Sie haben es getan: Verantwortung für Österreich

Seite 2: Die Sicht der Grünen

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Der Grünenchef Werner Kogler braucht eine verdächtig lange Vorrede, bevor die grüne Handschrift des Koalitionsvertrages herausarbeiten kann. Leicht habe man es sich nicht gemacht, aber es habe eben keine anderen Möglichkeiten gegeben. Er wünsche sich, dass die Kompromisse nicht voreilig denunziert werden würden. Dialogbereitschaft und Kompromisskultur seien schließlich wichtig für das Land.

Ein Antikorruptionspaket habe man geschnürt, wie es seit Jahrzehnten keines gegeben habe. Alle aktuellen Affären um Parteienfinanzierung und Ämtervergabe seien studiert worden um daraus die entsprechenden Konsequenzen mittels neuer Transparenz ziehen zu können. Die alten Zöpfe der Bürokratie sollen abgeschnitten und das Amtsgeheimnis durch eine Informationsfreiheit ersetzt werden. Endlich soll der Rechnungshof in die Parteikasse blicken dürfen.

Sehr schön, fast möchten man meinen: zu schön. Wie dies gegenüber den Behörden durchgesetzt werden soll, kann Kogler noch nicht sagen und auch von Sanktionsmöglichkeiten schweigt er. Um das Paket weht der Hauch der Utopie, der alles fordert, was sich die Menschen im Land wünschen. Gut möglich, dass die alten Haudegen der ÖVP, die seit Jahrzehnten mitregieren und die Lage in den Behörden gut kennen, dem kleinen Koalitionspartner gerne beim Anlegen dieses mühlsteingroßen Kragens geholfen haben und ihm jetzt viel Glück bei den ersten Schwimmversuchen wünschen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit dem Grünen Werner Kogler, dem künftigen Vizekanzler. Bild: bundespraesident.at

Bei Wirtschaft und Finanzen, meint der Volkswirt Kogler, habe man sich überraschend stark angenähert. Den EU-Mercosur-Vertrag mit Südamerika lehne man gemeinsam ab. Der frühere Finanzminister Hartwig Löger haben richtige Schritte gesetzt beim Versuch, endlich eine ehrliche Besteuerung für internationale IT-Konzerne zu erreichen. Auch den Steuerbetrug wolle man endlich konsequent bekämpfen. Aber ach, das meiste ginge nur auf europäischer Ebene und da der Finanzminister aus der ÖVP kommt, wird man hier vermutlich noch ein wenig auf Erfolge warten müssen. Die Ankündigungen stimmen zwar frohgemut, wurden allerdings bereits periodisch von den Konservativen angestimmt - ohne jede praktische Konsequenz.

Dann kommt Kogler zum Filetstück, das auch kühne Erwartungen übersteigende Klimaschutzprogramm. Er weiß, dass die zahlreichen türkisen Kröten von den grünen Anhängern nur dann geschluckt werden, wenn er hier üppige Erfolge verkünden darf. Eine ökosoziale Steuerreform würde jetzt endlich kommen. In kleinen Schritten schon bald, in größeren ab 2022. Zuvor schien es, als habe Kurz mit dem ÖVP-Mantra: "keine neuen Schulden, keine neuen Steuern" ohnehin allen grünen Ambitionen das Wasser abgegraben. Werner Kogler reagiert darauf aber semantisch feinsinnig.

Niemand solle der lange von den Konservativen bekämpften Ökosteuer vorwerfen, sie mache alles teurer, denn das Ziel einer allgemeinen Steuersenkung würde auch von den Grünen mitgetragen werden. Es seien aber eben auch die Pariser Verträge zum Klimaschutz zu erfüllen, deswegen müssten sinnvolle Investitionen gemacht werden. Vielleicht - insbesondere wenn es zu einer neuerlichen Wirtschaftskrise komme - auch unter Zuhilfenahme neuer Schulden und Kogler sieht hierfür bei der Einhaltung der EU-Neuverschuldungskriterien Spielraum.

Auch könne Lenkung ohne Steuern erzielt werden, durch entsprechende Abgaben. Die ÖVP könne ihr Steuersenkungs-Gesicht wahren und trotzdem könnten neue Gelder eingezogen werden. Marktwirtschaftliche Anreize sollen geschaffen werden, in dem die großen "Dieselstinker" teurer würden und emissionsarme Autos billiger. Auch das Fliegen würde verteuert werden und der Bahnverkehr verbilligt. Fahrräder, Nahverkehr, um alles wolle sich diese Regierung nun mehr kümmern. Jeweils mit betont sanften Verteuerungen und mit teils großzügigem Zeitrahmen versehen.

Das "Eine Million Dächer Programm" und vieles mehr würde die Konjunktur ankurbeln durch Investitionen, die Österreich von den fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien führen würden. Den Häusern sollen "Mäntel" durch bessere Dämmung angelegt werden und sie sollen zu Kraftwerken umgebaut werden. Alles - keine Angst - aber nur bei Neubauten, in die alten Systeme greife man nicht ein.

Das klingt nach dem Programm des als "nachhaltig" gelabelten Wirtschaftens, dem sich gewisse finanzstarke Kreis ohnehin schon zugewendet haben. Ein tiefgreifendes Umdenken verlangt dies alles nicht, es ist letztlich eine Politik der kleinen und vielleicht wohl auch sinnvollen Schritte. Immerhin.

"Das Beste aus beiden Welten"

Ganz offenkundig wollten die beiden Parteien Kompromisslösungen finden, die den sogenannten "faulen Kompromiss" umgehen, den das großkoalitionäre Österreich jahrzehntelang erprobte und die der SPÖ und ÖVP stets das Gefühl gaben, die eigenen Themen niemals durchbringen zu können. Deswegen jetzt eine Aufteilung: Mal fährt die eine Seite den Erfolg ein, mal die andere. Hier bedarf es allerdings einer gewissen geistigen Spaltungsfähigkeit, denn beim Blick auf die Politik, die man für grundfalsch hält, muss jedes Mal sofort an ein anderes Politikfeld zum Trost gedacht werden. Ob dieser innere Spagat den Abgeordneten und Parteimitgliedern immer gelingen wird, ist sehr fraglich.

Dass beide Seiten sich politisch und menschlich nicht mögen, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Vom Harmoniegeschwafel der letzten Koalition nahm man auch Abstand und redete lieber von Verantwortung, das klingt mehr nach Selbstdisziplin und Zwang. Deswegen kommt es letztlich auch auf die Länge des Dolches an, der dem "Koalitionspartner" hinter den Rücken gehalten wird.

Hier gibt es nun ein Szenario, bei dem die Grünen die ÖVP ordentlich aufs Kreuz gelegt hätten: Sicherheit und Anti-Islam sind keine "Zukunftsthemen" und die Volkspartei hat sich damit in ein Eck betoniert, das kaum Gestaltungsraum bietet. Man könnte zwar mit großem Getöse auf allfällige Anschläge reagieren. Nur wenn diese ausbleiben? In Österreich gab es ohnehin keine nennenswerten Vorfälle. Was an Schrecklichem geschah und gerne als Argument herbeigezogen wird, war letztlich die Rassifizierung von Familiendramen und von Taten verwahrloster psychisch Kranker. Viel eher machten in den letzten Jahren weltweit vor allem Rechtsradikale mit ihren Anschlägen Furore. Ein tägliches Betonen wie erfolgreich die Law-and-Order-Strategie der ÖVP sei, dürfte irgendwann einmal schal werden.

Dies stimmt allerdings nur, wenn eine fortschreitende Vergiftung der Öffentlichkeit verhindert werden kann, an der die ÖVP letztlich auch kein Interesse haben dürfte. Nur wenn die 37%-Partei versteht, dass sie nicht einzig ihre "Erfolge" in der Verschärfung des gesellschaftlichen Krisendiskurses suchen darf, so wie bereits unter türkis-blau neurotisch alle Themen auf den Dauerheuler "Ausländer" zurückgeführt wurden, könnte der Plan der Grünen aufgehen und der Umbau zu einer ökologischeren Gesellschaft gestartet werden.

Dies wird aber wohl eher eitler Traum bleiben, denn das gemeinsame Programm zeigt vor allem, wie sehr das Primat der Wirtschaft die Gesellschaftsordnung im Griff hat. Jeder grüne Sympathisant an der Basis könnte die Gründe herunterbeten, warum sich eine Fabrik nicht "nachhaltig" betreiben lässt und weshalb am Profit orientiertes Wirtschaften immer die Vernichtung von Ressourcen beinhaltet und die Ausbeutung von Arbeitskraft. Ökonomie und Ökologie lassen sich sicherlich verbinden, nur eben nicht diese Ökonomie.

Die Belege für das Scheitern der Versöhnung von Profit und Natur sind Legion: Noch nie gab es so viele SUV-Anmeldungen, Anstieg der Flugreisen, immer größere Berge Plastikmüll, Zuwachs an CO²-Ausstoß, beinahe zweitausend Kohlekraftwerke sind im Bau befindlich und das bestbewerteste Unternehmen an der Börse ist nicht Apple, sondern ein saudischer Mineralölkonzern. Man kann nicht unbedingt sagen, die Menschheit reagiere auf die Zeichen der Zeit.

Die grüne Bewegung wirkt dementgegen zahm. Auch hat die Industriemafia längst den Hammer an die Kniescheiben der Grünen gelegt und das Wort "Verbotspartei" draufgeschrieben. Die Drohung wurde verstanden. Birgit Hebein, die Vorsitzende der Wiener Grünen und ehemals linkes Aushängeschild, meint die Grünen hätten eben "dazugelernt" und Verbote kommen nicht gut an. Kombiniert mit dem letztlich immer noch aufrechten Dogma der Konservativen, keine neuen Steuern zu machen und die Wirtschaft nicht "abwürgen" zu dürfen, kann summiert werden, dass der Gestaltungsspielraum der Grünen äußerst winzig ist.

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