religionsverein DITIB wohl wichtiger sind. Trotzdem gibt es inzwischen auch Pläne, in Köln und Freiburg liberale Moscheen nach ihrem Berliner Vorbild einzurichten.