Sind Telearbeiter zufriedener, gesünder und effizienter?
Eine internationale Studie sieht ein ambivalentes Ergebnis, Telearbeiter arbeiten mehr und intensiver, ihr Arbeitstag ist zugleich zerrissener und flexibler als der von (noch) "normalen" Arbeitnehmern
Telearbeit zeichnet sich dadurch aus, dass in der Regel die erst seit der Industrialisierung sich durchsetzende Trennung der Arbeits- und Wohnräume aufgehoben wird, wenn Zuhause gearbeitet wird. Zusätzlich zur räumlichen Entgrenzung werden die Grenzen zwischen (Lohn)Arbeit und Freizeit aufgehoben, da das Arbeiten in den räumlich entfernten Büroräumen die zeitliche Befristung der Anwesenheit in diesen mit sich bringt. Telearbeit begann schließlich mit dem Internet im Laufe der 1970er Jahre, dazu kam schließlich die mobile Anbindung an das Netz, die es im Prinzip ermöglicht, überall und zu jeder Zeit zu arbeiten. Die in den 1990er Jahren erfolgten Prophezeiungen, die das Ende der Büroarbeit und die Ausbreitung der Telearbeit vorhersagten, stellten sich bislang nicht ein. Telearbeit entwickelte sich langsam und geschieht oft noch abwechselnd mit dem Aufenthalt im Büro.
Eine internationale Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und von Eurofound fasst Untersuchungen über Telearbeit aus den Ländern Argentinien, Belgien, Brasilien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien Italien, den Niederlanden, Spanien, Schweden, Ungarn und den USA zusammen. Für Telearbeit sprechen größere Flexibilität, Vermeidung langer Fahrtzeiten und eine besseres Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie/Leben (work-life balance), wodurch sich die Zufriedenheit der Arbeitnehmer verbessern soll. Es herrscht aber in vielen Ländern gerade auf der Arbeitgeberseite noch eine zögerliche Öffnung für Telearbeit vor, vor allem weil die normalen "Befehls- und Kontrollstrukturen" nicht funktionieren und die Vorgesetzten einen Kontrollverlust fürchten, da das Vertrauen in die Arbeitnehmer nicht vorhanden ist.
In Deutschland fällt der Anteil von Telearbeit unter dem Durchschnitt der 10 EU-Länder und liegt weit hinter dem in skandinavischen Ländern. 12 Prozent der Arbeitnehmer arbeiten primär oder gelegentlich Zuhause, obgleich dies bei 40 Prozent der Arbeitsplätze möglich wäre. In Dänemark, Schweden oder den Niederlanden arbeiten mehr als 30 Prozent zumindest gelegentlich Zuhause. Meist wird Zuhause gearbeitet, ein geringerer Teil geschieht von unterwegs. Allerdings arbeiten etwa auch in Schweden die meisten nur zeitweise für ein paar Stunden in der Woche Zuhause und nur ein geringer Anteil drei und mehr Tage. In der EU haben 2015 17 Prozent der Arbeitnehmer zumindest gelegentlich Telearbeit geleistet, nur 3 Prozent regelmäßig. Am wenigsten Telearbeit wird in Polen, der Tschechischen Republik und Griechenland ausgeübt, das Schlusslicht bildet Italien. In den USA berichten 37 Prozent der Arbeitnehmer, dass sie 2015 Telearbeit zumindest gelegentlich ausgeübt haben. Allerdings sind die Angaben schwer zu vergleichen, weil eine einheitliche Definition von Telearbeit fehlt und die Daten sehr unterschiedlich erhoben wurden.
Klar ist jedenfalls, dass regelmäßige Telearbeit noch sehr selten zu sein scheint und dass überdies ein erheblicher Teil der Telearbeiter Selbständige sind. Vorrangig wird Telearbeit in der IT-Branche, im Finanz- und Versicherungssektor und bei wissenschaftlichen und technischen Beschäftigungen ausgeführt. Schwierig ist allerdings die Unterscheidung, ob Telearbeit als Ersatz für Büroarbeit oder als zusätzliche Arbeit ausgeführt wird.
Nach Auswertung von Studien über nationale Auswirkungen der Telearbeit gibt es durchaus positive Aspekte. So berichten Arbeitnehmer von einer Reduktion der Fahrtzeiten, einer größeren Autonomie über die Arbeitszeit, überhaupt einer größeren Flexibilität, einer höheren Produktivität und einem allgemein besseren Ausgleich zwischen Arbeit und Leben. Von letzterem profitieren auch die Unternehmen, weil das zu erhöhter Motivation, Effizienz und Produktivität führen und zudem die Attraktivität des Unternehmens erhöhen kann. Sie profitieren auch davon, dass praktisch in allen Ländern Telearbeit zu längeren Arbeitszeiten führt, auch wenn es sich oft nur um 2-3 Stunden wöchentlich handelt. Nach einer Umfrage in Frankreich sagten 60 Prozent der befragten Telearbeiter, ihre Arbeitszeit habe sich verlängert, was aber durch die Reduzierung der Fahrtzeit kompensiert wird. Die Fahrtzeit wird von Arbeitnehmern zur Arbeitszeit umgewandelt, was allerdings nur funktionieren dürfte, so lange die Arbeitsnehmer zunächst zur Arbeitsstelle gefahren sind und sich dann entlastet fühlen.
In der Regel wird, so die Studie, offenbar zusätzlich zur normalen Zeit gearbeitet. Nach einer Erhebung in der EU ist der Anteil der Arbeitnehmer mit einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden und mehr unter den Telearbeitern größer als unter den permanenten Büroarbeitern. Nach einer britischen Studie wird 80 Prozent der zusätzlich geleisteten Arbeitszeit bei Telearbeitern nicht vergütet (durchschnittlich 7,8%), bei den Büroarbeiter sind es 40 Prozent und durchschnittlich mit 5 Stunden auch weniger. Meistens sind die Telearbeiter auch außerhalb der normalen Arbeitszeit noch über Emails oder Telefon erreichbar. Ein Großteil der Telearbeit findet daher auch Abends statt, vor allem bei den "Wissensarbeitern", auch am Wochenende wird oft gearbeitet.
Verschmelzen von Arbeit und persönlichem Leben stresst und schafft mehr Autonomie
Wenig erstaunlich verändert sich durch Telearbeit auch der Ablauf der Arbeitszeiten. Kaum ein Telearbeiter bleibt innerhalb des üblichen Zeitblocks, viele fangen früher oder später an bzw. hören früher oder später auf. Zudem wird zwischendurch vieles nicht mit der Arbeit Verbundenes erledigt. So ist die Arbeitstag zwar länger, aber auch poröser und flexibler. Viele Telearbeiter schätzen die größere Autonomie, gleichzeitig wird aber die Durchdringung von Arbeit und Leben als Belastung beklagt, zumal der poröse Arbeitstag länger bzw. die ausschließlich für Familie/Freizeit verfügbare Zeit schrumpft und löchriger wird. In einer EU-Umfrage berichteten 38 Prozent der telearbeitenden Frauen und Männer, sie könnten sehr gut die Arbeitszeit mit sozialen und Familienverpflichtungen verbinden, bei den Frauen bzw. Männern, die an einem festen Arbeitsplatz im Betrieb tätig waren, sagten dies 30 bzw. 28 Prozent. Die Folgen von Telearbeit auf die Work-Life-Balance, so die Studie, seien stark ambivalent und teilwiese widersprüchlich.
Wie sich Telearbeit auf die Gesundheit auswirkt, ist noch wenig untersucht. Nach einigen Hinweisen wie einer EU-weiten Befragung könnte die mit Telearbeit verbundene höhere Arbeitsintensität zu etwas mehr Stress, Schlafproblemen und Burnouts zu führen. Das dürfte auch mit dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit zusammenhängen. Die Flexibilität könne einerseits positive Auswirkungen haben und zu größerer Arbeitszufriedenheit führen, aber irreguläre und unvorhersehbare Arbeitszeiten können ebenso belasten wie die oft mit Telearbeit verbundene größere Isoliertheit. Familienkonflikte ergeben sich, weil Arbeit und persönliches Leben sich überschneiden und Arbeits- und Familienanforderungen konkurrieren und ausgeglichen werden müssen. Zudem wird dem Aspekt der ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzes meist keine Aufmerksamkeit gewidmet.
Die Studie kommt allerdings zu dem Schluss, dass nach Untersuchungen Telearbeiter sich eher zufriedener und gesünder fühlen und von einer besseren Work-Life-Balance sowie weniger Stress berichten, wenn sie große Freiheit haben, wo und wann sie arbeiten. Allerdings könne die Autonomie auch nicht ganz die negativen Folgen von längeren und intensiveren Arbeitszeiten kompensieren (siehe auch: Arbeitet man am besten im eigenen Büro oder gleich Zuhause?). ILO fordert die Regierung auf, Regelungen zu entwickeln, um die positiven Auswirkungen zu verstärken. Verwiesen wird etwa auf Frankreichs "Recht, nicht verbunden zu sein" oder auf die Maßnahme einiger Unternehmen, Emails nicht mehr in Ruhe- oder Ferienzeiten weiterzuleiten.