"Sie sind der erste Journalist seit zehn Jahren, der mir überhaupt solche Fragen stellt."
Seite 3: "Wir haben Frauen und Männer, die nun alle um ihren Job bangen müssen"
- "Sie sind der erste Journalist seit zehn Jahren, der mir überhaupt solche Fragen stellt."
- "Unser Zuhause ist nicht die Türkei, unser Zuhause ist Deutschland"
- "Wir haben Frauen und Männer, die nun alle um ihren Job bangen müssen"
- "Die Leute, die uns mit Schmutz bewerfen"
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Bleiben wir kurz bei Seyran Ateş. In den 1980ern wurde sie bei einem Angriff auf einen Berliner Frauentreff schwer verwundet. Ein Tatverdächtiger wurde damals auch mit der Ülkücü-Bewegung in Verbindung gebracht. Können Sie nachvollziehen, wenn Ateş einer Organisation, die unter demselben Label aktiv ist wie ihr möglicher Attentäter, nicht ganz unbefangen gegenübertritt?
Mehmet Alparslan Çelebi: Ja natürlich kann ich das verstehen. Ich habe auch nichts gegen Kritik. Ich kann auch verstehen, wenn man da emotional wird. Aber ich kann nicht verstehen, wenn man deshalb Unwahrheiten verbreitet. Es tut mir leid, dass Seyran Ateş Opfer eines Anschlages geworden ist. Aber ich habe diesen Anschlag nicht begangen.
Meine Organisation hat diesen Anschlag nicht begangen. Und Opfer dieser Unwahrheiten werden auch Frauen, die bei uns aktiv sind. Frauen und Männer, die teils als Beamte oder in öffentlichen Positionen arbeiten und die nun alle um ihren Job bangen müssen, weil sie auf Basis von Unwahrheiten als verfassungsgefährdend eingestuft werden.
Sie haben vorhin gesagt, es wäre zielführend, sich von dem Label Ülkücü zu lösen. Wie könnten konkrete Schritte in die Richtung aussehen?
Mehmet Alparslan Çelebi: Was uns wichtig ist, ist dass sich Jugendliche generell von Labels lösen. Al-Ghazali, einer der Begründer der islamischen Philosophie, hat gesagt: "Menschen, die in Worten denken, sind dumm. Kluge Menschen denken in Ideen." Das wollen wir unseren Jugendlichen beibringen: Löst euch von Labels, nicht nur von Ülkücü, auch von allen anderen. Denn Labels führen immer zu Schubladendenken. Lasst lieber Taten sprachen.
Wenn Sie mich fragen, ob es Ultranationalisten und Rassisten gibt, die sich Ülkücü bezeichnen? Auf jeden Fall. Es gibt Leute, die sagen: "Religion ist nur etwas für Araber. Wir glauben nur an das Turkvolk." Die sind hardcore abgedriftet. Aber was haben wir mit denen zu tun? Welchen Anlass haben wir in 33 Jahren gegeben, um ums mit denen in Verbindung zu bringen? Was ist nach 33 Jahren passiert, dass die Behörden plötzlich sagen: "Ihr seid alle schlecht!"
Was ist Ihre Antwort auf die Frage?
Mehmet Alparslan Çelebi: Es gibt in Deutschland Menschen und Organisationen, die allgemein ein Interesse daran haben, dass muslimische Interessenvertretung geschwächt wird. Das sehen wir nicht nur am Beispiel von ATİB. Das sehen wir bei allen muslimischen Verbänden, die momentan ihr Fett weg kriegen. Der Zentralrat war seit seiner Gründung immer ein verlässlicher Partner für die Politik und trotzdem bleibt keiner verschont.
Hinzu kommen die deutsch-türkischen Beziehungen, die momentan nicht so rosig sind. In den Behörden sitzen ja auch nur Menschen und kein ausgeklügeltes AI-System. Die lassen sich auch von der Politik und allgemeinen Stimmung beeinflussen. Viele Menschen bei uns schüchtern diese Angriffe ein. Viele sagen: "Ich weiß, ihr macht nichts Schlimmes aber wenn ich mich bei euch engagiere, bekomme ich vielleicht deswegen keinen Job." Man sieht das ja gerade bei Nurhan Soykan vom "Zentralrat der Muslime".
Die Frau, die vor kurzem vom Auswärtigen Amt neben einem Pastor und Rabiner als religiöse Beraterin engagiert wurde und sich nun mit Islamismus-Vorwürfen konfrontiert sieht?
Mehmet Alparslan Çelebi: Genau. Juristin, sehr gebildet, durchgehend ehrenamtlich tätig, ohne einen Cent zu bekommen. Hat gerade eine Chemotherapie hinter sich, hat den Krebs besiegt. Eine Powerfrau durch und durch. Die bekommt ein beratendes Amt vom Auswärtigen Amt, was eine Revolution für muslimische Frauen in Deutschland ist, und wird dafür von Leuten, die sich als liberal bezeichnen, in eine Ecke gestellt und mit Schmutz beworfen.
Das ist zum Heulen. Wo ist da die Frauenbewegung!? Sie hören schon an meiner Sprache, welcher Frust sich da bei mir angestaut hat. Sie sind der erste Journalist seit zehn Jahren, der mir überhaupt solche Fragen stellt.