Sie haben es getan: Verantwortung für Österreich

Seite 3: Gewinner und Verlierer

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Strategisch kann sich die Koalition allerdings zur Katastrophe für die Grünen auswachsen und damit auch für die österreichische Linke, der die Grünen immer noch nominell angehören. Kurz hingegen darf sich in einer Win-Win-Win Situation wähnen. Erstens gelingt ihm die nachträgliche Legitimation seiner letzten Regierung, die unter Beteiligung von Rechtsradikalen und möglicherweise sogar Straftätern zu Stande kam. Davon wird nun kein Wort mehr die Rede sein, denn die Grünen müssen letztlich um des Koalitionsfriedens willen mithelfen, die Aufarbeitung der türkis-blauen Koalition zu verschleppen und zu verzögern. Bereits bei der Präsentation des Koalitionsprogramms war Kogler ganz auf die Linie eingeschwenkt, alle Schuldzuweisungen an die FPÖ zu schicken.

Zweitens hat Kurz nun eine Regierung mit einem schwachen Juniorpartner, der gerademal ein gutes Drittel der Stimme der ÖVP hat und weder über einen vergleichbaren Parteiapparat verfügt (die Grünen haben in Österreich nur wenige tausend Mitglieder), noch Erfahrung in Bundesregierungsdingen besitzt. Und drittens wird ein potenzieller Gefahrenherd für die ÖVP mit Stumpf und Stiel ausgemacht, denn insbesondere in den Städten, aber auch am Land, sind die Grünen unter jungen konservativen Wählern attraktiv. Kurz kann jetzt die Abtrünnigen lehren, dass letztlich doch nur das Original zählt.

Lose-lose-lose kann es schnell bei den Grünen heißen. Wenn es der "neuen ÖVP" (eine Formulierung, derer sich jetzt auch Werner Kogler bedient und der damit auf den ÖVP-Spin eingeht) gelingt, das Spardiktat weiter durchzusetzen und als ökonomisch vernünftig darzustellen, dann sind alle Ökobestrebungen der Grünen schnell abgeblasen. Die grünen Klimaziele konnten bei der Präsentation des Koalitionspapiers schon nur durch semantische Spitzfindigkeiten am Leben gehalten werden, was kein besonders hoffnungsfroher Start ist.

Die Zugeständnisse an die ÖVP könnten noch schwer ins Gewicht fallen. Gerade bei den Grünen, deren Sympathisanten als sehr informiert und kritisch gelten. Die anstehenden Wienwahlen können schnell zum Debakel werden, wenn die tendenziell eher linken und rebellischen Grünen in der Großstadt ihre Stimmen verweigern. Flügelkämpfe und sogar Spaltung drohen.

Am schlimmsten könnte sich aber auswirken, dass die Grünen das Momentum, das sich durch Klimakrise und Fridays for Future aufgebaut hat, nun verlieren könnten. Die Grünen hätten mit der Authentizität vieler Jahrzehnte in der Umweltbewegung diese Protestwelle nutzen und mitgestalten können. Jetzt schauen sie durch die Fenster der Ministerien herab auf die Demonstrationszüge und müssen sich überlegen, wie sie das Erreichen von Minimalzielen "verkaufen".

Orientierung am Möglichen

Dementgegen: Was hätten die Grünen denn machen sollen? Eine rot-grüne Bundesregierung steht in weiter Ferne, insbesondere dank der Orientierungslosigkeit und inneren Zerrüttung der SPÖ und würde wohl auch von dem bis auf das Blut rechten Boulevard in Österreich bekämpft werden, der jetzt die Grünen wird akzeptieren müssen. Linke Lösungsansätze werden zwar allgemein durchaus geglaubt und geschätzt, sind dann aber an der Wahlurne doch nur sehr selten mehrheitsfähig. Es braucht offenbar lange Vorarbeit.

So ist der Blick auf die Geschichte der Grünen ein Vexierbild. Es ist einerseits ein beachtlicher Erfolg, die Umweltthematik im allgemeinen Bewusstsein verankert zu haben, und gleichzeitig ist es angesichts von jährlich steigendem Schadstoffausstoff und immer irrsinnigerer Industrieproduktion nicht ganz falsch zu sagen, die Umweltbewegung habe letztlich nichts erreicht. Das sukzessive Aussparen der "Systemfrage" wurde von den konservativen Kreisen wohlwollend goutiert. Grüne ließen sich, einmal an der Regierung, gerne abspeisen mit ein paar ökologischen Glanzbildchen, die man sich ins Poesiealbum kleben durfte, wie etwa der Einführung von Dosenpfand in Deutschland. Dass die Grünen in Österreich mehr erreichen werden, ist mehr als ungewiss.

Mit dem Vizekanzler Kogler und dem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen stellen die Grünen nun bald zwei Spitzen des Staates und zugleich scheint die Bewegung ihren gesamten Élan vital verloren zu haben. Einst angetreten, um die Gesellschaft zu verändern, werden sie nun einfach die vorgeformten Positionen übernehmen und entsprechend ausfüllen.

Die Vorherrschaft der Ökonomie konnte nicht bekämpft werden, sondern wurde nur etwas grün gewaschen. Weil in Wahrheit im k. und k. Beamtenstaat nichts profitabel ist und alles subventions- und förderungsabhängig, werden auch die Grünen versuchen müssen, an die Sweet Spots der ministeriellen Zuwendungstöpfe zu kommen. Damit können sie sicherlich ein wenig gesellschaftspolitisch gestalten und Initiativen fördern, die für eine plurale und gerechte Gesellschaft kämpfen. Tiefer Wandel wird so nicht möglich sein.

Gerade die endgültige Verknöcherung von Van der Bellen im Präsidentenamt muss hier Mahnung sein. Der gab nämlich als Losung aus: "Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht." Jedes linke Gewissen weiß, dass an diesem Satz alles falsch ist. Der totalitäre Terror wohnt im Konsens und auf den sollte man sich niemals einlassen. Eher müssten die Auffassungsunterschiede in einer freien Gesellschaft herausgearbeitet werden und bewahrt bleiben. Dass Kogler sich das präsidiale Sprüchlein zu eigen macht, lässt Schlimmes befürchten.

Visionär für Europa könnte die Koalition dann in dem üblen Sinn sein, dass sich die linke Opposition nach dem Scheitern der eigenen Ökologisierungsinitiativen und den daraus erwachsenden möglicherweise katastrophalen Folgen, dazu breitschlagen lässt, beim rechten Programm der Flüchtlingsabwehr und dem "Heimatschutz" mitzumachen.

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