Skinheads in Osteuropa
Die Freiheit zum Hassen oder Hassen, um frei zu sein
Vor nicht allzulanger Zeit wurde auf einer großen Donaubrücke im Zentrum von Budapest eine einfache Botschaft mit grüner Farbe geschmiert: "Skins haben mehr Haare als Gehirn." Erstaunlich an diesem kleinen Graffiti war nicht der witzige Einfall in einer Zeit der kommerziellen, sinn- und bedeutungslosen Wandkunst, sondern daß es ein gutes Teil des Jahres dort stehenblieb. Überdies wurde es durch kein Gegen-Graffiti übermalt. Es blieb, bis die Stadtverwaltung es schließlich abwusch.
Die Bedeutung dieses Graffiti ist liegt zwar nicht auf der Hand, aber sie trotzdem wichtig: die Gefahr und der bedrohliche Einfluß von seiten der Skinheads sind in Ost- und Zentraleuropa weitgehend verschwunden. Das heißt nicht, daß es sie überhaupt nicht mehr gibt oder daß sie zu angesehenen Mitgliedern der Bürgergesellschaft geworden sind, sondern, ganz im Gegenteil, daß sie gegenüber den einzelnen dieselbe Gefahr wie überall auf der Welt darstellen. Die Angst aber am Beginn dieses Jahrzehnts, daß die Skinheads zu einer starken destabilisierenden Kraft in der Region werden könnten, hat sich, zumindest bislang, aufgelöst.
Als die ehemaligen kommunistischen Staaten im Osten 1989 unter den Einfluß von Reformen und Revolutionen gerieten, wurde die Entstehung von Skinheadgruppen zu einem großen Problem. Es schien, als hätten sich die Banden über Nacht über die ganze Region ausgebreitet. Doch die Vorstellung, daß das Ende des Kommunismus direkt zum Anstieg der Skinheadbewegung im Osten geführt habe, also daß die Menschen die Freiheit zu hassen gewonnen haben, trifft nicht zu und führt in die Irre. Wie bei der Kriminalität, der Pornographie oder anderen gesellschaftlichen Problemen übersieht der weit verbreitete Glaube, daß die Demokratie der Schlüssel war, mit dem die Büchse der Pandora geöffnet wurde, daß diese Laster auch während des Kommunismus vorhanden waren.
Zweifellos kam es im anfänglichen, mit der Systemveränderung verbundenen Durcheinander zu einem Anwachsen dieser Laster. Da alle negativen Nachrichten und Informationen in den Volksdemokratien unterdrückt wurden, ließ ihr plötzliches "Auftauchen" in den "reformierten" Medien die Zunahme dramatischer erscheinen, als er tatsächlich war. Mit dem scheinbaren Zusammenbruch und schlechten Ruf der autoritären Machtstrukturen war die Polizei selbst über ihre Rolle in der "neuen Weltordnung" unsicher und hielt daher ihre Autorität nur nachlässig aufrecht. Seitdem hat sie das Vertrauen und einen Großteil ihrer Autorität - innerhalb und außerhalb des demokratischen Systems - wieder zurückgewonnen.
Das will aber nicht sagen, daß das Verschwinden der Skinheadbewegungen im Osten nur das Ergebnis der Reintegration der Polizei in die Bürgergesellschaft sei. Das hat vielmehr mit dem zu tun, was man bissig das "eherne Gesetz der Oligarchie" nennt. Anders gesagt wurde das Geld zur treibenden Kraft jeder Art von Aktivität oder Bewegung. Eine gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Philosophie hat keine Bedeutung mehr und wurde dem alles durchdringenden Paradigma angepaßt.
Da die Skinheadbewegungen im Osten nationalistisch sind, sollte es nicht überraschen, daß die verschiedenen kommunistischen Regierungen sich Mühe gaben, sie einzudämmen, und daß sie sich weigerten, deren Existenz einzuräumen. Dennoch nutzten einige Regierungen die Skinheads zu ihrem Vorteil. Da sie ethnische Minderheiten, besonders die Roma, zu ihren Angriffszielen machten, wurden Skinheadgruppen in Ländern wie Rumänien oder der früheren Tschechoslowakei toleriert und arbeiteten gelegentlich eng mit den dort aktiven extremen nationalistischen Gruppen zusammen.
Mit dem Fall der Berliner Mauer schlossen sich die Skinheads schnell mit den rechtsextremistischen Nationalisten zusammen. Manche Politiker machten keine Anstrengungen, ihren Flirt oder gar ihre Zusammenarbeit mit Skinheadgruppen zu verbergen. Ganz ähnlich suchten Skinheads sich weit rechts stehende, oft antisemitische nationalistische Parteien wie die ungarische Wahrheits- und Lebenspartei aus, um in ihrem Rang aufzusteigen.
Seitdem ist es aber nicht mehr Mode, Skinheads in der Partei zu haben. Zunächst wurden Skinheads toleriert, weil sie explizit für nationalistische Ideen eintraten. Nachdem sie jetzt das politische Klima etwas beruhigt hat, ist ein extremer Nationalismus kein wirksames Mittel mehr. Die Menschen beschäftigen sich eher mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit als mit einer vagen nationalistischen Rhetorik. Demgemäß haben viele rechtsstehende Politiker ihre Rhetorik gemäßigt und sich öffentlich von den Skinheads distanziert. Sie halten sich lieber an die Normen der parlamentarischen Demokratie.
Obgleich es Tausende geben mag, die sich selbst Skinheads nennen, können nur wenig von ihnen zu den wirklichen Skinheads gezählt werden. Die Aufmachung der Skinheads im Osten spiegelt die im Westen wider: kurzgeschorene Haare, glänzende schwarze Stiefel, ein schwarzes Polohemd und eine Bomberjacke. Viele kommen wie im Westen aus den Reihen enttäuschter Jugendlicher, die eine Gruppenidentität mit eigenen Regeln und Kleidungsvorschriften mögen und offensichtlich mehr am öffentlichen Bild der Bewegung als an der Bekämpfung der Ideologie interessiert sind.
Auf viele Weisen sind die Skinheads in Ost- und Zentraleuropa lebende Paradoxien. Auch wenn sie vorgeben, eine politische Positionen zu repräsentieren, so haben doch die meisten wenig oder gar kein Verständnis vom politischen Prozeß. Überdies behaupten sie, daß sie, auch wenn sie eine vage nationalistische Philosophie besitzen, keine Faschisten seien, sondern nur Patrioten. Ironischerweise haben ihre Symbole, ihre Musik, ihre Kluft und ihr vages Geschichtswissen, auf das ihr angeblicher Nationalismus aufbaut, dazu geführt, daß sie die Unterstützung wirklicher Nationalisten verloren haben.
Sogar innerhalb der Skinheadbewegungen scheint es "Meinungsverschiedenheiten" zu geben. Während eines Vorfalls in Budapest waren Skinheads dazu entschlossen, nicht Zigeuner, Schwarze oder Araber zu verprügeln, sondern aufeinander einzudreschen. Albert Szabo, der bekannte Führer der ungarischen Skinheads, mußte verzweifelt die Polizei anrufen, als seine 30 Mann starke Gruppe anderen 60 wütenden Skinheads gegenüberstand, die mit Baseballschlägern, Knüppeln und anderen Waffen der Skinheads ausgerüstet waren. Die Auseinandersetzung brach offenbar wegen "ideologischen Unterschieden" aus. Eine Gruppe, so sagte man, sollte einer "freimaurerischen, anarchistischen" Splitterfraktion angehören. Die Schlacht wurde durch das Auftauchen von 13 Polizeiautos, 2 Einsatzwagen und einer Spezialeinheit verhindert.
Auch wenn es unwahrscheinlich ist, daß die Skinheads im Osten zu einer politischen Macht werden, die dieselben destruktiven Kräfte entfesselt, die vor 50 Jahren den Kontinent zerrissen haben, sind die Behörden ihnen gegenüber leider zu nachlässig. Zentral- und Osteuropa wird sich noch weiterhin verändern und es gibt keine Garantie, daß der jetzt vorhandene wackelige Frieden anhalten wird. Auch ein wirtschaftlicher Zusammenbruch kann nicht ausgeschlossen werden, der zu einer Wiederbelebung der Skinheadbewegung führen könnte. Schließlich gibt es viele Vernetzungen zwischen Skinheadgruppen im Osten und Westen (vor allem in Deutschland und in den USA). Das sind Organisationen, die einander nicht nur unterstützen, sondern die mit der Hilfe des Internet die Art und Reichweite ihrer Aktivitäten und Bedeutung verstärken.
Die Skinheads sind geschwächt, aber nicht am Ende.
Siehe auch John Horvaths Bericht über die Grufties in Osteuropa
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer