Sozialer Zusammenhalt in Deutschland "gut"?

Seite 2: Akzeptanz von Diversität: Die hypothetischen Nachbarn

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Lackmustest für die Akzeptanz gesellschaftlicher "Diversität" (Vielfalt) ist in der Studie, welche Menschen man als Nachbarn in Ordnung findet. Der großen Mehrheit der Bürger ist danach eigenen Angaben zufolge jedweder Nachbar lieb. Jeder vierte Befragte bundesweit hätte allerdings eher "ungern" "Menschen mit ganz anderem Lebensstil" neben sich.

22 Prozent wären von "Ausländern/Migranten" weniger begeistert, während jeweils 13 Prozent lieber nicht neben Menschen mit anderer Religion bzw. neben Homosexuellen wohnen möchten. Während die Einwohner der ostdeutschen Flächenstaaten "Ausländer/Migranten" zu 31 (Brandenburg) bis 43 Prozent (Sachsen) als Nachbarn unangenehm fänden, sind die in Hamburg (10 %), Bremen (14 %), Hessen (17 %) , Rheinland-Pfalz (17 %) , Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen weniger negativ eingestellt. Bei all diesen Antworten ist allerdings offen, ob jeder Interviewte sich in einer konkreten Situation auch so verhalten würde, wie im Interview behauptet.

Im Kern geht es den Bertelsmann-Forschern beim Stichwort Diversität/Vielfalt erklärtermaßen darum, ob man "Personen mit anderen Wertvorstellungen und Lebensweisen als gleichberechtigten Teil der Gesellschaft akzeptiert". Nun kann man darüber streiten, ob man jeden Menschen, den man "akzeptiert", auch zwangsläufig als Flur-Nachbarn mögen muss.

Noch mehr drängt sich allerdings die Frage auf, warum die "Akzeptanz von Diversität" zwar Religionen, Herkunftsländer und sexuelle Orientierungen einschließt, nicht aber Unterschiede im sozialen Status (Stichwort Sozialwohnungen in Neubauvierteln) oder andersartige politische Grundeinstellungen - die unbestreitbar ein beachtliches Potenzial haben, die Gesellschaft zu spalten.

78 Prozent der Bundesbürger fühlen sich mit eigenem Wohnort verbunden

Die im Sinne der Studie "tolerantesten Bundesländer" gehören auch zu denjenigen, deren Einwohner sich weniger stark mit dem eigenen Wohnort identifizieren. Während sich bundesweit 78 Prozent der Befragten mit ihrem Wohnort "sehr" oder "ziemlich verbunden" fühlen, sind es in Berlin nur 70 Prozent.

Derweil identifizieren sich in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg Vorpommern immerhin fast 90 Prozent der Einwohner mit dem eigenen Wohnort. Auch in Bayern, Schleswig-Holstein und dem Saarland ist das lokale Heimatgefühl ausgeprägt.

Zu den negativen Befunden der Studie zählt, dass jeder dritte Befragte in Gesamt-Deutschland von "vielen Problemen" in seiner Nachbarschaft berichtet; in Berlin, Hamburg und Bremen sogar jeder zweite Einwohner. Zudem ist nur ein sehr kleiner Teil der Bundesbürger der Meinung, dass es bei der Verteilung wirtschaftlicher Güter gerecht zugeht.

Diese gefühlte Ungerechtigkeit, heißt es in der Studie, korrespondiere mit empirischen Daten. So sei der gesellschaftliche Zusammenhalt dort geringer, wo viele Arbeitslose und arme oder von Armut gefährdete Menschen leben. Hingegen erweise sich der Zusammenhalt als stabiler, wo das durchschnittliche Wohlstandsniveau hoch sei und "wo mehr Menschen gegenüber der Globalisierung positiv eingestellt sind".

Zum Thema Einwanderung hält die Studie unter anderem fest: "Weder der Anteil an Ausländern insgesamt noch an Geflüchteten (gemessen an Erst-Asylantragen) oder der Anteil von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund wirken sich negativ auf das soziale Gewebe aus."

Dennoch spaltet die aktuelle Flüchtlingssituation die Befragten:. "Ich finde es gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat" sagen 44 Prozent aller Befragten, 22 Prozent stimmen eher nicht zu. 40 Prozent aller Befragten zeigen sich unsicher, ob Deutschland "die Herausforderungen durch die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge bewältigen" kann.