Somalia: Vom Terroristen zum Retter der Nation

Mit Scheich Ahmed wurde der Führer der von den USA bekämpften Union der Islamischen Gerichte zum neuen Präsidenten Somalias - die neue US-Regierung gratuliert

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Somalia hat einen neuen Präsidenten: Scheich Sharif Scheich Ahmed, den man vor zwei Jahren als Führer der "Union der Islamischen Gerichte" (ICU) noch vertrieben hatte. Nach Frieden sieht es jedoch nicht aus. Militante Islamisten, die große Teile des Landes komntrollieren, wollen weiter kämpfen und äthiopische Truppen stehen an der Grenze.

Nach der Wahl von Scheich Ahmed zum Präsidenten glaubte man, dass das Land am Horn von Afrika endlich zur Ruhe kommen könnte. Das somalische Parlament hatte den ehemaligen Geografielehrer aus Mogadischu als Integrationsfigur gewählt, der die unterschiedlichen somalischen Fraktionen endlich zum Frieden bewegen soll. "In Somalia denkt heute jeder, er oder sie habe Recht, und verweigert deshalb jeden Dialog. Wir müssen mit dieser Kultur Schluss machen, uns zusammensetzen, miteinander sprechen und Lösungen für unsere Probleme finden."

Ganz so einfach wird das nicht gehen. Seit 1991, nach dem Fall des Diktators Mohamed Said Barre 1991, war das Land 16 Jahre lang ein einziges Desaster und Spielball internationaler Politik. Somalia wurde von "Warlords" beherrscht, die unterschiedliche Gebiete kontrollierten und in denen oft minderjährige und unberechenbare Milizsoldaten "Wegezoll" abkassierten. Ein Land, in dem das Recht des Stärkeren galt, ein Horror für die Zivilbevölkerung.

Erst als die "Union der Islamischen Gerichte" (ICU) im Juni 2006 die Kontrolle über die Hauptstadt Mogadischu übernahm, endete Chaos und mörderische Willkür. In Somalia schienen sich nun stabile Verhältnisse zu entwickeln. "Was relativ erfrischend an dieser Gruppe ist", meinte damals Abdi Samatar, der in Somalia geborene Professor an der Universität von Minnesota, "dass sie kein Interesse haben, eine Regierung zu werden. Sie wollen nur Bedingungen für die Bevölkerung schaffen, die es ihr ermöglicht, zu bestimmen, was man will."

Sheich Sharif Ahmed war der Führer der ICU, die nach der Scharia, dem islamischen Rechtscodex, Entscheidungen traf. Nach Jahren der Gesetzlosigkeit war die Bevölkerung dankbar für ein Stück Rechtssicherheit und vor allen Dingen Frieden.

Nur die USA unter dem alten Präsidenten George W. Bush war ein islamisches Somalia ein Dorn im Auge. Man befürchtete ein zweites Taliban-Regime wie in Afghanistan. Im Kampf gegen die Islamisten hatte man sogar "Warlords" unterstützt, die Jahre zuvor noch Feinde. Man bat Äthiopien um Hilfe, einen seit langen Jahren Verbündeten, der seit 2002 200 Millionen Dollar an Militärhilfe erhalten hatte. Im Dezember 2006 beginnt die äthiopische Invasion und nur zwei Monate später ist Somalia unter Kontrolle, der ICU vertrieben, ihr Führer Scheich Sharif Ahmed im Exil in Kenia. "Wir haben eine enges Arbeitsverhältnis", sagte der Sprecher des Pentagons Leutnant Joe Carpenter. Dazu gehörte der Austausch von Geheiminformationen, Waffenhilfe und militärische Ausbildung. Rund 200 CIA- und FBI- Beamte hatten ihr Camp im Hotel Sheraton von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, aufgeschlagen.

Trotz dem "Blitzkriegerfolg" scheiterte George W. Bush mit seiner Somalia-Mission, ebenso wie schon sein Vater, der 1992 Tausende von US-Truppen ans Horn von Afrika befohlen hatte.

2007 begannen radikale Splittergruppen der ICU, darunter al-Shabab (Jugend), einen Guerilla-Krieg gegen die äthiopischen Invasoren und bekamen mehr und mehr Zulauf (Die KfW und die Schulden aus der Kaiserzeit). Die Lage schien außer Kontrolle zu geraten und die USA entschieden sich für einen Friedensprozess unter der Leitung der UNO. Im August 2008 wurde ein Friedensvertrag von dem damaligen Präsidenten Abdullahi Yusuf und dem ICU-Chef Scheich Sharif Ahmed unterzeichnet. Etwas, das als unvorstellbar galt. Gleichzeitig wurde ein neuer Dachverband, die "Allianz der Wiederbefreiung von Somalia" (ARS) gegründet, in der der ICU ein von mehreren Mitgliedern wurde.

Radikale Islamisten wollen weiterkämpfen

Im Rahmen des Abkommens erfolgte Ende Januar 2009 der Abzug Äthiopiens, die von Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AU) ersetzt werden. Gleichzeitig stockte man das somalische Parlament um 200 Sitze auf, die Vertreter der ARS erhielten, was die Wahl Scheich Sharif Ahmed zum Präsidenten erst möglich machte. Ausgerechnet den Mann, den man als Führer der ICU im Dezember 2006 auf Veranlassung der USA vertrieben hatte. Etwas überraschend lobte dieser plötzlich den einstmalig so verhassten Gegner: "Wir glauben, dass die US-Position bezüglich Somalia positiv und ehrlich geworden ist." Offensichtlich hat es mit der neuen US-Regierung von Präsident Barak Obama Absprachen gegeben, die Scheich Ahmed auch ganz offiziell zu seinem Wahlsieg gratulierte.

Eines von vielen "Bäumchen-wechsel-dich-Spielen" in der Bürgerkriegsgeschichte Somalias, für die die Politiker gewöhnlich nicht die Folgen tragen. Dieses Mal kostete es rund 16.000 Menschen das Leben, 30.000 wurden verwundet und etwa 1 Million sind Flüchtlinge .

2006 war Scheich Ahmed ein blutrünstiger Terrorist, 2009 ist er der Retter der Nation und der Demokratie. Wie lange er das allerdings bleiben wird, hängt davon ab, ob er die militanten Islamisten, wie al-Shabab, befrieden kann. Sie waren Teil der ICU und halten ihren ehemaliger Führer für einen Verräter. Man glaubt, Scheich Ahmed habe den USA zu viele Zugeständnisse gemacht und auch zugesichert, dass es einen somalischen Staat auf Basis der Scharia nicht geben wird.

Al-Shabab will gegen die neue Regierung weiterkämpfen, wie auch gegen die AU-Friedenstruppen, die als neue Besatzer gesehen werden. Die AU soll nach Angriffen der Islamisten mehrfach blindlings Zivilisten getötet haben. "Wir brauchen sie nicht, wenn sie unsere Leute massakrieren", sagte Scheich Mukhtar Robow, ein al-Shabab-Führer. "Ich fordere alle heiligen Krieger im Land auf, ihren Kampf gegen sie zu intensivieren."

Nicht zu vergessen, sind die äthiopischen Truppen, die immer wieder in somalisches Territorium eindringen und die Lage damit noch komplizierter machen.

Überraschend flog der neue Präsident bereits am Samstag aus dem Exil in Dschibuti nach Mogadischu. Er wird erste Gespräche mit Clan-Ältesten, Politikern und islamischen Widerstandsgruppen halten. Sicherlich ein Risiko, da Al-Shabab und andere ihm feindlich gesinnte islamistische Milizen große Teile Somalias und der Hauptstadt kontrollieren Undenkbar wäre vorerst eine Reise in die Stadt Baidoa, wo der Präsidentenpalast steht und sich der eigentliche Sitz des Parlaments befindet.

Scheich Sharif Ahmed muss sehr bald die radikalen Islamisten zum Frieden bewegen und sie davon überzeugen, nur mehr im Parlament weiter zu kämpfen. Und dann sind da noch die Piraten an der somalischen Küste, die ihre Finger von der internationalen Schifffahrt und den millionenschweren Erpressungsgelder lassen muss. Sollte das alles nicht ganz im Interesse der USA laufen, könnte es leicht passieren, dass das Weiße Haus wieder einmal über einen Regierungswechsel in Somalia nachdenkt.