"Sie konnten Ihre Identität nicht nachweisen"

Seite 2: Vorschrift ist Vorschrift ist Vorschrift

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In der Postfiliale unserer Tage muss niemand mehr Briefmarken ablecken wie die Zofe bei Alice Guy, seit das selbstklebende Markenset erfunden wurde, aber unangenehm kann es trotzdem werden. Theoretisch trennten mich noch zwei Schritte von meinem DHL-Paket. Ich musste meinen Ausweis vorzeigen und die Empfangsbestätigung unterschreiben. In der Praxis war ich gerade dabei, in zwei Identitäten zu zerfallen, in Peter Schlemihl und seinen Schatten, in Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Jean Durand, der Slapstick-Spezialist der Gaumont, drehte 1912 seine ganz eigene Version von Stevensons Geschichte. Der acht Minuten lange Film heißt Onésime contre Onésimeund ist ein Labor zum Ausprobieren der Doppelbelichtung. Onésime hat einen Doppelgänger, die böse Hälfte seiner Persönlichkeit, der sich von ihm abspalten, wieder mit ihm verschmelzen und ihm das Leben zur Hölle machen kann. Am Ende reißt der eine Onésime den anderen in Stücke. Manchmal bei Durand ist die Komödie nicht die Schwester der Tragödie, sie verwandelt sich in diese.

Onésime contre Onésime

Ganz so schlimm wurde es bei mir nicht. Eine Abspaltung aber, die fand schon statt - jedenfalls in der Welt, in welcher der Jugendschutz regiert, oder was sich dafür ausgibt (auch nur ein Doppelgänger, würde ich sagen, ein aus dem Geist des Aktenschranks geborenes Regelmonster). Laut Personalausweis bin ich Johann Michael Schmid. Der Empfänger des Pakets war ein gewisser Hans Schmid. Ich bestelle immer als Hans Schmid, ganz automatisch, weil ich mit diesem und keinem anderen Namen durch mein bisheriges Leben gelaufen bin. Konnten Hans und Johann Michael ein und dieselbe Person sein? Bei Entscheidungen dieser Tragweite waren der Angestellten in der Postfiliale die Hände gebunden. So etwas überstieg ihre Kompetenzen. Sie musste die Chefin holen.

Die Wartezeit füllte ich mit folgenden Gedanken: Die Angestellte ist eine Frau, die sehr gut deutsch spricht, aber nicht lange genug hier ist, um zu wissen, dass Hans eine der Kurzformen von Johann oder Johannes ist. Was weiß ich umgekehrt schon über männliche Vornamen auf dem Balkan, in Bora Bora oder in Feuerland? So erklärt sich sogar, warum ich früher mal gerügt wurde, als ich meinen Personalausweis vorlegte und ein an mich (Hans) adressiertes Päckchen abholen wollte, ohne mir (Johann Michael) eine Vollmacht ausgestellt zu haben. Die Chefin (kein Migrationshintergrund) weiß, in welch enger Beziehung Hans und Johann zueinander stehen, ich bin im Besitz der vom Zusteller in meinen Briefkasten geworfenen Sendungsbenachrichtigung ("Leider war es heute nicht möglich, Ihnen Ihre Sendung zuzustellen", denn dafür hätte man klingeln müssen), die Adresse stimmt, also wird sich alles aufklären und ich gehe mit meinem Paket wieder weg.

Falsch gedacht. Die Chefin kam mit der Leidensmiene einer Dulderin auf mich zu, die an der Welt verzweifelt, weil sie täglich wenn nicht stündlich mit Ignoranten wie mir konfrontiert ist, die Vorschriften und Verordnungen nicht beachten und - schlimmer noch - gar nicht wissen, dass es sie gibt. Und hinterher, wenn es zu spät ist, wollen sie eine Extrawurst gebraten haben, die Ignoranten. Da sollte mal der Erzengel Gabriel dazwischen fahren, der Schutzpatron der Postler, aber der verlangte bestimmt einen höheren Lohn als den der Zusteller und wurde darum beim Börsengang des Unternehmens frühverrentet. Mit einem Seufzer und auf sich allein gestellt verglich die Chefin meinen Ausweis mit Namen und Anschrift des Empfängers. Die Unterschiede waren so gravierend, dass mir das Paket nicht ausgehändigt werden konnte.

Ich räume ein, dass ich inzwischen genervt war und es an der nötigen Unterwürfigkeit fehlen ließ. Ich verstieg mich sogar dazu, das ganze Verfahren als Unsinn zu bezeichnen. Das kam nicht gut an. Ob ich mein Ziel erreicht hätte, wenn ich mehr Demut gezeigt und mich entschuldigt hätte? Wäre ich freundlicher behandelt worden, wenn solchen Sendungen mit Identitäts- und Altersprüfung nicht der Ruf anhängen würde, dass irgendein jugendgefährdender Schweinkram darin transportiert wird? Schließlich, das sagt einem der gesunde Menschenverstand, muss es einen Grund für eine so penible Überprüfung geben. Wer würde so etwas verlangen, wenn - sagen wir - französische Stummfilme aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in dem Paket wären? Eben. Das müssen mindestens Pornos mit ausführlicher Penetration, Blowjob in Großaufnahme und finaler Ejakulation sein, weil heutzutage schon die 12-Jährigen nackte Busen sehen dürfen. Hätten die Damen in der Postfiliale für mich eine Ausnahme gemacht, wenn ich versprochen hätte, mich zu bessern und es nie wieder zu tun? Ich glaube nicht. Vorschrift ist nun mal Vorschrift, und die Beachtung der Vorschriften ist das höchste Gut.

Die Chefin teilte mir dreimal mit, dass ich meine Identität nicht nachweisen konnte, als wäre sie eine Filmproduzentin. Dreimal im Film, so die alte Hollywoodregel, müssen wichtige Informationen vergeben werden. Wahrscheinlich ist der Zuschauer ein tumber Tor, und solchen Deppen muss man alles dreimal sagen, bevor sie es verstanden haben. Die Zahl Drei ist in unserer Kultur tief verwurzelt, hat eine geradezu magische Bedeutung. Aller guten Dinge sind drei, obwohl nicht alle so weit zählen können; wer die Identitäts- und Altersprüfung überstanden hat darf drei Kreuze machen; und es sind die Heiligen Drei Könige, die die Geschenke bringen, nur dummerweise nicht mein DHL-Paket. Meine Lage war aussichtsloser als die der schönen Müllerstochter, der das Rumpelstilzchen drei Tage und drei Versuche einräumt, seinen Namen zu erraten. Statt einem Namen hatte ich zwei, und weil nur Johann Michael sein Alter und seine Identität nachweisen konnte durfte Hans die Blumenkohlfee nicht kriegen. In Deutschland muss alles seine Ordnung haben. Und Regeln sind zum Befolgen da.

Abrakadabra, dreimal schwarzer Kater!

Sie konnten Ihre Identität nicht nachweisen. Sie konnten Ihre Identität nicht nachweisen. Sie konnten Ihre Identität nicht nachweisen. Mich erinnerte das an die Szene in Helmut Dietls Der ganz normale Wahnsinn, in der Maximilian Glanz von einer Person angerufen wird, die sich verwählt hat und jetzt will, dass Maximilian seinen Namen buchstabiert. "Hören Sie", sagt er. "Warum soll ich meinen Namen buchstabieren, wenn Sie falsch verbunden sind. Ja, sind S’ falsch verbunden. Falsch verbunden. Falsch verbunden. Falsch verbunden." Im Gegensatz zum Anrufer war ich nicht falsch verbunden, sondern in der richtigen Postfiliale erschienen, ich stand leibhaftig vor der Chefin und ihrer Angestellten, ich hatte einen gültigen Ausweis und die Sendungsbenachrichtigung dabei, vor mir lag das Paket mit der von mir bestellten und bezahlten Ware. Die Verbindung zwischen mir und dem Paket, auf dem mein Name stand (dachte ich zumindest), kam trotzdem nicht zustande, weil ich bei meinem Versuch, die Filme von Alice Guy abzuholen, mit den Bestimmungen zum Jugendschutz kollidierte.

Der ganz normale Wahnsinn

Wer die Jugend schützen will muss Opfer bringen. Angesichts eines penibelst exekutierten Sicherheitssystems zum Wohl der Kinder fände ich es jedoch hilfreich, wenn sich die Beteiligten um Genauigkeit in der Formulierung bemühen würden. Die dreifach ausgesprochene Behauptung der Chefin, dass ich meine Identität nicht nachweisen konnte (im Märchen ist es der Zauberspruch, der erst durch doppelte Wiederholung wirksam wird), war dreimal falsch. Ich - also der Teil von meinem Ich, der in der Postfiliale stand - hatte durchaus meine Identität nachgewiesen. Wozu hat man sonst einen Personalausweis? "Identity Card" steht auf der mit Hologramm und Bundesadlern und EU-Sternen "fälschungssicher" gemachten Plastikkarte, deren Authentizität und Gültigkeit niemand anzweifelte. Es war mir nur nicht gelungen, regelkonform nachzuweisen, dass der Mann mit dem Ausweis derselbe war, der das Paket bestellt hatte. Die Chefin hatte sich selbst im Labyrinth der Identitäts- und Altersprüfung verirrt, und ich war quasi vor ihren Augen verschwunden wie im Zauberfilm. Um noch einmal Helmut Dietls Helden zu zitieren: "Ich bin nicht da. Ich bin nicht da. Ich bin überhaupt nicht da." Ich war ein anderer.

Im ganz normalen Wahnsinn der Fernsehserie arbeitet Maximilian Glanz an einem Werk mit dem Titel "Woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohlfühlt, obwohl es uns allen doch so gut geht". In der Geschichte aus dem Tollhaus, die hier zu erzählen ist, bin ich der Einzelne, der sich mit dem bestehenden Sicherheitssystem zum Schutz der Jugend nicht wohlfühlt. So gesehen lässt sich sogar der mir in der Postfiliale widerfahrenen Persönlichkeitsspaltung etwas abgewinnen. Sollte mir die Herausgabe des Pakets zurecht verweigert worden sein wäre ich als Einzelner schon zu zweit und damit nicht mehr so allein. Natürlich hängt der Fortbestand der Welt nicht davon ab, ob und wie mir als Erwachsenem ein Paket ausgehändigt wird, das dem Zugriff der Jugend entzogen werden muss, weil es Stummfilme ohne FSK-Freigabe enthält. Mein Erlebnis könnte aber ein Symptom sein, das auf eine Regelwut hinweist, die sich selbst genug ist und deren Protagonisten längst vergessen haben, worum es einmal gehen sollte. Für die Betroffenen ist das gar nicht lustig.

Das Fernsehen ist da manchmal sehr instruktiv, und dies nicht nur, wenn Helmut Dietl der Regisseur ist. Der ganz normale Wahnsinn entstand im Auftrag des Bayerischen Rundfunks. Bleiben wir also in Bayern und nehmen wir die Rundschau des BR vom 21. Februar (18:45 Uhr). Zuerst kommt da Lothar de Maizière mit seinem Plan, eine neue "Wohnsitzauflage" für Flüchtlinge ohne Arbeitsplatz einzuführen (nur wer uns nicht auf der Tasche liegt darf frei entscheiden, wo er wohnen möchte, als Maßnahme gegen die sonst drohende Ghettobildung oder so ähnlich, der logische Zusammenhang bleibt nebulös). Dann brennt ein Flüchtlingsheim, und anschließend folgt ein weiterer Bericht aus der Wirklichkeit. Der zehnjährige Jassim und sein Vater wurden auf der Flucht getrennt. Jassim hat es nach Gilching bei München verschlagen, seinen Vater nach Kassel. Dazwischen liegen 500 Kilometer.

BR. Screenshots: Hans Schmid

Der kleine Junge, denkt sich ein jugendschutzferner Laie wie ich, wird jetzt ganz schnell zu seinem Vater gebracht, und wenn das nicht möglich ist holt man den Vater nach Gilching. Man muss nicht einmal Angehörige aus Syrien einfliegen, weil der Vater schon in Deutschland ist. Anstelle einer Familienzusammenführung mit glücklichem Kind wird aber eine Dame vom Helferkreis in Gilching gezeigt, die sich fühlt, als würde sie gegen Windmühlenflügel kämpfen. Von Anfang Dezember bis Mitte Februar, erzählt sie, ist es der Regierung von Oberbayern nicht gelungen, die für den Vater zuständige Stelle in Hessen ausfindig zu machen. Damit er nicht zu sehr ins Grübeln kommt hilft Jassim in der Kleiderkammer des Helferkreises beim Sortieren der gespendeten Schuhe, und die Regierung von Oberbayern teilt schriftlich mit, dass Umverteilungen über Bundeslandgrenzen hinweg lange dauern, weil da ein erhöhter Abstimmungsbedarf herrscht. Da kann man leider gar nichts machen, soll das wohl heißen. Der Bericht endet damit, dass Jassim von Gilching, wo er ein paar warmherzige Frauen als Bezugspersonen gefunden hat, in die Bayernkaserne in München verlegt wird. Es gibt eine Regel zum Umgang mit Flüchtlingen, die das verlangt. Eine Regel zum Umgang mit Kindern, die das verhindert, gibt es scheinbar nicht. De Maizière mit seiner Idee von der "Wohnsitzauflage" kommt einem daneben seltsam entrückt vor.

Wenn der kleine Junge dann zu seinem Vater dürfte wäre ich sofort bereit, mein DHL-Paket dafür zu geben, und gern noch viele andere Pakete. Als solidarischer Akt unter Leidensgenossen sozusagen, denn ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass wir beide Opfer der gleichen Regelwut geworden sind, die nicht dadurch besser wird, dass sie sich im Gewand einer in solchen Fällen üblichen Bürokratensprache präsentiert. Bei einem alten Knacker wie mir und seinen Stummfilmen führt das direkt nach Absurdistan. Darüber kann man am Ende lachen, weil das Ganze so abstrus ist. Aber der kleine Junge, erzählt eine von den Helferinnen, liegt jede Nacht weinend im Bett. Das ist dann nicht mehr komisch. Natürlich war das jetzt polemisch. Ein Mensch ist kein DHL-Paket. Allerdings ging aus dem Filmbericht nicht hervor, worin der Unterschied besteht, wenn Vorschrift wieder einmal Vorschrift ist. Mein Paket durfte mir nicht ausgehändigt werden, weil es eine Regel zum Schutz der Kinder so wollte. Welche Regel will, dass ein Kind aus Syrien nicht zu seinem Vater darf, weiß die Regierung von Oberbayern. Und die Behörde in Hessen, deren Adresse nicht zu ermitteln war, weiß es sicher auch.

Ein Kind ist ein Kind ist ein Kind

Während ich ohne die Blumenkohlfee und Feuillades Stücke aus dem Leben, so wie es ist wieder nach Hause ging arbeitete die Bundesregierung unter Hochdruck am Schnüren eines "Asylpakets" mit der Nummer römisch II. Dieses Paket wurde so schnell zugestellt, dass das von der SPD geführte Familienministerium keine Zeit mehr hatte, zu überprüfen, was drin war in der Schachtel und was der Inhalt für die Jugend zu bedeuten hat, deren Schutz diesem Ministerium anvertraut ist (das gilt auch für die hier lebende Jugend ohne deutschen Reisepass). Besonders schützenswert, sagt die Genfer Flüchtlingskonvention, sind die Kinder. Im Paket nicht mehr enthalten war das Recht von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, nahe Angehörige nachzuholen. Bei den minderjährigen Flüchtlingen müssten selbst dann noch Kinder mit dabei sein, wenn man alle Volljährigen abzieht, die bei ihrem Alter schummeln, weil sie sich Vorteile davon erhoffen, oder die jungen Afghanen, denen man jetzt unlautere Absichten unterstellt, weil sie mitten im Krieg geboren wurden und es keine Behörde zum Ausfertigen einer Geburtsurkunde mehr gab.

Der Bundesinnenminister warnte schon länger vor den Gefahren des Familiennachzugs. Die SPD war eigentlich dafür, ihn beizubehalten. Leider hatte das Familienministerium in der Eile übersehen, dass dieses Recht der Kinder weggefallen war. Also wurde wieder gestritten und "nachgebessert". Jetzt soll im Einzelfall geprüft werden. Wie das wohl sein wird? Was soll geprüft werden? Ein Laie wie ich denkt sich dazu Folgendes (für das Denken möchte ich mich vorsorglich entschuldigen - zumindest in dem Teil der Maßnahmen zum Schutz der Jugend, in denen ich mich verheddert hatte, war das Nachdenken überhaupt nicht vorgesehen): Diese Kinder kommen aus Kriegsgebieten, haben eine lebensgefährliche Flucht hinter sich, sind wahrscheinlich schwer traumatisiert und brauchen dringend ein paar Erwachsene, die sich um sie kümmern. Mit etwas Pech haben die armen Kinder Schulden bei den Schleppern und werden jetzt von Leuten unter Druck gesetzt, deren Geschäftsmodell wir dadurch unterstützen, dass wir de facto ein Einwanderungsland sind, aber aus ideologischen Gründen kein die legale Zuwanderung ermöglichendes Gesetz haben dürfen.

Wäre es da nicht vernünftig, die Eltern nachzuholen, die bestimmt das allergrößte Interesse daran haben, dass es ihren Kindern gut geht (auch bei muslimischen Flüchtlingen ist das so) und sie nicht in schlechte Gesellschaft geraten? Bei einer nüchternen, an der Langzeitwirkung und an Fakten statt an der Tagesaktualität und an den Wahlerfolgen der AfD orientierten Kosten-Nutzen-Rechnung könnte dabei sogar herauskommen, dass das billiger ist als qualifizierte Betreuer einzustellen, die es in der erforderlichen Anzahl gar nicht gibt. Auf lange Sicht könnte das den Regierungsparteien wieder mehr Zustimmung einbringen, weil das Wahlvolk dann das Gefühl hätte, gut und unaufgeregt regiert zu werden, mit dem Blick auf das, was dem Land auch morgen und übermorgen noch zum Vorteil gereichen wird. Ich jedenfalls weiß nicht, warum ich die Mitglieder etablierter Parteien wählen sollte, die man so einfach vor sich hertreiben kann, wenn man ein Politikerdarsteller von der AfD ist. Und auf ein Ministerium, das schon mal vergisst, auf die Rechte der Kinder zu achten, weil das gerade nicht so wichtig ist, würde ich mich lieber nicht verlassen. Es gibt immer einen Grund, wenn Sachen übersehen werden.

Der Verdacht drängt sich auf, dass es bei der Verschärfung des Asylrechts II weniger um eine an europäischen Werten ausgerichtete Problemlösung ging als vielmehr um die Stabilisierung eines Systems zur Beruhigung des Publikums durch in Paketen verpackte Symbolpolitik. Weil aber Mogelpackungen unweigerlich als solche entlarvt werden und dadurch die angestrebte Wirkung verlieren empfiehlt es sich, dem von diffusen Ängsten umgetriebenen Wahlvolk eine neue Schachtel mit Sedativa zuzustellen, mit erhöhter Dosis. Ein Asylpaket III ist in Vorbereitung, das Asylpaket IV wird folgen. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier … dann steht - wer eigentlich? - vor der Tür. Das Christkind wahrscheinlich eher nicht. Das Wort "Kind" hat ohnehin schon bessere Zeiten gesehen. Kinder sind jetzt, wenn sie keine Deutschen sind, "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" (in behördlichen Papieren gebräuchliche Abkürzung: UMF) oder "Ankerkinder", also der Anker, der hier ausgeworfen wird, damit sie per Familiennachzug die ganze Sippschaft bei uns einschleppen wie eine Krankheit (die Warnung vor eingeschleppten Krankheiten gehört zum Standardrepertoire von Rechtspopulisten, obwohl man sehr gesund sein muss, um die beschwerliche Reise zu überstehen). Darüber könnte man fast vergessen, dass ein Kind ein Kind ist. Dem Familienministerium scheint das so passiert zu sein.

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