Shutdown, Reduzierung der Sozialkontakte und Einhalten der sozialen Distanz

Seite 4: IV. Keine Berührungen im Gesicht

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Eine scheinbar selbstverständliche Forderung zur Eindämmung des Virus besteht in dem dringenden Rat, möglichst grundsätzlich Berührungen im Gesicht zu unterlassen. Die Medien sind voll mit Ratgebern, um diesem gefährlichen "Tick" Herr zu werden und sogar eine App wurde eigens entwickelt, die den Benutzer bei der Überwachung des Impulses zu Berührungen im Gesicht zu unterstützen verspricht.

Stellvertretend für viele beobachtete die Journalistin Sibylle Anderl im März:

Wirklich und tiefgreifend verstörend ist (...) die Erfahrung, wie wenig wir uns selbst unter Kontrolle haben, oder ganz konkret: Wie oft wir uns mit den Händen ins Gesicht fassen, obwohl wir nun mittlerweile alle wissen, dass wir das aktuell unter keinen Umständen tun sollten, sofern wir das Ansteckungsrisiko minimieren wollen.

Sibylle Anderl

Sie zitiert zwei Studien, die belegen, wie oft wir uns ins Gesicht fassen, sogar Krankenhauspersonal, und schließt ihre Überlegungen mit dem logischen Ratschlag: "Auf Händewaschen allein - empfohlene Dauer: 20 bis 30 Sekunden! - kann man sich da nicht verlassen, wenn man nicht den Tag am Waschbecken verbringen will. Bleiben also Achtsamkeit und Selbstdisziplin. Und die zu trainieren, kann ja im Grunde nicht schaden. Auch wenn es sehr, sehr schwer ist."

Einmal mehr zeigt es sich aber, dass viel zu wenig über die Natur des Menschen bekannt ist und wie wichtig es sich gerade bei der Entscheidung über Maßnahmen erweist, die so zentral und direkt in das Privatleben der Menschen eingreifen, die Natur des Menschen zu kennen. Der Haptikforscher Prof. Dr. Martin Grunwald von der Universität Leipzig, der auch Autor des Standardwerks "Homo Hapticus" ist, erklärte in einer Presseerklärung am 24. März die Hintergründe zu dem scheinbar manischen Tick des Menschen, den es abzustellen gilt:

Zwischen 400- bis 800-mal am Tag berühren wir unser Gesicht und in der Regel nehmen wir von dieser Bewegung, die circa 1,3 Sekunden dauert, keine Notiz. Selbstberührungen sind also eine sehr häufige Alltagshandlung; von allen Menschen, weltweit.

Martin Grunwald

Tatsächlich handelt es sich keineswegs um einen weitverbreiteten Tick, sondern im Gegenteil, Berührungen im eigenen Gesicht sind ein zentraler Bestandteil der menschlichen Natur: Studien zeigen, "dass die Hirnaktivität vor und nach einer spontanen Selbstberührung völlig verschieden ist. Das bedeutet, eine kurze und spontane Selbstberührung verändert die Aktivität des Gehirns in bestimmten Bereichen. Wir erklären diese Veränderungen damit, dass der kurze Berührungsreiz jene Hirnaktivität verstärkt, die für eine Stabilisierung des emotionalen Zustandes und zu einer Stabilisierung des Arbeitsgedächtnisses verantwortlich ist. Selbstberührungen sind demnach der Versuch des Organismus, nach oder während einer psychischen Irritation wieder einen Zustand der psychischen Balance herzustellen."

Daher warnt Grunwald dringend ganz entgegen dem öffentlichen Tenor: "Spontane Selbstberührungen sind neurobiologische Regulationsprozesse des Organismus auf der Basis einer akuten Bedarfssituation." Stattdessen gibt er einen eigenen Rat: "Mentale Kontrollversuche sollte man also besser für das aktive und intensive Händewaschen nutzen."

Staatliche Passivität

Die massiven Schäden an Körper und Seele durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus können niemanden überraschen, der sich über die Natur des Menschen im Klaren ist. Gerade weil aber massive Nebenwirkungen zu erwarten sind und waren, ist eine möglichst genaue Kenntnis über deren Ausmaß für eine abgewogene Politik zwingend notwendig, die Verhältnismäßigkeit groß schreibt.

Eine Presseanfrage des Autors an das Bundesgesundheitsministerium, welche Studien das Ministerium bzw. die Regierung in Auftrag gegeben habe, um die Auswirkungen der Maßnahmen einschätzen zu können bzw. auf die Kenntnis welcher Studien sich bei der Entscheidung der bisherigen Maßnahmen gestützt wurde, blieb unbeantwortet. Eine vom Bundesforschungsministerium bezahlte, auf neun Monate angelegte Studie zur psychischen Gesundheit startet erst jetzt.

Leider mangelt es nicht nur an ausreichender Forschung, sondern auch an einer Gesundheitspolitik, die ganz bewusst auch die psychischen und physischen Konsequenzen der Maßnahmen in Blick nimmt und darauf reagiert, anstatt es nur bei Appellen an die Solidarität und das Durchhaltevermögen der Menschen zu belassen. Ganz in diesem Sinne hat "Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde" Anfang September eine "übergeordnete Public Health-Strategie" gefordert. Der Journalist Joachim Müller-Jung stellt in der FAZ (30. September 2020) ernüchtert fest: "Die 'dritte Welle' in der Pandemie scheint unaufhaltsam. Es ist die der psychischen Leiden. Sie trifft junge Leute genauso wie Erwachsene. Warum bleibt der Staat so passiv?"

Der dritte und letzte Teil der Artikelserie befasst sich mit den psychischen Nebenwirkungen der Schutzmaske.

Benutzte Bücher: Bartens, Werner: Berührung. Grunwald, Martin: Homo Hapticus. Keltner, Dacher: Born to be good. Thadden, Elisabeth von: Die berührungslose Gesellschaft.

Von Andreas von Westphalen ist im Westend Verlag das Buch erschienen: "Die Wiederentdeckung des Menschen. Warum Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen"

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