"Sie waren Baumeister eines Konstrukts, an das sie selbst ganz fest glaubten"
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Der Historiker Gerhard Sälter hat herausgefunden, dass sich der westdeutsche Geheimdienst im Kalten Krieg mit einem Phantom beschäftigte
Die Gestapo hatte aus verschiedenen Agentennetzen des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU und Widerstandsgruppen einen Gesamtzusammenhang konstruiert und deren Angehörige als sowjetische Agenten hingestellt. Dies angebliche Netzwerk nannte sie "Rote Kapelle".
Nach dem Krieg erfanden Altnazis bei der BND-Vorgängerinstitution "Organisation Gehlen" wieder eine kommunistische Spionageorganisation: die angeblich neu erstandene Rote Kapelle. Die Organisation Gehlen ermittelte gegen dieses Phantom - in Wirklichkeit aber nicht gegen kommunistische Spione, sondern gegen Überlebende aus dem Widerstand.
In dieser Operation "Fadenkreuz" sollten ehemalige Widerstandskämpfer als sowjetische Agenten diskreditiert und aus den öffentlichen Debatten um die Bewertung der Vergangenheit und die politische Ordnung des Nachkriegsdeutschlands herausgehalten werden. Und - sie sollten nicht gegen die Altnazis bei der Organisation Gehlen aussagen können.
Herausgefunden und aufgeschrieben hat das Ganze der Historiker Gerhard Sälter. Am 15. Februar 2011 hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) eine Unabhängige Historikerkommission (UHK) berufen, um die Geschichte des BND, seiner Vorläuferorganisationen sowie seines Personal- und Wirkungsprofils von 1945 bis 1968 und des Umgangs mit dieser Vergangenheit aufzuarbeiten. Die UHK wurde sechs Jahre mit insgesamt 2,2 Millionen Euro aus Bundesmitteln finanziert und hat 13 Monographien geplant, von denen bisher vier erschienen sind, alle im Christoph Links Verlag. Die Kommission "hatte sich verpflichtet, die Manuskripte durch eine Überprüfung seitens des BND auf heute noch relevante Sicherheitsbelange freigeben zu lassen. Dabei ist sie bei keiner historisch bedeutsamen Information einen unvertretbaren Kompromiss eingegangen", steht in der Vorbemerkung der Herausgeber.
Gerhard Sälter schrieb den zweiten Band der Reihe: Phantome des Kalten Krieges - Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes "Rote Kapelle". Das Buch ist über 500 Seiten lang. "Etwas zu beschreiben, was es nicht gibt, ist komplizierter, als etwas zu beschreiben, das es gibt", sagt Sälter dazu.
Herr Sälter - Sie schreiben, dass die Gestapo aus verschiedenen Agentennetzen des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU und Widerstandsgruppen einen Gesamtzusammenhang konstruiert und deren Angehörige als sowjetische Agenten hingestellt hatte. - Wann und wie wurde in Wissenschaft und Medien klar, dass es diesen Zusammenhang nicht gegeben hatte?
Gerhard Sälter: Man hätte es früh wissen können. Zunächst haben mehrere Überlebende des Zweiten Weltkriegs, Leute aus dem Widerstand, nach dem Krieg Erinnerungen publiziert. Aber sie wurden als unglaubwürdig dargestellt: In den 1950ern gab es eine Medienkampagne, an der auch große Zeitschriften wie der "Stern" oder "Kristall" teilnahmen. Da hieß es dann: "Rote Agenten sind unter uns!" Andererseits gab es auch damals schon einzelne Stimmen, zum Beispiel die des Journalistenverbandes in Hamburg, und die sagten: So kann es nicht sein! Das ist eine Inszenierung, der wir nicht folgen können!
Der Ankläger Manfred Roeder war ein Revanchist - und der Journalistenverband empfahl, immer von "Roeders Roter Kapelle" zu schreiben. Es gab also sehr früh schon die Vorstellung, dass es so nicht ist. Auch Margret Boveri, die Autorin von Der Verrat im 20. Jahrhundert, vertrat bereits 1956 eine andere Position. Das hat sich allerdings nicht durchgesetzt. Erst das Ende des Kalten Krieges führte zu einer Versachlichung der Wahrnehmung.
Schließlich haben mehrere Söhne von Beteiligten über ihre Eltern geschrieben, so Stefan Roloff und im Umfeld der Gedenkstatte Deutscher Widerstand Hans Coppi und Hans Mommsen. Und im Umfeld der Gedenkstätte Deutscher Widerstand entstanden die ersten fundierten Darstellungen. Damit war ab Mitte der 1990er Jahre klar: Die Version eines von Moskau gelenkten Widerstands hat nicht gestimmt.
Nicht zu vergessen eine interessante Nebenhandlung. Die KPD hatte im Dritten Reich keinen besonders großen Erfolg mit ihrem Widerstand gehabt: Sie hat viele ihrer Mitglieder verheizt, ihre Mitgliederlisten fielen in die Hände der Gestapo und viele ihrer Leute wurden bei wenig effektiven Propagandaaktionen verhaftet. Um das zu überdecken, hat auch die SED mit Unterstützung der Staatssicherheit am Mythos des kommunistisch gelenkten Widerstandes gearbeitet.
Wider besseren Wissens Behauptungen aufgestellt
Woher wissen Sie das?
Gerhard Sälter: Greta Kuckhoff zum Beispiel hat wider besseres Wissen solche Behauptungen aufgestellt - dass es wider besseres Wissen geschah, wissen wir, weil sie umfangreiche Korrespondenzen und Notizen hinterlassen hat; siehe auch den Aufsatz von Sayner im Band von Fulbrook. Und in diesen wies sie andere Leute wie etwa Walter Ulbricht auf Fehler hin, die sie selber aber öffentlich wiederholte.
Nach dem Krieg hatten die Geheimdienste der drei Westmächte Informanten aus den NS-Apparaten und folgten noch kurz der Sichtweise, dass eine Rote Kapelle weiterhin aktiv sei. Aber 1949 gaben sie diesen Glauben weitgehend auf. Warum?
Gerhard Sälter: Nach dem Krieg berieten sich die beiden britischen Geheimdienste MI 5 und MI 6 und die CIA. Sie hielten 1949 zwar einen Zusammenhang zwischen Spionage und Widerstand für wahrscheinlich und hielten die Spionage in Westeuropa und den Widerstand im Deutschen Reich für ein homogenes Netzwerk für Spionagezwecke. Aber: Sie hielten die Indizien für die Fortexistenz der Roten Kapelle für unzureichend. Als die Organisation Gehlen mit ihrer Suche begann, haben Mitarbeiter der CIA sogar gewarnt, dass es ein Phantom sei! Vor allem Gordon Stewart, der CIA-Chef für Deutschland, hat aus großer Distanz und mit deutlich ironischen Untertönen über ihre Suche nach der Roten Kapelle berichtet.
Ein zweiter Grund dafür, dass die Rote Kapelle bei den westlichen Geheimdiensten kein Interesse fand, lag darin, dass sie im Jahr 1949 beschlossen, sich auf die neu aufgebauten Apparate zu kümmern, in denen sie eine wesentliche Bedrohung sahen. Während des Krieges hatten die westlichen Geheimdienste als Gegenüber vor allem die GRU gehabt, nach dem Krieg wurde es der KGB. Bis zum Krieg versuchten sowjetische Spionageorganisationen als Agenten Mitglieder und Sympathisanten der KPs anzuwerben, nach dem Krieg suchten sich die Geheimdienste der USA und Großbritanniens ihre Agenten weniger aufgrund einer ideologisch begründeten Loyalität, sondern mehr mit Hilfe finanzieller Zuwendungen, oder indem sie Druck ausübten.
Ein dritter Grund lag einfach darin, dass die westlichen Geheimdienste fanden, dass es sich nicht mehr lohne, sich mit den alten Dingen zu beschäftigen.