Sind Tablets an deutschen Schulen der richtige Weg?

Seite 2: Die Auswirkungen der Onlinebeschulung

Unbestritten ist, dass die monatelange Onlinebeschulung während der Corona-Lockdowns erhebliche Lernrückstände und kognitive Defizite bei Heranwachsenden hinterlassen hat, die bis heute nachwirken. Immerhin hat sich das bis in die Politik herumgesprochen. Laut einer Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) ist der rein digitale dem analogen Unterricht deutlich unterlegen.

Daraus erwächst aber kein Umdenken, sondern lediglich ein Schwenk bei der Vermarktung. Seither ist man eifrig bemüht, den Einsatz digitaler Medien als Ergänzung zum Regelunterricht zu bewerben und das "Primat der Pädagogik" zu beschwören. Analoger Unterricht läuft hierzulande aber seit Jahren unter häufig unzulänglichen Bedingungen. Bundesweit fehlen Zehntausende Lehrkräfte und der Personalmangel könnte zum Einfallstor für den Einsatz digitaler Hilfsmittel werden.

Die Sorge treibt auch den Deutschen Ethikrat um. In seiner Stellungnahme "Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz" warnt er vor einer "vollständigen Ersetzung" von Lehrkräften, was auch nicht durch "akuten Personalmangel" und "eine schlechte (Aus-)Bildungssituation" zu rechtfertigen sei. Allerdings bleibt unterhalb von "vollständig" allerhand Spielraum für einen zumindest partiellen Lehrerersatz durch Technik.

Die Gefahren von Künstlicher Intelligenz

Dabei zeichne sich in Gestalt Künstlicher Intelligenz (KI) schon die "nächste Stufe der Automatisierung des Unterrichtens und Testens" ab, meint Ralf Lankau, der als Pädagoge und Medienwissenschaftler an der Hochschule Offenburg lehrt. "Die Art, wie in Deutschland mit KI in Schulen agiert wird, entspricht dem Einsatz von Fentanyl als Schmerzmittel in den USA. Es nimmt den Schmerz, macht aber sofort süchtig", bemerkte er gegenüber Telepolis.

"Wenn man Schülerinnen und Schüler dazu bringt, ChatGPT und Co. zu fragen, verlernen sie das Selberdenken und gewöhnen sich an computergenerierte Vorgaben. Lankau spricht von "intellektuellem Fastfood", wer kein Fachwissen habe – wie Schülerinnen und Schüler bei neuen Themen – müsse entweder alles aufwendig nachrecherchieren und überprüfen – was niemand macht – oder der Software glauben. "So schafft man Abhängige ohne eigenes Reflexionsvermögen, Hörige und Gläubige statt Wissende."

Lankau hat sich unlängst gemeinsam mit 40 Wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum mit der Forderung nach einem "Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen" an die Öffentlichkeit gewandt. "Es müssen zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden", heißt es in dem Aufruf.

Der Blick nach Europa

Kinder hätten "nur ein Leben, nur eine Bildungsbiografie, und wir dürfen damit nicht sorglos umgehen". Zu den Unterzeichnern zählen Erziehungs-, Sozial-, Humanwissenschaftler, Psychologen, Mathematiker, Informatiker, Gesundheitsforscher sowie Kinder- und Jugendärzte. "Intelligenter wäre es", schreiben sie, "von nationalen wie internationalen Praxiserfahrungen und Studienergebnissen zu lernen und darauf aufbauend Konsequenzen vor allem in der personellen statt der (medien-)technischen Ausstattung von Schulen und Ausbildungsstätten zu ziehen".

Weiterhelfen könnte ein Blick nach Schweden, wo die Regierung das Rollback zu Heften und Büchern propagiert. Oder zum französischen Nachbarn. Dort gilt seit 2010 ein Handyverbot im Unterricht, 2018 erweitert zum Komplettverbot internetfähiger Geräte in allen Räumlichkeiten und bei schulischen Aktivitäten auch außerhalb des Schulgebäudes. Die Niederlande führen 2024 ein Smartphone-Verbot an Schulen ein, Dänemark diskutiert darüber.

Und Deutschland? Bayern plant, in den nächsten fünf Jahren, 1,6 Millionen Schüler mit Tablets zu versorgen, und Baden-Württemberg will den Einsatz digitaler Geräte per Schulgesetz verpflichtend machen. So etwas nennt man wohl Lernrückstände.

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