Sicherheitskonferenz und Anti-Nato-Proteste: Klarheit vor Einheit

Antikapitalistischer Block beim Protest des Aktionsbündnisses gegen die Nato-Sicherheitskonferenz in München. Foto: Claudia Wangerin

Kriegsrat im Münchner Luxushotel Bayerischer Hof: Warum es drei verschiedene Gegendemos gab – und wieso "Rinks gleich Lechts" nicht aufgeht.

Wenn die ukrainische Regierung von ihren westlichen Verbündeten Streumunition und Phosphor-Brandwaffen fordert, wird "umstritten" bei der ARD zum Synonym für "völkerrechtlich geächtet". Letzteres sind solche Waffen zwar, aber man kann ja scheinbar darüber streiten. Jedenfalls berichtete das ARD-Portal tagesschau.de am Samstag mit beiden Formulierungen über den Vorstoß des ukrainischen Spitzenpolitikers Olexander Kubrakow:

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat sich der ukrainische Regierungsvize Kubrakow dafür ausgesprochen, dass die Ukraine umstrittene Waffen einsetzen darf – darunter auch Streumunition. Deren Gebrauch ist völkerrechtlich geächtet.


tagesschau.de

Kubrakow hatte bei der Konferenz im Luxushotel Bayerischer Hof dafür plädiert, auf eigenem Staatsgebiet Streumunition und Phosphor-Brandwaffen gegen russische Truppen einsetzen zu können. Russland setze solche Waffen bereits gegen Ukrainerinnen und Ukrainer ein – und die USA sowie etliche andere Verbündete besäßen Millionen von Schuss davon. Eines Tages würde die Ukraine vielleicht ohnehin solche Munition bekommen.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba verwies darauf, dass sein Land ja keine Vertragspartei des Übereinkommens über das Verbot dieser Waffen sei. "Rechtlich gesehen gibt es dafür also keine Hindernisse", versuchte er Bedenken zu zerstreuen, die in diesem Fall selbst Grünen-Politiker wie Anton Hofreiter anmeldeten, die sich bisher vehement für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hatten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erteilte dem neuesten Waffenwunsch dann auch erst mal eine Absage.

Manche, die am Samstag in München gegen die Konferenz auf die Straße gingen, befürchten aber angesichts der Schützengrabenmentalität und der Diplomatieverachtung in großen Teilen der politisch-medialen Öffentlichkeit schon bald den nächsten Dammbruch.

Kritik an "zweierlei Völkerrecht" – die linke Demo

Den ARD-Bericht über "umstrittene" Waffen, die eigentlich geächtet sind, kritisiert Sevim Dagdelen (Die Linke) als Verharmlosung – das Reden von einem "gerechten Frieden", der gefährdet werde, wenn es einen Waffenstillstand gibt, nennt sie "gemeingefährlich". Die Bundestagsabgeordnete ist nicht zur Sicherheitskonferenz in die bayerische Landeshauptstadt gereist, sondern als Hauptrednerin der linken Gegendemonstration unter dem Motto "Verhandeln statt Schießen – Abrüsten statt Aufrüsten". Es gab noch zwei weitere Gegendemonstrationen, aber dazu später.

"Wer so redet, der kann nicht wirklich daran interessiert sein, dass dieser Krieg endet. Das Töten muss aber beendet werden", sagte Dagdelen auf dem Münchner Marienplatz unter Applaus. "Jetzt!" Wenn die Ukraine geächtete Waffen wolle, schere sie sich selbst nicht um das Völkerrecht – und für Nato-Staaten wie die Türkei gelte das Völkerrecht offenbar sowieso nicht.

Sie selbst habe die Bundesregierung gefragt, "wie sie denn die türkische Invasion in Afrin gegen die Kurden in Syrien 2018 beurteilt". Die Antwort bringe "die ganze zynische Verlogenheit ans Tageslicht", befand sie und zitierte: "Die Bundesregierung verfügt weiterhin nicht über das zur abschließenden völkerrechtlichen Einordnung des türkischen Vorgehens in der nordsyrischen Region Afrin nötige Lagebild."

Und das, obwohl die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags in einem Gutachten schon 2018 einen deutlichen Hinweis auf die Völkerrechtswidrigkeit der türkischen "Operation Olivenzweig" gegeben hatten. Immer noch kein Lagebild. "Nach fünf Jahren, das muss man sich einmal vorstellen", betonte Dagdelen am Samstag in München.

Wir verstehen jetzt, dass es zweierlei Völkerrecht gibt: Eines für Nato-Staaten und eines für die anderen. Wer aber so handelt, macht aus dem internationalen Recht einen Steinbruch für die eigenen finsteren geopolitischen Absichten und Pläne.


Sevim Dagdelen

Der türkisch-kurdische Konflikt war neben dem Ukraine-Krieg ein Schwerpunkt der Demonstration des linken Aktionsbündnisses gegen die Nato-Sicherheitskonferenz. Insgesamt war die Ausrichtung dieses Protests betont internationalistisch und antirassistisch. Mehrfach war auf Schildern und Transparenten "Gegen Putin und die Nato" oder "Weder Putin noch die Nato" zu lesen.

Türkische und kurdische Linke waren hier stark vertreten. Neben Fahnen mit dem Logo der Föderation der Demokratischen Arbeitervereine (DIDF), die von Lohnabhängigen aus der türkischen und kurdischen Community gegründet wurde, waren mehrere Flaggen der syrisch-kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) zu sehen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde hier als Kriegsverbrecher und "Kurdenmörder" bezeichnet, der verbotene Chemiewaffen einsetze. Eine unabhängige internationale Untersuchung dazu steht noch aus und wurde im Oktober bereits von der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW gefordert. In der Türkei wurde im Januar die Forensikerin Sebnem Korur Fincanci zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten (teils zur Bewährung) verurteilt, weil sie starke Indizien für Chemiewaffeneinsätze sieht, dies öffentlich gesagt und ebenfalls eine Untersuchung gefordert hat. Dergleichen gilt im Nato-Partnerstaat Türkei als "Terrorpropaganda" für kurdische Organisationen.

Ein Vertreter der Gruppe "Defend Kurdistan" hielt auch am Samstag auf dem Münchner Marienplatz einen Redebeitrag. Weitere kamen von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen (IMI) und dem Klimagerechtigkeits-Netzwerk Extinction Rebellion (XR). Auch diese Redebeiträge zeigten deutlich den Unterschied zwischen linker und rechter Kritik an der "Siko": Einer richtete sich gegen gewaltsame Migrationsabwehr, der andere gegen Aufrüstung auf Kosten des Klimaschutzes.

Die IMI-Vertreterin sprach über die Toten des europäischen Grenzregimes und gewaltsame "Pushbacks" der Grenzschutzagentur Frontex – statt dieser rechtswidrigen Praxis müsse es sichere Fluchtwege für Menschen in Not und ein Recht auf Bewegungsfreiheit geben, betonte sie.

Der XR-Beitrag war eine Art Rollenspiel: Zwei Aktive stellten eine Diskussion zwischen einer vermeintlichen "Klimahysterikerin" und einem "Normalo" nach, in der es darum ging, ob das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr nicht sinnvoller angelegt wäre, wenn es gleich für effektiven Klimaschutz eingeplant würde.

Die Diskutantin zählte dazu Prognosen aus dem Bericht des Weltklimarats auf, der davon ausgeht, dass große Teile der Erde im Jahr 2100 unbewohnbar sein könnten – und zitierte theoretische Einsichten aus dem Weißbuch 2016 des Bundesverteidigungsministeriums.

"In Verbindung mit Ressourcenknappheit und demographischem Wachstum wirken klimatische Veränderungen insbesondere in Regionen fragiler Staatlichkeit zusätzlich destabilisierend und konfliktverstärkend", heißt es darin. Staatsversagen, gewaltsame Auseinandersetzungen und Migrationsbewegungen wären die Folge. Die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele sei deshalb auch im wesentlichen Sicherheitsinteresse Deutschlands.

Die traurige "Pointe" des Rollenspiels: Es müsse wohl dafür demonstriert werden, dass Regierende diese theoretische Einsicht aus einer Zeit, in der das Verteidigungsministerium noch in CDU-Hand war, ernst nehmen.

Zum Ukraine-Krieg bezieht XR keine Position. Das Netzwerk agiert selbst gewaltfrei, besteht aber nicht ausschließlich aus Pazifisten. Beide Einzelpersonen auf der Bühne wollten aber betonen, dass sie den russischen Angriffskrieg verurteilen und das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ganz entschieden anerkennen.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat andere Prioritäten. Er betonte am Samstag im Bayerischen Hof: "Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen." Deutschland werde sie dabei unterstützen, "so lange, wie es nötig ist". Dass ihm 100 Milliarden als Sondervermögen für die Bundeswehr nicht reichen, hatte Pistorius schon Ende Januar klargestellt. Bis zu 300 Milliarden stehen seither zur Debatte.

Die linke Demonstration gegen die "Siko" war zahlenmäßig die "mittlere" – das Organisationsteam sprach von bis zu 5.000 Beteiligten, die Polizei nur von rund 2.700.

"Unser Land zuerst" – die stramm rechte Demo

Die kleinste Gegenkundgebung war von der AfD und dem Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer organisiert worden und fand ab 11 Uhr mit nicht einmal 250 Teilnehmern unter Polizeischutz am alten Botanischen Garten statt. Dagegen protestierten rund 300 Menschen, von denen einige später zur linken Anti-Siko-Demo gingen.

Die Reden auf der AfD-Kundgebung wurden teilweise mit Sprechchören wie "Hinter dem Faschismus steht das Kapital – der Kampf um Befreiung ist international" und "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda" übertönt. Zu verstehen war von den Elsässer- und AfD-Reden dennoch, dass "Deutschland zuerst" kommen müsse – und dass das deutsche Volk preiswertes Gas aus Russland brauche. Außerdem sei man natürlich kein Nazi; überhaupt sei es eine Frechheit, als "Konservativer" so bezeichnet zu werden.

"Unser Land zuerst" und "Nord Stream 2 statt Gasumlage" stand auch auf Schildern und Plakaten. Natürlich fiel auch der eine oder andere Satz darüber, wie schlimm es sei, dass 2015 so viele "illegale Migranten" ins Land gelassen worden seien. Deutschland erschien hier insgesamt als armes Opfer, das endlich mal an sich selbst denken muss. Wer aus Kriegsgebieten flieht, soll hier bloß keine Solidarität erwarten, so die Botschaft; abgesehen davon, dass Deutschland nicht immer nur den Interessen der USA dienen solle.

Wer sich ernsthaft gefragt hatte, was denn die Unterschiede zwischen linker und rechter Nato-Kritik seien, musste sich nur diese Kundgebung und danach die Demonstration des linken Bündnisses anschauen. Zwischen "Deutschland zuerst" und dem deutsch-kurdisch-türkisch-internationalistischen Protest liegen Welten. Das ist sicher nicht die Zielgruppe, mit der Elsässer eine "Querfront" bilden könnte oder wollte.

Dass in beiden Milieus ein direkter Krieg zwischen der Nato und Russland als eher schlechte Idee gilt, ist nicht viel mehr als ein nicht vorhandener Todeswunsch. Das reicht als Gemeinsamkeit nicht für einen "Rinks gleich Lechts"-Vorwurf, wie in manche Medien in der Vorab-Berichterstattung erhoben hatten.

"München steht auf" – die rechtsoffene Demo

Die größte Demonstration des Tages konnte allerdings die Initiative "München steht auf" für sich verbuchen – ein irgendwie nach allen Seiten und somit auch nach rechts offener Zusammenschluss aus dem Spektrum der Corona-Maßnahmengegner, die seit einiger Zeit ein neues Betätigungsfeld suchen. Als bundesweit bekannte "Zugpferde" traten dort der frühere CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer (heute "Team Todenhöfer") und Ex-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm, gegen den gerade ein Ausschlussverfahren in der Partei Die Linke läuft, auf.

Zu dieser Kundgebung auf dem Königsplatz kamen am Samstag nach Polizeiangaben rund 10.000 Menschen. Dehm gab auf seiner Facebook-Seite allerdings die Teilnehmerzahl mit 16.000 an. Etliche Deutschland- und Russlandfahnen waren dort neben Friedenstauben zu sehen. Besonders viele Schlagzeilen machte hier ein Dehm-Zitat über "ukrainische Killerbanden und Nazi-Faschisten". Er selbst verbreitete im Anschluss ein Video von seiner Gesangseinlage unter dem Motto "Ami go home".

Auch einige Teilnehmer der AfD-Kundgebung am späten Vormittag hatten sich hier ab 13 Uhr angeschlossen. Die Offenheit hierfür war auch der Hauptgrund, warum das linke Aktionsbündnis nicht mit den Veranstaltern kooperieren wollte. Hier bestand ihrer Meinung nach wirklich eine Querfront-Gefahr; sie entschieden sich deshalb für Klarheit vor Einheit.

Hass auf "Lumpenpazifisten" – die "Pro"-Demo

Last not least gab es aber auch noch eine "Pro"-Kundgebung zur Sicherheitskonferenz, bei der unter anderem der Grüne Anton Hofreiter und die Vorsitzende Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann sowie ukrainische Siko-Besucher sprachen. Sie fand mit rund 1.000 Beteiligten und zahlreichen Ukraine-Fahnen auf dem Odeonsplatz statt – die linke Demonstration lief hier auf dem Weg zum Marienplatz vorbei und wurde prompt mit Sprechchören wie "Lumpenpazifisten, geht zu Putin!" beschimpft.

Das muss dann wohl diese ausgewogene "Mitte" gewesen sein.