Skripal-Fall: Petrows und Boschirows Auftrag
Seite 3: Schaffung von Tatverdächtigen
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Gratschow ist davon überzeugt, dass Petrow und Boschirow während ihres Aufenthalts in Großbritannien vom MI5 observiert wurden. Zumindest wusste der britische Geheimdienst durch die Angaben auf den Visa-Anträgen frühzeitig, dass und wann beide Salisbury aufsuchen würden, da eine Bearbeitung vier bis sechs Wochen dauert. Es hätte somit genügend Zeit bestanden, eine Aktion zu planen, in der die beiden Russen als Sündenböcke fungieren würden. Um der Öffentlichkeit glaubhafte Indizien zu liefern, hätte es lediglich geeigneten Überwachungsmaterials bedurft, das sie als Tatverdächtige erscheinen lässt.
Angesichts der Vielzahl der aufgestellten Kameras mussten Videoaufzeichnungen in einer Gesamtlänge von 4000 Stunden gesichtet werden. Ganze drei Aufnahmen wurden herausgepickt, um die Bewegungen der beiden Russen in Salisbury außerhalb des Bahnhofs zu dokumentieren. Da es Dutzende von Bilddokumenten geben dürfte, auf denen beide zu sehen sind, könnte angenommen werden, dass entlastendes Material zurückgehalten wurde. Gleichsam wurden zum Teil nur Ausschnitte präsentiert, wie ein an die Öffentlichkeit gelangter Fotovergleich zeigt. Schließlich gab es bei den Zeitangaben mehrere Unstimmigkeiten.
Um die Bewegungen von Petrow und Boschirow zu ermitteln, hätte es nicht der Kameraaufnahmen bedurft, falls der MI5 beide beschattet hätte. Ob dies zutraf und ob es von ihnen bemerkt worden wäre oder nicht, hätte letztlich keinen Einfluss auf ihr Verhalten gehabt, wenn sie keine kriminellen Absichten verfolgt haben. Dass sie auf allen veröffentlichten Bildern recht gelassen und entspannt wirkten, kann als weiteres Indiz für eine Kuriertätigkeit und gegen ein Mordkomplott angesehen werden.
Schuldkonstruktion mit Chancen und Risiken
Sollte sich Gratschows Version als korrekt erweisen, dann konnten die britischen Ermittler sicher sein, dass die Tatverdächtigen alles tun würden, um den Zweck ihres Besuchs wie auch ihre personellen Hintergründe zu vertuschen. Möglicherweise trugen sie falsche Namen, etwa damit nicht ihre familiären Bande bekannt würden und Angehörige bedroht werden könnten. Ebenso können sie in jungen Jahren eine Militärlaufbahn eingeschlagen haben und in die Fänge des GRU geraten sein. Das Hauptmotiv für ihre Schweigsamkeit dürfte jedoch darin bestanden haben, ein Durchsickern von Informationen zu illegalen finanziellen Machenschaften ihres Mäzens an die Öffentlichkeit zu vermeiden.
Wenn diese Umstände es den britischen Ermittlern auch erleichtert hätten, Petrow und Boschirow als Attentäter erscheinen zu lassen, so müssten zugleich Risiken identifiziert und minimiert werden. Größere Probleme hätten Zeugenaussagen zu den Bewegungen der beiden verursachen können. Die Bemühungen, durch eine gezielte Auswahl von Bildmaterial den Verdacht auf sie zu lenken, wären eventuell durch Zeugen unterlaufen worden. Im schlimmsten Fall hätten beide ein wasserdichtes Alibi erhalten.
Obwohl sich Petrow und Boschirow bereits frühzeitig im Fadenkreuz der polizeilichen Ermittlungen befanden, wurde dies vor der Öffentlichkeit monatelang verheimlicht. Es verging exakt ein halbes Jahr, ehe die Metropolitan Police ihre Namen, Bilder und vermeintliche Indizien publizierte. Das präzise Timing mag Zufall sein, es kann aber auch auf einem früheren Beschluss beruhen, in dem die Zeitspanne von sechs Monaten als angemessen erachtet wurde, um Erinnerungen zu löschen. Die Aufforderung an die Bürger, der Polizei bei der Erstellung eines Bewegungsprofils der Tatverdächtigen zu helfen, kann angesichts dieser Verzögerung nur als Verhöhnung der Öffentlichkeit betrachtet werden.
Abschließend sei die Frage gestellt, weshalb die russische Führung darauf verzichtet haben sollte, die tatsächlichen Umstände des Aufenthalts von Petrow und Boschirow in Salisbury bekannt zu machen. Ein Grund wären die bisherigen Erfahrungen einer mangelnden Bereitschaft des Westens, von der russischen Seite vorgebrachte Informationen und Belege unvoreingenommen zu behandeln. Spätestens seit der Ukraine-Krise und besonders anlässlich der Vorwürfe von Giftgaseinsätzen in Syrien ist deutlich geworden, dass russische Initiativen einer Aufklärung von westlichen Politikern und Medien torpediert werden.
Ein anderes Motiv findet sich in dem Bemühen, die Oligarchen dazu zu bewegen, ihre im westlichen Ausland befindlichen Vermögen zu repatriieren. Neben Sanktionen gibt es auch andere Risiken für russisches Kapital, und hier lässt sich der Skripal-Fall als Lehrbeispiel anführen, mit welchen Schwierigkeiten bei Auslandsaktivitäten gerechnet werden muss. Eine Kompromittierung des Auftraggebers von Petrow und Boschirow durch ein Aufdecken unlauterer Geschäfte hätte die Oligarchenkreise unnötig erzürnt. Dagegen dürfte die Botschaft der russischen Führung ihre Adressaten erreicht haben.