"Sie waren Baumeister eines Konstrukts, an das sie selbst ganz fest glaubten"

Seite 2: Warum spielten Amerikaner und Briten mit?

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Warum haben die westlichen Geheimdienste der Jagd nach dem Phantom keinen Riegel vorgeschoben?

Gerhard Sälter: Eventuell wollte man die Deutschen bei Laune halten. Oder man dachte, falls doch etwas dran ist, bekommen wir es billig mit …

Einmal allerdings wurde die deutliche Distanz der westlichen Geheimdienste aufgebrochen: Als 1954 der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John in Ost-Berlin auftauchte. Der passte nämlich genau ins Raster der Organisation Gehlen: Ehemaliger Widerstandskämpfer, kein Angehöriger des national-autoritätshörigen Klüngel um Gehlen, und jetzt anscheinend übergelaufen. Da haben die westlichen Geheimdienste kurz aufgehorcht und sich noch einmal Berichte übermitteln lassen. Aber nach wenigen Monaten hörte das auf.

Doppelagenten des KGB und des MfS bei der Organisation Gehlen

Und wie sah es bei den Geheimdiensten der UdSSR aus?

Gerhard Sälter: Es gab ja einige Doppelagenten des KGB und des MfS bei der Organisation Gehlen , etwa Heinz Felfe. Die östlichen Geheimdienste haben also bei der Organisation Gehlen "mitgeschrieben", es wirkt aber nicht so, als hätten sie die Jagd nach der Roten Kapelle angeheizt. Die Frage ist eher, wie ernst sie diese nahmen.

Sie haben einmal gesagt: "Ich war regelrecht konsterniert, als ich bei meinen Recherchen feststellen musste, dass der Mythos, die Rote Kapelle sei eine von Moskau gesteuerte Spionageorganisation gewesen, die auch nach dem Krieg noch aktiv sei, überhaupt keine Basis hatte […]. Ich hätte gedacht, dass es zumindest Anhaltspunkte dafür gegeben hätte. Aber da war gar nichts. Das war völlig haltlos." - Wie lange haben Sie recherchiert und wann wurde Ihnen das klar? Und haben Sie Hinweise dafür, dass es innerhalb der Organisation Gehlen beziehungsweise des BND Diskussionen über den Realitätsgehalt der Roten Kapelle gegeben hat?

Gerhard Sälter: Es sind relativ viele Akten erhalten geblieben, darum habe ich zwei Jahre daran gearbeitet. Innerhalb der Organisation Gehlen gab es einzelne Stimmen, die davor warnten, aus der rechtsradikalen Ecke, etwa aus der Sozialistischen Reichspartei, wolle man demokratische Politiker "KP-verdächtig" machen, indem man die Rote Kapelle als moskauhörig denunziere und die Politiker mit ihr in Verbindung brachte - und die warnten, man solle dem nicht auf den Leim gehen.

Aber sie riefen keine Reaktionen hervor und gingen sofort wieder unter. Und der Realitätsgehalt? Das Ganze war wild zusammenkonstruiert, das ist ganz offensichtlich. Erstaunlicherweise wurde nie nachgefragt, die Berichte sind ganz offen nach oben "durchmarschiert". Das hat mich ein bisschen schockiert: Ich hätte erwartet, dass sich ein Geheimdienst Gedanken darüber macht, woher Informationen kommen und wie man sie bewertet. Das gab es, zumindest in dieser Operation, nicht.

Was es aber gab: Als Gehlen weg war, sollte sein früherer enger Vertrauter Karl-Eberhard Henke für Gerhard Wessel, den neuen Präsidenten des BND, einen Bericht zur Roten Kapelle zusammenstellen. Und Henke kam in fast allen Fragen zu einem ähnlichen Urteil wie ich: Er war sehr schockiert, dass so einem substanzlosen Geraune Glauben geschenkt worden war. Aber er war auch Geheimdienstler, und vermutete im Gegensatz zu mir, dass östliche Geheimdienste sehr stark an der Sache interessiert gewesen seien und die Wahrnehmung des BND beeinflusst hätten. Sein Argument war, dass im Strategischen Dienst und der Außenorganisation in Karlsruhe, die viel am Thema der Roten Kapelle gearbeitet hatten, viele östliche Doppelagenten saßen. Das ist zwar richtig, aber ich sehe das anders, weil gerade diese Doppelagenten wenig zur Roten Kapelle gearbeitet haben. Aber das ist der einzige Unterschied.

War Globke ein Sowjetischer Spion?

Reinhard Gehlen hat behauptet, dass Hans Globke, der ab 1949 leitender Beamter im Bundeskanzleramt und ab 1953 als Kanzleramtschef einer der engsten Vertrauten Adenauers war, möglicherweise ein sowjetischer Spion sei. Dabei hatte Globke in der NS-Zeit im Reichsinnenministerium gearbeitet. Das passt doch nicht. Wie hat Gehlen es geschafft, solche Mythen aufzuerwecken und am Leben zu erhalten?

Gerhard Sälter: Da kamen mehrere Gründe zusammen: Der Name Globkes war sehr aufnahmeträchtig, damit bekam man die Leute wach - der Chef des Kanzleramts als sowjetischer Agent! Außerdem hatte Gehlen Globkes Persilscheine ans Licht geholt und festgestellt, dass sich unter den Ausstellern mehrere Leute fanden, die er zur Roten Kapelle zählte.

Sie haben Ihr Buch auf dem 16. Historikertag im September 2016 in Hamburg vorgestellt. Der Obertitel der Veranstaltung hieß "Gefühltes Wissen? - Konstruktion von Realität in Deutschen Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zwischen Weltkrieg und Mauerfall." Gehlen dürfte seine Rote Kapelle sicherlich absichtsvoll konstruiert haben. In wieweit, meinen Sie, gab es solche absichtsvolle Konstruktion? Oder haben die Quellenforscher des BND das selber geglaubt, was sie sich ausdachten? Oder haben Sie an die kommunistische Bedrohung geglaubt und daraus geschlossen, es müsse so etwas wie die Rote Kapelle gegeben haben?

Gerhard Sälter: Das war eine Mischung aus verschiedenen Elementen. Einerseits hat man die kommunistische Gefahr instrumentalisiert: Es gab ja eine Bedrohung aus dem Osten, den Kalten Krieg. Und vergrößerte man diese Gefahr, dann wuchs auch das Bedürfnis nach Institutionen wie der Organisation Gehlen. Das geschah schon 1947 mit Meldungen über eine kommunistische Infiltration: Man versuchte, den Amerikanern damit Angst zu machen, um ihre Unterstützung zu erhalten.

Andererseits liegt auch eine vergangenheitspolitische Komponente vor: Man verfolgte die Leute, die man für Feinde hielt und die man als mögliche Ankläger fürchtete. Bei der Organisation Gehlen saßen ehemalige Gestapo-Mitarbeiter, und die hatten ein Interesse daran, ehemalige Widerstandskämpfer unglaubwürdig zu machen.

Letztlich waren die Mitarbeiter der Organisation Gehlen auch gar nicht zum Umdenken gezwungen gewesen, das Binnenklima ihrer Organisation verlangte von ihnen keine Distanzierung von ihrem Vorleben. Sie haben den Bruch von 1945 gar nicht wahrgenommen und ihr Feindbild einfach übertragen, ganz intuitiv, darüber haben sie gar nicht reflektiert.

Sie waren Baumeister eines Konstrukts, an das sie selbst ganz fest glaubten.