Sind Wissenschaftler in Aktion die zeitgemäßen Performance-Künstler?

Das American Museum of Natural History zeigt 'The Genomic Revolution'

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Das American Museum of Natural History stellt ‘The Genomic Revolution’ zur Schau. Wo die allgemeine Öffentlichkeit aufgeklärt werden soll, sind die Übergänge zur Kunst fließend. Das genomische Weltbild wird dadurch jedoch nicht in Frage gestellt.

interaktives Kunstwerk von Camille Utterback: Veränderter Kopf eines Ausstellungsbesuchers

Wer braucht eine weitere Ausstellung über Genomforschung? In der Bundesrepublik Deutschland herrscht im "Jahr der Lebenswissenschaften" an Ausstellungen, Podiumsdiskussionen und Mitmachveranstaltungen zum diesem Thema kein Mangel. In den USA, immerhin das Land, in dem die neue Wissenschaft ihren Anstoß, wie auch ihre offenkundigste kommerzielle Verwertung gefunden hat, zieht die Genomforschung erst mit einiger Verspätung in die Museen ein. Am 26. Mai eröffnete in New York das American Museum of Natural History (AMNH) seine Pforten für The Genomic Revolution, bis dato in den USA die umfangreichste Ausstellung zu diesem Themenkomplex.

Bereits im letzten Jahr näherte sich "Paradise Now: Picturing the Genetic Revolution" in der New Yorker Gallerie ExitArt dem Thema von der künstlerischen Seite an und beleuchtete zahlreiche Verbindungen zwischen darstellender Kunst und Biologie. Der Tabubruch beispielsweise - früher ein Lieblingsmotiv der bildenden Kunst - gelingt ihr heutzutage immer schwieriger. Wer Aufsehen erregen will, dem empfiehlt sich heutzutage eine Karriere im Bereich der Lebenswissenschaften.

Molekulare Biologie verspricht Publizität, darum war es nur eine Frage der Zeit, wann sich darstellende Künstler gentechnologischer Maßnahmen bedienen würden, um diese Techniken zu kommentieren. Joe Davis vom Massachusetts Institutes of Technologies begann in den frühen 90er Jahren, genetisch veränderte Bakterien als Kunstform einzusetzen (Art as a Form of Life). Und im letzten Jahr erregte der in Chicago lebende Künstler Eduardo Kac mit seinem 'GFP Bunny' die internationale Aufmerksamkeit. Kacs Albino-Kaninchen leuchtet im Dunkeln, denn ihm wurde gentechnisch ein Gen für Fluoreszenz aus einer Qualle übertragen.

Alba, das fluoriszierende Kaninchen von E. Kac

Rob DeSalle, Kurator der AMNH-Ausstellung ist vorsichtiger: "Für unser Gefühl ist so etwas zu sensationsheischend und könnte beim Betrachter das Gefühl auslösen: Die Technologien sind klasse weil die Tiere so toll aussehen. Dies ist eine Wissenschaftsausstellung, die einen ausgewogeneren Blick auf die Technologien werfen soll."

Seinem Bildungsauftrag folgend, will das AMNH in erster Linie Informationen an die breite Öffentlichkeit liefern. Von der Geschichte der DNA-Entdeckung bis zu modernen Anwendungen in Medizin und Landwirtschaft wird die gesamte Spannbreite der genetischen Forschung zur Schau gestellt. Ganz in der Sprache der Doppelhelix sehen die Ausstellungsmacher soziale und wissenschaftliche Aspekte ineinander geschlungen. Exponate, die zum Verständnis der biologischen Sachverhalte beitragen sollen, sind deshalb ebenso zu finden wie Videoinstallationen mit Gesichtern und Soundbites bekannter Genkritiker wie Jeremy Rifkin.

Dass die ethische Diskussion – beispielsweise über Gentests - von einzelnen, persönlichen Fallbeispielen aus nachgezeichnet wird, und dabei den gesellschaftlichen Rahmen in den Hintergrund drängt, ist den Kuratoren durchaus erwünscht: "Mir scheint der beste Weg zu sein, über die persönlichen Wahlmöglichkeiten nachzudenken, denn Menschen können sich damit besser identifizieren", so LaSalle. "Wir werden keine gesellschaftliche Veränderung ohne die persönliche Entscheidung sehen, und das Nachdenken darüber wollen wir hier anregen."

behälter zur Aufbewahrung von DNA-Proben

Die Ausstellung will deutlich machen, dass es sich bei der Genomforschung um eine der rasantesten Technologieentwicklungen der Menschheitsgeschichte handelt. Ironischerweise fällt die vor zwei Jahren konzipierte Schau den wissenschaftlichen Umbrüchen selbst zum Opfer. Sie erscheint noch ganz vom Forscheroptimismus des Humangenom-Projekts beseelt, dass sich aus der Sequenzierung des menschlichen Genoms auch dessen Funktionen ableiten lassen. Dieser Optimismus wurde spätestens nach der Ankündigung im Februar 2001 gedämpft, der Mensch habe nur etwa 35.000 anstelle der ursprünglich angenommenen 100.000 Gene. Dass die Interaktion zwischen Genen, Proteinen und Umwelt weitaus komplizierter ist, als bisher angenommen, findet trotz angepasster Daten und rhetorischer Querverweise in der Werkschau kaum Ausdruck.

Möglicherweise ist hier die Grenze des Machbaren erreicht, was an komplexen Sachverhalten in einer verdaubaren und noch dazu optisch ansprechenden Weise zu präsentieren ist. Was einmal mehr deutlich macht, dass Wissenschaftsausstellungen Kunst sind. Das AMNH schlägt die Brücke vom Ort der wissenschaftlichen Aufklärung aber noch auf eine andere Weise: Spaß macht die AMNH-Ausstellung vor allem dort, wo sie sich als Performance erleben lässt: Im extra eingerichteten molekularbiologischen Labor für DNA-Sequenzierung. Dort stehen an ansprechend bunten Labortischen - für jede DNA-Base eine eigene Farbe - junge, latexbehandschuhte Damen und simulieren den Forschungsbetrieb. Sind Wissenschaftler in Aktion darum die zeitgemäßen Performance-Künstler, beziehungsweise umgekehrt?

Genchip

Wissenschaftssoziologen haben seit längerem auf den performative Charakter von biologischer Forschung hingewiesen. 'Natur' wird nicht entdeckt, sondern wissenschaftliche Erkenntnis wird in sozialer Interaktion erzeugt. Dasselbe gilt für Kunst. Sollte die neue Biologie also die Kunstform der Zukunft darstellen, dann ist das AMNH eines der wenigen Museen, welches Kunst nicht nur zur Schau stellt, sondern auch selbst fabriziert. Pünktlich zum Ausstellungsbeginn kündigte das AMNH die Eröffnung eines Institute of Comparative Genomics (ICG) an. In den zum Museum gehörenden Labortrakten arbeiten 40 Wissenschaftler und zahlreiche Hilfskräfte an einem Tree of Life, dem Stammbaum der Entwicklungsgeschichte des Lebens. Zu diesem Zwecke sind über eine halbe Millionen Gewebeproben von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen in flüssigem Stickstoff eingelagert, werden Genomanalysen unterzogen und fließen danach als Daten in den hauseigenen Supercomputer ein.

DNA Learning Lab

Das Bedürfnis für Biotechnologie-Performance findet sich auch im Begleitprogramm der Ausstellung wieder. Der Renner sind die bereits ausgebuchten Workshops zur Einführung in die Techniken der Molekularbiologie. Wo der kulturell interessierter New Yorker früher Töpfer- oder Malkurse belegte, wird er sich in Zukunft also der Entschlüsselung der eigenen Erbanlage widmen. In einer an sensuellen Ablenkungen nicht gerade armen Stadt wird The Genomic Revolution einen weiteren Baustein zum Edutainment-Spektakel liefern. "

"Das Spektakel kann nicht als Übertreibung einer Welt des Schauens, als Produkt der Techniken der Massenverbreitung von Bildern begriffen werden. Es ist vielmehr eine tatsächlich gewordene, ins Materielle übertragene Weltanschauung."

Was Guy Debord 1967 noch allgemein über "Die Gesellschaft des Spektakels" formulierte, macht auch den Doppelcharakter der AMNH- Ausstellung aus. Einerseits zeigt sie, dass heutzutage keine Darstellung von Genomics mehr ohne kritische Begleitmusik auskommt. Andererseits präsentiert sie Kritiker wie Befürworter auf der selben Seite, wenn es um die Machbarkeitswerwartungen geht. Mit gängigen Metaphern über die DNA als "Code der Codes" trägt sie letztendlich zu einer materiell gewordenen Weltanschauung bei.

Am Ende der Ausstellung läuft der Besucher durch das Gesichtsfeld einer Kamera und sieht auf einem Schirm seinen eigenen Umriss, dargestellt durch eine vielfarbige DNA-Sequenz. Dies bringt die Eingangsfrage, auf den Punkt, die versäumt wurde zu stellen: Steckt hinter dem bunten Geflimmer an G, A, C, T mehr als ein Schatten unserer selbst?