Späte Anerkennung für das Enfant Terrible der Gen-Branche

Der diesjährige Whistleblower-Preis wird an Arpad Pusztai verliehen. Eine späte Ehrung für den Wissenschaftler, der als einer der Ersten auf die potenzielle Gefahr durch Gen-Food hinwies

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Alle zwei Jahre kürt die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler Menschen, die ungesetzliche oder ethisch zweifelhafte Praktiken am eigenen Arbeitsplatz entdeckt haben. Diese fordern zunächst intern Abhilfe und bringen oft erst später ihre Kritik an die Öffentlichkeit. Im englischsprachigen Raum hat sich dafür der Begriff des "Whistleblower" durchgesetzt. Ihre Kenntnisse als Insider stellen häufig die einzige Möglichkeit dar, Missstände in staatlichen Bürokratien, in der Wirtschaft, sowie in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aufzudecken.

In Berlin wird nun im Rahmen des Kongresses "Einstein weiterdenken - Wissenschaft, Verantwortung, Frieden" ein Forscher ausgezeichnet, der, nach Ansicht der Preisverleiher, als einer der ersten die Gefahren der unkontrollierten Einführung genetisch veränderter Lebensmittel erkannte: Arpad Pusztai. Tatsächlich erhitzen die Experimente des Gen-Forschers bis heute die Gemüter.

Der Fall Pusztai liegt mittlerweile sechs Jahre zurück. Im Frühjahr 1999 entfachte er eine Diskussion, die nicht nur innerhalb der Wissenschaft geführt wurde, sondern auch die breite Öffentlichkeit erfasste (Genetisch veränderte Lebensmittel; Frankenstein-Lebensmittel): Er hatte gentechnisch veränderte Kartoffeln an junge Ratten verfüttert, die daraufhin Schäden an ihren Organen aufwiesen. Pusztai gab den diffusen Zweifeln, die damals bezüglich der Sicherheit gentechnisch modifizierter Lebensmittel herrschten, einen Ausdruck. Seine Fütterungsversuche gaben den Anstoß, in der EU vorerst keine genveränderten Pflanzen mehr zu genehmigen.

Arpad Pusztai

Dabei war der Wissenschaftler zunächst kein Gengegner - im Gegenteil. Anfang der 90er Jahre hatte er entdeckt, dass die zuckerbindenden Eiweiße (Lektine) vom Schneeglöckchen andere Pflanzen vor Schädlingen schützen. Pusztai baute später diese Schneeglöckchen-Lektine durch einen Gentransfer in Kartoffeln ein, um diese resistent gegen Kartoffelkäfer und Blattläuse zu machen. Er selbst wurde von den nachfolgenden Ergebnissen überrascht: Die Organe der Tiere, so seine Analyse, waren schon nach wenigen Tagen um 10% kleiner geworden, ihr Immunsystem deutlich geschwächt. Er wollte mit weiteren Versuchen Klarheit schaffen, aber sein Projekt lief aus. Spätestens hier scheiden sich die Geister an Pusztais Handeln. Er gab nämlich der BBC ein Interview und warnte vor der Gefahr, die von den Kartoffeln ausgehe.

Sein Arbeitgeber, das Rowett Research Institute, fackelte nicht lange und setzte den langjährigen Mitarbeiter auf die Straße, Pusztai durfte das Labor nicht mehr betreten, indem er seit 1963 gearbeitet hatte. Das Magazin Lancet (http://www.thelancet.com/) veröffentlichte die Studie, doch was Pusztai tatsächlich herausgefunden hatte, bleibt bis heute widersprüchlich ("Frankenstein Food" - die Neuauflage). Über Pusztais Fütterungsversuche und ihre Auswertung liegen mehrere Quellen vor, sie enthalten unterschiedliche Angaben darüber, was im einzelnen untersucht wurde (hier eine erweiterte Fassung seiner Arbeit: http://www.actionbioscience.org/biotech/pusztai.html). Statt wissenschaftlichem Diskurs herrscht Streit über die Quellen und die Deutungshoheit der Ergebnisse. Die strittigen Fragen sind unter anderem: Waren sechs Versuchstiere zu wenig? Vertrugen die jungen Ratten einfach nur die Kartoffeldiät nicht?

Einen Fehler hatte die Studie tatsächlich: Die Kartoffeln, in denen das Lektin-Gen eingebaut war, unterschieden sich nicht nur im Lektin-Gehalt, sondern auch hinsichtlich anderer Inhaltsstoffe von der Ausgangslinie. Die bei solchen Studien wichtige "substanzielle Äquivalenz" lag nicht vor. In einer Anhörung durch eine britische Expertenkommission (Commitee on Toxicity of Chemicals in Food) erklärte der Ko-Autor der Studie, Stanley Ewen, dass zu Beginn der Experimente angenommen wurde, beide Linien wären äquivalent. Warum die Inhaltsstoffe erst bestimmt wurden, nachdem die Versuche begonnen hatten, ist unbekannt. Ewen bestätigt in der Anhörung, dass man unter diesen Umständen den Vergleich nicht hätte vornehmen sollen (eine recht ausgewogenen Darstellung der Ergebnisse findet sich hier)

Aber darum ging es in dem Streit schon lange nicht mehr. Vielmehr wurde ab nun die Welt in Gen-Freunde und Gen-Feinde eingeteilt. In einem Memorandum verurteilten 23 Forscher aus 13 Ländern die vorschnelle Aburteilung ihres Kollegen und forderten seine Rehabilitierung. Der Fall Pusztai gilt seither als exemplarisch für einen Wissenschaftsbetrieb, der nicht nur im Bereich der gentechnisch veränderten Nahrungsmittel immer abhängiger von Geldern aus der Privatwirtschaft ist. Nach all den Jahren des Streits um die Haltbarkeit von Pusztais Aussagen fällt auf, dass eine aufklärende Variante trotz mehrfacher Ankündigung von Freunden und Gegner nie realisiert wurde: die Wiederholung der Versuche.

Auf Nachfrage von Telepolis schlussfolgert der damalige Mitautor an der Pusztai-Studie, Stanley Ewen, heute: "Leider existiert eine große Abneigung davor, Tests durchzuführen, die die falsche Antwort bringen könnten." Dabei, so Ewen, sei es ganz offensichtlich, dass "mit allen gentechnisch veränderten Produkten Sicherheitstests durchgeführt werden müssen". Die neuen EU-Leitlinien für die Sicherheitsbewertungen von Gen-Lebensmitteln schreiben vor, dass die Antragsteller Fütterungsversuche durchführen und den Behörden die Ergebnisse vorlegen. Unternehmen wie Monsanto und Unilever, die gentechnisch veränderte Sojabohnen und Mais entwickeln, führen regelmäßig solche Studien an verschiedenen Tierarten durch. Kritiker bezeichnen es aber als selbstverständlich, dass dabei bislang keine Auffälligkeiten wie bei Pusztais Kartoffeln bekannt geworden sind. Zudem sind viele dieser Fütterungsstudien öffentlich nicht zugänglich (Genveränderte Maissorte unter Verdacht).

Die Befürworter der Gentechnik weisen dagegen immer wieder darauf hin, dass es bisher keine Beweise für die Schädlichkeit von Gen-Food gibt. Das größte Experiment in dieser Hinsicht läuft in den USA: Das Land ist mit über 60% der weltweiten Anbaufläche führend in der Produktion gentechnisch veränderter Pflanzen. Es wird geschätzt, dass rund 65% der in amerikanischen Supermärkten erhältlichen Produkte gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten.