Sieg für die Mausklickdemokratie?

Die Mitglieder der Sozialistischen Partei sprachen sich mit deutlicher Mehrheit für die Favoritin Ségolène Royal als Präsidentschaftskandidatin aus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Donnerstag waren die inzwischen rund 220.000 Angehörigen der Parti Socialiste (PS) dazu aufgerufen, ihre Präsidentschaftskandidatin oder ihren -kandidaten zu bestimmen. Die Kandidatin Ségolène Royal ist es geworden, mit über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das entspricht dem Trend, der sich im Vorfeld des Mitgliedervotums abzeichnete, aber das Ergebnis fällt noch deutlicher aus als erwartet. Die beiden anderen Mitbewerber liegen, mit 20,8 Prozent für den sozialliberalen früheren Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn und 18,5 Prozent für den ehemaligen Premier- und Wirtschaftsminister Laurent Fabius, annähernd gleichauf.

Handelt es sich um einen Sieg für die Mausklickdemokratie, in der vor allem Stimmungen, Umfragen und Medientrends den Ton angeben und die Wähler in ersten Linie als Konsumenten betrachtet werden - wie die Einen kritisieren? Oder handelt es sich um den Beginn einer gründlichen Erneuerung der Politik, jetzt, wo zum ersten Mal eine Frau zur aussichtsreichen Präsidentschaftskandidatin in Frankreich aufgestiegen ist - wie die Anderen sich erhoffen?

Am gestrigen Donnerstag waren die Mitglieder der französischen Sozialistischen Partei dazu aufgerufen, ihre Präsidentschaftskandidatin oder ihren -kandidaten zu bestimmen. Dabei durften mehrere Zehntausend Neumitglieder, die dem Parti Socialiste (PS) seit dem Frühjahr beigetreten sind, zum ersten Mal in einer entscheidenden Frage mit abstimmen. Denn im Vorfeld der innerparteilichen Urabstimmung hatte die Parteiführung seit März dieses Jahres eine politische Werbeoperation lanciert: Drei Monate lang bestand die Möglichkeit, für eine "Schnuppermitgliedschaft" der Partei beizutreten. Das kostete nur zwei Minuten, um ein Formular im Internet auszufüllen, und einen deutlich verbilligten Jahresbeitrag von pauschal 20 Euro für das laufende Jahr 2006 (statt üblicherweise einem prozentualen Anteil am Einkommen oder aber mindestens 50 Euro).

Wer sich vor dem Stichtag im Juni eintrug und sich bis im Laufe des September bei der ihm oder ihr zugeteilten Parteisektion meldete, durfte also - auch ohne jegliche politische Diskussion, Aktivität oder Erfahrung - an diesem Donnerstag mitstimmen. Die Werbeoperation war im übrigen in der Öffentlichkeit auch damit begründet worden, dass die Neumitglieder durch ihren Beitritt auf Probe das Recht erwürben, über eine so wichtige Frage wie die Kandidatur zur wichtigsten aller Wahlen im französischen politischen System mit zu entscheiden.

Kritiker inner- wie außerhalb der Partei hatten hingegen moniert, eine Mitgliederpartei werde damit in eine bloße Hülle für politische Werbefeldzüge, ähnlich den Demokraten oder Republikanern in den USA, transformiert. Der Senator Jean-Luc Mélenchon von der Parteilinken kritisierte einen "Niedergang des politischen Denkens". Und der Abgeordnete Eric Besson - ein Anhänger des früheren Premierministers Lionel Jospin, der kurz vor Torschluss auf eine eigene Kandidatur verzichtet hat - berichtete in Le Monde vom 1. September vom "Spätbeitritt von Sympathisanten, die zu uns sagen, dass sie selbst eher supporteurs (Anm.: das Wort bedeutet Unterstützer, bezeichnet aber auch etwa die Fans einer Fußballmannschaft) denn politisch aktive Mitglieder seien". Dagegen sprach der Bürgermeister von Dijon, François Rebsamen, die "Nummer zwei" in der Partei, aus : "Ich sehe nicht, warum die PS bei 100.000 Mitgliedern politisch lupenrein sein soll und sie sich bei 200.000 Mitgliedern ‚amerikanisiert’ hätte." Der für die Vorbereitung von Wahlen zuständige Parteivorständler Bruno Le Roux räumt einerseits ein : "Die Logik des Mausklicks entspricht ein bisschen einer Konsumentenhaltung." Auf der anderen Seite findet er das nicht so schlimm, denn "wir werden diese (neuen) Mitglieder bei spezifischen Themen mobilisieren".

Neue Mitglieder, und ihr Profil

An geäußerter Kritik von Parteimitgliedern und Beobachtern mangelte es nicht. Aber sie drangen damit nicht durch, denn der Erfolg der Operation wurde ihnen entgegen gehalten. Tatsächlich hat die französische PS in den vergangenen Monaten beträchtliche Zugänge verzeichnet: Zu Anfang des Jahres hatte sie 130.000 Mitglieder, aktuell sind es über 220.000. Von ihnen durften letztendlich über 70.000 frisch Beigetretene, die die Bedingungen erfüllten - Beitritt vor dem 1. Juni, und Rückmeldung bei einer Parteisektion bis September - votieren.

Hochinteressant ist dabei auch, welchen sozialen (und eventuell politischen) Hintergrund die zugewonnenen Mitglieder mitbringen. Dazu wurde eine parteiinterne Studie durchgeführt: Die ersten 18.000 Neumitgliedern sollten im Internet einen Fragebogen ausfüllen. Rund 8.400 von ihnen machten dies auch. Die Auswertung ihrer Antworten hat ergeben, dass nur 2,8 Prozent der frisch Beigetretenen der Arbeiterschaft angehören (die zur Zeit 25 Prozent der erwerbstätigen französischen Bevölkerung ausmacht). Dagegen stammen 50,5 Prozent der neu gewonnenen Mitglieder - gegenüber 13 Prozent der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung - aus dem Sektor der wirtschaftlichen Führungskräfte, höheren Angestellten und intellektuellen Berufe.

Das bedeutet freilich nicht, dass der PS zuvor eine Arbeiter- oder Unterschichtenpartei gewesen wäre. Diese Rolle hatte in Frankreich lange Zeit vor allem die KP inne, die im Niedergang steckt, aber immer noch rund 100.000 Mitglieder hat, aber eine wachsende Überalterung aufweist. Die sozialistische Partei, die erstmals in jüngerer Vergangenheit bei seiner Regierungsübernahme unter Lionel Jospin im Mai 1997 die 100.000er Marke überschritt, war in den letzten 25 Jahre bereits eher eine Lehrer-, Beamten- und Mandatsträgerpartei. Die neue Beitrittswelle dürfte dieses Profil aber nochmals zugunsten der Mittel- und Oberschichten, dieses Mal auch in der Privatwirtschaft (statt bisher vorwiegend im öffentlichen Sektor), verschoben haben.

Der für das Internet zuständige Parteivorständler Vincent Feltesse sah dagegen keinen größeren Abstand zur Soziologie des übrigen Frankreich : "Alle Indikatoren zeigen an, dass wir die Soziologie der Partei jener des Landes angenähert haben. Gut, die Neuen haben auch höhere Bildungsabschlüsse und sind stärker in Großstädten konzentriert."

Das Profil der Kandidat(inn)en

Welche Segmente der französischen Gesellschaft versuchten nun die drei Kandidaten anzusprechen, die Anfang Oktober die entscheidende Hürde nehmen und 30 Unterschriften unter den Führungsmitgliedern der Partei sammeln konnten - zusammen übrigens mit einem vierten Bewerber, der kurz darauf mangels Rückhalts in der Partei doch noch aufgab, dem früheren Kulturminister (und faktischen Pausenclown der französischen Sozialdemokratie) Jack Lang?

Insgesamt hielten die Bewerber sechs Debatten ab, davon drei im französischen Fernsehen und drei bei Live-Veranstaltungen. Dieser Modus war übrigens durch ihre Herausforderer gegen den Willen von Ségolène Royal durchgesetzt worden, denn die seit September 2005 vor allem durch die führenden Medien des Landes gepuschte Kandidatin fühlte sich damit sichtlich unwohl. Sie erblickte darin erklärtermaßen eine Beschädigung der Person, die ab dem 26. November - dem Datum der offiziellen Nominierung auf einem Sonderparteitag - die Präsidentschaftskandidatur der französischen Sozialdemokratie verkörpern wird. Und nicht zuletzt eine Herabwürdigung von ihr selbst als gewissermaßen natürlicher Kandidatin.

In einem längeren Interview mit der Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche) vom 13. November erklärte sie:

Die Partei ist das Risiko eingegangen, ihren Kandidaten zu schwächen. An meinen Fähigkeiten zweifelnd, haben die beiden anderen diese Debatten gewollt. Und wenn sie sechs (Debatten) verlangt haben, dann deshalb, weil sie dachten, dass ich auf der langen Strecke nicht durchhalten würde. Letztendlich haben die Mitglieder erlaubt, dass alles gut abläuft, und ich habe mich geweigert, auf die sehr heftigen Angriffe gegen mich zu antworten. Wäre ich auf die Polemik eingegangen, dann hätte das alles schlecht enden können. Am Ende dieses Prozesses ist nun meine Legitimität (als Kandidatin) nicht mehr bestreitbar, und die Partei geht gestärkt daraus hervor. Das ist gut so.

Zu den Vorabbedingungen von Ségolène Royal, die in den letzten Monaten das Gros des Parteiapparats hinter sich scharte, gehörte, dass es bei den sechs Diskussionen keine Kontroversen zwischen den Kandidaten geben dürfe. Es sollte kein Schlagabtausch stattfinden, sondern jede und jeder nur für sich selbst sprechen, "um eine Herabminderung des oder der späteren Kandidaten bzw. Kandidatin zu verhindern". Unterschwellig kam es freilich doch zu Angriffen, vor allem Laurent Fabius zeigte sich stellenweise recht angriffslustig.

Zwischen Erneuerung und Unterstützung durch den Apparat

Royal trat mit dem Image einer grundlegenden Erneuerung der Politik und der Sozialistischen Partei an. Dabei war sie aber spätestens ab dem Frühsommer die Kandidatin des Apparats, die für den sich herausbildenden innerparteilichen Konsens stand. 59 von 100 Bezirksvorsitzenden - sécrétaires départementaux - unterstützten ihre Kandidatur, die übrigen verteilten sich zu fast gleichen Teilen auf ihre beiden Gegenkandidaten, wobei 10 Bezirkssekretäre bis zum Schluss stumm blieben.

Dass sie dennoch das Image der Widerständlerin gegen mächtige konservative Parteistrukturen beibehalten konnte, lag vor allem an den teilweise machohaften, sexistischen Ausfällen ihrer Herausforderer. Diese gaben sich zumindest in der Anfangsphase tatsächlich den Anschein, als könnten sie sich gar nicht vorstellen, dass eine Frau eine solche Position bekleide. Laurent Fabius wird das Zitat zugeschrieben, wenn Royal Kandidatin sei, während ihr Lebensgefährte François Hollande Parteivorsitzender ist (beide sind freilich längst nicht mehr zusammen, auch wenn in der Öffentlichkeit ein gegenteiliger Eindruck erweckt wird), "wer passt dann auf die Kinder auf?" Jack Lang, der zeitweilige Kandidat, der dann noch die Flinte ins Korn warf, äußerte seinerseits: "Diese Wahl, das ist doch kein Schönheitswettbewerb!" Um dann, vier Tage vor der innerparteilichen Urabstimmung, zur Wahl von Ségolène Royal bei der Kandidatenkür aufzurufen - und zwar mit dem überaus inhaltsschweren Argument : "Weil sie eine Frau ist" - weshalb, so die Idee, sie für die Erneuerung stehe.

Inhaltlich dürfte man Royal tatsächlich nicht absprechen können, dass sie ein Thema ernsthaft vertritt, nämlich das Engagement für die Durchsetzung von Frauen im öffentlichen Leben. So weit, so gut. Dabei glaubwürdig zu sein, lässt sich Royal nicht absprechen, die sich in der Jugend gegen einen äußerst dominanten Vater - den 1982 verstorben, rechtsradikal wählenden Kolonialoffizier Jacques Royal - durchzusetzen hatte. Ségolène Royal entging ihrem scheinbar voraus bestimmten Schicksal als Ehefrau und Nur-Mutter, indem sie auf der Schule gute Noten holte und sich den Zutritt zur französischen Elitehochschule ENA, Kaderschmiede für den Nachwuchs in Politik und höherer Verwaltung, erwarb. Daraufhin klagte sie, nach jahrelangem Verfahren sogar erfolgreich, gegen ihren Vater auf Bezahlung ihres Studiums.

Eine schreckliche Familie

Der Rest der Familie blieb ähnlich orientiert wie einst der Papa. Eine Cousine Ségolène Royals, die neun Kinder hat und katholische Fundamentalistin ist, kandidierte im Oktober bei einer Kommunalwahl in Bordeaux für den Front National. Und mehrere ihrer Brüder schlugen, wie der Vater, die militärische Laufbahn ein. Ihrem Bruder Gérard wird seit Jahren nachgesagt, dass er es gewesen sei, der 1985 die Bombe des französischen Auslandsgeheimdiensts DGSE deponierte, die in Neuseeland das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior im Hafen untergehen ließ (die Umweltorganisation protestierte damals gegen die französischen Atomwaffentests im Südpazifik) und einen Fotografen tötete.

Die Vermutung ist nicht neu, aber die konservative Tageszeitung Le Figaro brachte sie im September nochmals auf Seite Eins wie eine sensationelle Enthüllung. Dabei dürfte es dem mit der Regierungspartei UMP sympathisierenden Blatt allerdings vor allem darum gegangen sein, zwei der drei Kandidaten bei der innerparteilichen Urabstimmung des PS in potenziellen Misskredit zu bringen: Ségolène hat einen Bruder in der Affäre, und Laurent Fabius war damals (1985) Premierminister und trug die politische Verantwortung für Atombombentests und Geheimdienstintrigen. Auch wenn er von letzteren nichts gewusst haben will und von Untergebenen in ihren Aussagen in Schutz genommen worden ist.

Ausgesprochen merkwürdig ist dabei nun aber, dass Royal spät, aber umso deutlicher, in zahllosen Äußerungen direkt oder indirekt positiv auf diesen familiären Hintergrund ("Ich als Tochter von Militärs sage dazu...") und auf die damals vermittelten Werte (insbesondere einen positiven Begriff von "Ordnung") rekurrierte. Ihr zentraler Wahlkampfslogan lautet übrigens "L’ordre juste", also "Die gerechte Ordnung". Auch familiäre Idylle war bei ihr plötzlich angesagt, während sie bis dahin, ein gebranntes Kind scheut das Feuer, eher Abstand zur Beschwörung traditioneller familiärer Werte hielt. Im vorigen Sommer ließ sie monatelang offen, ob sie nun nicht doch noch ihren langjährigen Lebensgefährten François Hollande heiraten werde, obwohl nähere Beobachter der Politik längst wissen, dass beide inzwischen anderweitig liiert sind (Madame mit einem ehemaligen Renault-Chef, der heute einer Antidiskriminierungsbehörde vorsteht). Letztendlich war es offenkundig ihr guter Mann und Parteivorsitzender François Hollande, der nicht so richtig wollte, und sich auf die notwendige Trennung zwischen Politik und Privatleben berief. Das idyllische Hochzeitsfoto, das wäre es noch gewesen, was kurz vor Eröffnung des Wahlkampfs gefehlt hätte.

Die Kandidatin der Medien

Ansonsten ist Royal sehr stark darauf orientiert, das bei den Wählern vermutete "Sicherheitsbedürfnis" und den Ruf nach Autorität zu bedienen (Ségo, Sarko, Sicherheit). Bei ihrem Auftritt im südfranzösischen Vitrolles, wo sie am 29. September offiziell ihre Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur verkündete, setzte sie zudem stark auf die Betonung von Nationalsymbolik. "Ségolène Royal bejubelt die Nation" lautete die Überschrift einer Reportage dazu in Le Monde, die übrigens durch eine linke Journalistin verfasst wurde und implizit Kritik durchklingen lässt.

Die Trikolorefahne und die Sozialversicherung, das Emblem der Republik und die Instrumente der Solidarität zementieren an erster Stelle die gemeinsame Zugehörigkeit. Denn bei uns, jeder weiß es, gehen das Nationale und das Soziale zusammen, und der Staat garantiert diese Allianz

Damit redete Royal natürlich keinem völkisch-rassischen Nationalismus, sondern einem in der Tradition des französischen republikanischen Nationalismus - der einen Teil seiner Wurzeln auch 1792 und in der Résistance hat - stehenden Denken das Wort. In derselben Rede wandte Royal sich auch explizit dagegen, eine Unterscheidung zwischen Franzosen aus Abstammung und solchen migrantischer Herkunft zu treffen. Dennoch hat sie de facto die patriotische Verblödung als Antwort auf die soziale Verunsicherung und die daraus resultierenden Zukunftsängste ausgegeben:

Je mehr die alltägliche und soziale Unsicherheit und die Prekarität an Terrain gewinnen, je mehr die Franzosen sich um ihre Nation und ihren Fortbestand sorgen, desto weniger können sie sich großzügig gegenüber den Ihren und gastfreundlich gegenüber den Anderen zeigen.

Die "Gastfreundlichkeit" gab sie dabei als eigenes nobles Ziel aus und lieferte die Entschuldigung für jene, die lieber keine Immigranten auf französischem Boden dulden wollen, gleich mit.

Hinterher stellte sich dann rasch heraus, dass diese Kombination von Signalen und Symbolen noch nicht einmal als ihre eigene Idee entstanden war. "Die Umfrage, durch die Madame Royal sich von der Nation inspirieren ließ", lautete die Überschrift eines Artikels in Le Monde vom 14. Oktober. Daraus geht hervor, dass alles, was Royal in Vitrolles äußerte, bis hin zur Rangfolge der Nationalsymbole in den Augen der auf der Auswertung einer Meinungsumfrage beruht.

Wie auch im Übrigen das meiste von dem, was ihre Auslassungen beinhalteten, auf tatsächlichen oder vermeintlichen Tendenzen des öffentlichen Meinungsklimas beruht. Denn letztendlich ist Ségolène Royal, vor allem anderen, die Kandidatin der Medien. Es waren nacheinander ein (ansprechend mit übergroßem Foto aufbereitetes) ausführliches Interview in der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde, bei dem die beiden Interviewerinnen Royal geradezu zu einer Kandidatur drängten, und 14 Tage später eine große Fotoreportage in der Regenbogenzeitschrift Paris Match pünktlich zu ihrem 52. Geburtstag, die Royal in den Rang einer "présidentiable" (potenziellen Präsidentschaftskandidatin) erhoben. Dies passierte im September 2005. Das Fernsehen folgte, dessen Themensetzung und -gewichtung ohnehin mit durch die Hierarchisierung der Schlagzeilen von Le Monde als medialem Agendasetter bestimmt oder zumindest stark beeinflusst wird. Im Folgenden war es dann eine Reise von Ségolène Royal im Februar 2006 nach Chile zur Wahl der neuen (sozialistischen) Präsidentin Michele Bachelet, die Royals Präsidentschaftsambitionen in der politischen Öffentlichkeit unterstrich. Aufgebaut worden ist sie durch die Medien.

Zum zweiten Mal seit 1995 ist die Pariser Abendzeitung Le Monde, die sich normalerweise mit direkter politischer Einflussnahme oder Sympathiebekundung zurückhält und eher auf Qualitätsinformation setzt, unmittelbar in die politische Landschaft "heruntergestiegen". 1995 hatte sie den konservativ-liberalen Präsidentschaftskandidaten Edouard Balladur unterstützt, zu dessen Beratern der (wirtschaftsliberale) Aufsichtsratsvorsitzende des Le Monde-Medienkonzerns Alain Minc zählte. Und seit 2005 unterstützt die Pariser Abendzeitung, nicht allzu offen, aber dennoch klar vernehmlich, die Präsidentschaftskandidatur von Ségolène Royal.

Hingegen wurde es der seit 1981 sozialdemokratisch orientierten Tageszeitung Libération in den vergangenen Wochen zu bunt. Sie fing an, Royal und ihren Hang zum Anhängen an vermeintliche Strömungen in der öffentlichen Meinung offen zu kritisieren. Am 24. Oktober titelte die PS-nahe Tageszeitung über Royal : "Eine politische Linie, Tendenz ‚Marketing’." Es wurde nicht klar, wem bei der innerparteilichen Abstimmung stattdessen ihre Sympathien gelten konnten, obwohl eine gewisse Schonung für Dominique Strauss-Kahn angesagt zu sein schien.

Libération berichtete im Oktober auch ausführlich über ein Interview mit dem (2002 verstorbenen) französischen Soziologen Pierre Bourdieu, das drei Jahre vor seinem Tod aufgezeichnet worden war, bis dahin aber der Öffentlichkeit unbekannt geblieben war. Es war wenige Tage zuvor durch den Pariser Alternativ-Fernsehsender Zaléa TV ausgegraben worden. Bourdieu also urteilte 1999 in diesem Interview über die damals noch nicht so prominente Royal:

Wie heißt sie noch mal, die Frau von Hollande? Ségolène Royal! Eh bien, für mich zählt sie nicht zur Linken. Sie hat einen Habitus, ein Auftreten, ein Benehmen, die Ihnen anzeigt: ‚Sie gehört zur Rechten’.

Der Soziologe fuhr sogar fort, seines Wissens habe die junge Royal an der ENA - der Elitehochschule für Verwaltungswissenschaften, wo der Nachwuchs an Berufspolitikern und hohen Beamten gezüchtet wird - "sich die Frage der Wahl zwischen der Linken und der Rechten anhand von Karriereaussichten gestellt". Damals habe sie sich für die Sozialdemokratie entschieden, weil im konservativen Lager keine Plätze mehr zu erobern waren. Ob dem wirklich so ist, das kann freilich im Nachhinein schwer festgestellt werden. Im innerparteilichen Wahlkampf spielte es kaum eine Rolle. Denn auch Laurent Fabius war seit längerem aufgrund von Berichten ehemaliger Studienkollegen dafür bekannt, dass er auf der ENA längere Zeit zwischen dem Anschluss an die Sozialdemokratie und dem Beitritt zur christdemokratischen UDF gezögert hatte...

Und die beiden anderen Kandidaten?

Was aber vertraten nun die beiden Gegenkandidaten zu Ségolène Royal? Die drei Fernsehdebatten, die es ihnen erlaubten sollten, sich zu profilieren, ergeben in etwa folgendes Bild: Dominique Strauss-Kahn, Außenwirtschaftsminister in den frühen 90ern und Wirtschaftsminister von 1997 bis 99, setzt auf das, was er eine "moderne Sozialdemokratie" nennt. "DSK" tritt zwar wie seine Mitbewerber in Worten stets für mehr soziale Gerechtigkeit ein, verspricht sich diese allerdings in erster Linie von einem stärkeren Wirtschaftswachstum. Letzteres solle dadurch erreicht werden, dass Frankreich stärker in die Zukunftsbranchen der Bio- und Gentechnologie, der Pharmaindustrie und des Gesundheitssektors investiert. Soziale Fortschritte müssten vor allem durch Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften erzielt werden, die Politik könne dazu allenfalls Impulse geben. Eher schockierend aus sozialdemokratischer oder gewerkschaftlicher Sicht ist zudem, dass DSK sich im September dezidiert für eine stärkere Individualisierung und Flexibilisierung der Arbeitszeitpolitik aussprach. Das hätte in vielen Fällen real vor allem eine Ausdehnung der Arbeitszeiten bedeutet.

Fabius bezeichnete sich in seiner Kandidaturerklärung von Anfang Oktober als "Kandidat der Kaufkraft". Im innerparteilichen Abstimmungskampf setzte er voll auf das Image des Traditionssozialdemokraten, für den Umverteilung - und zwar ausnahmsweise von unten statt oben - noch kein Schimpfwort ist und der die Idee staatlicher Intervention in die Wirtschaft in Zeiten der viel beschworenen neoliberalen Globalisierung noch nicht in die Mottenkiste gepackt hat.

Ohne Verrenkungen konnte es dabei nicht abgehen. Denn sehr viele Leute können sich noch gut an die Amtszeit von Laurent Fabius als Premier erinnern oder an seine sehr viel jüngeren Leistungen als Wirtschaftsminister. Die Konversion des ehemaligen neoliberalen PS-Flügelmanns Laurent Fabius zum so genannten Traditionssozialdemokraten datiert erst aus dem Jahr 2004, als er die Auseinandersetzung um das bevorstehende Referendum über den EU-Verfassungsvertrag dazu nutzte, um sich ein völlig neues politisches Image zuzulegen. Aus dem Großbürger sollte nun ein Volkstribun werden, im Vorgriff darauf, dass letzterer irgendwann noch Präsident werden könnte. Sein historisches Vorbild, auf das er sich unaufhörlich bezog, ist François Mitterrand, der in den 70er Jahren die Devise ausgegeben hatte, dass man "die (sozialdemokratische) Partei von links her übernehmen" müsse, so lange man in der Opposition ist. Nur haben sich die Zeiten seit Mitterrands erstem Wahlsieg im Mai 1981 ziemlich geändert, und einige Desillusionen - vor allem auf der etablierten Linken - sind durchs Land gegangen.