Soziale Software schreiben

Programme und Protokolle sind so sozial wie ihre Macher

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Auf der transmediale in Berlin wurde die Diskussion über "social software" eröffnet. Unklar blieb, ob Software immer gesellschaftliche Wirkungen hat und von vornherein politisch ist, oder ob nur bestimmte Applikationen das Verhalten der Nutzer in besonderer Weise beeinflusst und deswegen als soziale Software zu bezeichnen ist. Oder ist ihr Kennzeichen vielleicht einfach der offene Quellcode?

Rena Tangens hat wenig Verständnis für Freaks, die sich wegen ihrer virtuosen Beherrschung des Editors vi "für die Krone der Schöpfung halten" und ihre Programmierarbeit als Geheimwissenschaft verstehen. Der Mitbegründerin des Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (Foebud) zufolge sollte eine Grundbedingung für die Erstellung von Software oder Web-Interfaces lauten, "Leute nicht auszuschließen".

Doch die Realität sieht in der Regel anders aus: Programmierer und Designer sitzen an Standleitungen vor ihren Power-Maschinen und haben den gemeinen Nutzer und seine Bedürfnisse längst aus den Augen verloren. Selbst Unternehmen, denen eigentlich an der bestmöglichen Vermarktung ihrer Produkte gelesen sein sollte, entwickeln anwender-unfreudliche Konzepte oder kapitulieren stillschweigend vor den Mach(t)werken der Softwaredesigner.

Eine Lieblingsfolie Tangens' zeigt beispielsweise einen frühen Aufriss der Heimvernetzungspläne der Deutschen Telekom. Darauf führt eine fette Kabelleitung ins Wohnzimmer und eine klitzekleine Telefonleitung raus aus dem Haus zum Server der ehemaligen Bundespostgruppe. Die Rolle für den Konsumenten wird durch die einzigen zwei Begriffe vorgezeichnet, die im Hausinneren zu lesen sind: "Order and Pay".

"Wir hatten von der vernetzten Welt von Anfang an eine ganz andere Vorstellung", beruhigte Tangens am Donnerstag während der transmediale in Berlin die versammelte Netzgemeinde. In einem Panel zum Thema "Soziale Software" setzte die Häckse hinter so manches von Technikern entworfene Computerkonzept dicke Fragezeichen und stellte auch für Laien handhabbare Alternativen vor.

Bei den Mailboxen wie Bionic oder Zerberus, die Foebud bereits lange vor dem eigentlichen Webhype beispielsweise zur Vernetzung des ehemaligen Jugoslawiens betrieb, hatte der Verein nicht nur auf "low tech" und "low cost" gesetzt. Neben den ersten Mailreadern, die keine permanente Online-Verbindung benötigten, implementierten Tangens und ihre Crew bei Zerberus auch die erste automatische Verschlüsselung der zentralen Postfächer. Selbst die Systemadministratoren konnten so die ausgetauschte E-Post nicht mehr lesen. Das Prinzip der "informationellen Selbstbestimmung", das für Tangens gleich neben dem der Nicht-Ausschließung steht, war damit zum grundsätzlichen Architekturbestandteil der Mailbox befördert worden.

Die Kluft zwischen Technikern und dem Rest der Welt

Die gegensätzlichen Beispiele zeigen, wie Software Kommunikationsformen prägt sowie die Art und Weise beeinflusst, wie wir mit Hilfe von Rechnern und Netzwerken handeln. Software wiederum ist kein Geschenk des Himmels, sondern von Menschen gemacht. Programme und Protokolle sind für Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin daher prinzipiell "immer sozial". Code reflektiert ihrer Meinung nach "die kulturellen Vorstellungen seiner Autoren". In ihm finden sich die Stereotypen und die Handlungsnormen der Programmierer wieder. Freiheiten wie Zwänge, die Software dem Nutzer zugesteht beziehungsweise auferlegt, werden damit zu Designentscheidungen.

Nicht verwunderlich ist für die Politologin daher, dass der Begriff Protokoll für einen technischen Standard letztlich aus der Diplomatensprache stammt, die ebenfalls stark durch Konventionen geprägt ist. Die Unterscheidung zwischen Protokollen, die das Verhalten von Maschinen auf der einen und das von Menschen auf der anderen Seite regeln, sei damit hinfällig.

Nun ist die gesellschaftliche und politische Macht der Programmierer an sich zunächst kein Problem. Heikel wird das Ganze allerdings, klagt Hofmann, da Techniker nicht bereit seien, über die sozialen Implikationen ihrer Arbeit zu sprechen, oder sie überhaupt nicht wahrhaben wollten. Die Entwicklung von Technik werde nach wie vor als eine Angelegenheit betrachtet, die im privaten Schrebergarten stattfinde und wo niemand reinzureden habe. Bestes Beispiel für diesen Geist ist für Hofmann die "vergiftete Debatte rund um ICANN": Die Mitarbeiter der Netzverwaltung ICANN würden den "rein technischen Aspekt" der Kontrolle des virtuellen Namenraums vor allem deswegen immer wieder betonen, um Surfern und Sozialwissenschaftlern das Mitspracherecht zu verweigern.

Die Lösung des Verständnisproblems zwischen Geisteswissenschaftlern, normalen Anwendern und der Technikergemeinde könne aber nicht darin liegen, "in jedes Programmierteam einen Politologen zu stecken", glaubt Dieter Otten. Der Soziologieprofessor an der Universität Osnabrück kennt als gelernter Mathematiker beide Welten. Als Vater des Projekts Internetwahlen arbeitet er zudem eng mit Programmierern zusammen und kann daher ein Lied davon singen, dass viele von der Sensibilität ihres Berufs nicht viel wissen. "Das sind meist Jungs, die in Mathe eine 1 hatten, aber nicht fähig sind zu kommunizieren", gewährte Otten Einblicke in die Szene. Sie müssten aber begreifen lernen, "dass sie eine politische Arbeit machen". Mehr Profitum könne dabei nicht schaden.

Ist nur freie Software soziale Software?

In der von den Theoriediskursen weitgehend unberührten Praxiswelt der Programmdesigner herrscht derweil noch Unklarheit über die Definition sozialer Software. Georg Greve, Chef der erst im November als Tochter der US-Mutterorganisation ins Leben gerufenen Free Software Foundation Europe, stellte auf der transmediale beispielsweise die Behauptung auf, dass nur "freie Software soziale Software sein" könne. Jeder Anwender muss seiner Meinung nach die Freiheit haben, Programme zu benutzen, sie weiterzugeben und sie zu verändern. Außerdem sei es für den Nutzer angesichts zahlreicher im Code zu versteckender Fallen nötig, dass er Programmfunktionen anhand eines offengelegten Quelltextes nachvollziehen könne. Das Missbrauchspotenzial der Designer wird in diesem Falle durch die Offenheit der Strukturen eingeschränkt.

Andere Beobachter sehen unter dem Label "Soziale Software" wiederum Programme versammelt, die sich etwa im Bildungsbereich einsetzen lassen und den Austausch oder die Verdichtung von Informationen mit bestimmten Funktionen unterstützen. Auf der transmediale wurden einige Projekte vorgestellt, die von der Entwicklung konnektiver Schnittstellen bis zu Visualisierungs- und Vergleichssystemen für die Festplattenstrukturen unterschiedlicher Nutzer reichten. In der Regel geht es dabei um Versuche, Daten und Informationen besser zugänglich zu machen.

Meta-Archive, Assoziationsblaster und die Organisation von Dateien auf Festplatten

Christian Hübler, Mitglied der Aktivistengruppe Knowbotic Research, gewährte beispielsweise Einblicke in die Funktion einer "Grouplet-Software", mit der die Surfer Streaming-Aufzeichnungen besser verwerten können. Mit der Lösung lassen sich Markierungen im Video- oder Audiostrom setzen, Stücke ausschneiden oder Playlists erstellen. Einzelne Ausschnitte können auch an Freunde weiterverschickt oder in Webforen diskutiert werden.

Um Groupware handelte es sich auch bei den Lösungen, die der Netzwissenschaftler Heiko Idensen in den Bereich Soziale Software einordnete: Er schwört auf die Online-Datenbanken Assoziationsblaster und GVOON, mit denen das kollaborative Arbeiten an Texten durch zahlreiche Statistikfunktionen erleichtert wird. Einen interessanten Ansatz sieht Idensen auch bei der Enzyklopädie Nic-las.com, einem virtuellen Zettelkasten rund um die Lehre Niklas Luhmanns.

Thomax Kaulmann, einer der Programmierer der längst wieder im Cyberrauschen verschwundenen Internationalen Stadt Berlin, präsentierte das Open Meta Archive (OMA) als gesellschaftlich relevante Software. Ähnlich wie bei all seinen bisherigen Projekten wie dem Open Radio oder dem Open Video Archive geht es Kaulmann dabei um die Kreation gigantischer Sammelstätten für Multimedia-Dateien und autonomer, leicht durchsuchbarer Netzwerke. Der Geek nervte das transmediale-Publikum allerdings mit der Demonstration der Sprachfertigkeiten seines Linux-Computers, die ein Negativbeispiel für anwenderfreundliche Software boten: Er ließ den Rechner seinen gesamten Vortragstext "sprechen", so dass wegen der Rechnermonotonie nur die Hälfte verständlich war.

Einen interessanten Ansatz für eine die Daten zahlreicher Nutzer verdichtende sowie Matchmaking-Prozesse unterstützende Software stellte schließlich Joel Slayton, Geschäftsführer des im Silicon Valley beheimateten Startups C5 und Professor für New Media an der San Jose State University vor. Seine kostenlose Applikation SoftSub firmiert als Screensaver auf den Rechnern der User und erstellt im Ruhezustand visuelle Profile der Datei-, Ordner-, Schreibtisch- und Festplattenorganisation anhand von 18 Charakteristika.

Diese Messungen werden bei einer Netzverbindung auf den zentralen Softsub-Server geladen und dort mit den Analysebildern der anderen Anwender verglichen. In einem nächsten Schritt soll es dann möglich sein, Surfer mit ähnlichen Organisationsstrukturen zusammenzuführen. Vom Panelmoderator handelte sich Slayton, der auch Chefredakteur des Überwachungstechniken thematisierenden Online-Magazins Switch ist, die Kritik ein, dass mit der Software ja die Festplatten der Nutzer ausspioniert würden. Doch Slayton machte klar, dass es keineswegs um Inhalte von Dateien, sondern nur um ihr Ablagesystem gehe. Der Fokus auf den Content ist für ihn eine reine "Ablenkung".

Ob sich der Begriff der Sozialen Software durchsetzen wird und ob damit nun alle von Rechner interpretierbare Applikationen und Protokolle gefasst werden sollen oder nur Programme, die das Zusammenarbeiten der Surfern in besonderer Weise unterstützen, konnten die Panelteilnehmer auf der transmediale nicht klären. Mehr als ein Anstoß zum weiteren Nachdenken über die gesellschaftsprägende Kraft von Programmierern konnte die Diskussionsrunde jedenfalls nicht geben.