Später Sieg über die Militärs

Uruguays Linke siegt ihrem Kandidaten Tabaré Vázquez bei der Präsidentenwahl und bestätigt einen Trend in Lateinamerika

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Linke vor historischem Sieg schreiben Medien unison über die Wahlergebnisse in einem Land, das eigentlich wenig Schlagzeilen macht. In Uruguay hat Tabare Vázquez, der Kandidat der Frente Amplio, eines Bündnisses sämtlicher linken Kräfte des Landes, gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht. Das ist in ganz Lateinamerika ein seltenes Ergebnis. Meistens kommt dort zunächst kein Präsidentschaftskandidat über 50 % und eine Stichwahl wird nötig. Andererseits liegt das Wahlergebnis durchaus im lateinamerikanischen Trend. Mit dem brasilianischen Präsidenten Lula von der Arbeitspartei und dem Linksperonisten Kirchner aus Argentinien hat Vázquez Amtskollegen in der Nachbarschaft, auf die er sich bei seinen im Voraus erklärten Bemühungen stützen kann, mit dem Mercosur ein stärkeres lateinamerikanisches Gegengewicht gegen die übermächtige USA zu erreichen. Den Trend bestätigt auch der Wahlsieg von Chavez in Venezuela (Hugo Chávez Frías bleibt Präsident Venezuelas).

Das von den USA favorisierte Projekt ALCA, ein gemeinsamer amerikanischer Wirtschaftsraum, hat vor allem unter den Gewerkschaften und Landwirtschaftsorganisationen vieler süd- und mittelamerikanischer Staaten Proteste ausgelöst. Der Wahlsieg von Vázquez wird auch als Absage der Wähler an eine neoliberale Wirtschaftspolitik verstanden. Schon in den letzten Jahren gab es in Uruguay starke Massenbewegung gegen die Privatisierung der Industrie und der Naturschätze des Landes. In einer Volksabstimmung Anfang der 90er Jahre haben sich 72 % der Wahlberechtigten gegen die Privatisierung der Erdölindustrie ausgesprochen.

Die Erwartungen an die neue Regierung sind hoch. So spricht der bekannte uruguayische Soziologe Eduardo Galeano fast schwärmerisch von einem neuen Weg, der durch die Linke an der Macht eröffnet werde. Die Regierungspraxis von Lula und Kirchner zeigt allerdings auch die Grenzen linker Präsidenten im Zeitalter der Globalisierung, die in Lateinamerika den Namen ALCA trägt. Gerade in Brasilien hat das Festhalten der Linksregierung an einer neoliberalen Wirtschaftspolitik mittlerweile zu deutlichen Irritierungen bei Lulas Basis und zu ersten Spaltungen bei der Regierungspartei geführt. Von der Effektierung des Kapitalismus sprechen Teile des uruguayischen Linkbündnis (http://www.taz.de/pt/2004/10/29/a0120.nf/text.ges,1).

Von daher dürfte dem rauschenden Volksfest in den Straßen von Montevideo, an dem sich viele junge Menschen nach Vázquez Wahlsieg beteiligten, bald die Ernüchterung weichen. Wie stabil die Regierungskoalition dann sein wird, muss sich noch erweisen. Während Vázquez einen gemäßigt sozialdemokratischen Kurs vertritt, ist in der Frente Amplio auch die ehemalige Guerillabewegung Tupamaros, die sich in den 80er Jahren zu einer legalen Linkspartei transformierte, präsent.

Durch den Dokumentarfilm Tupamaros wurde die Bewegung auch in Deutschland noch einmal einen größeren Kreis bekannt. Dort haben ehemalige Guerillas, die heute Parlamentarier sind, eine eher ernüchternde Beschreibung des parlamentarischen Spiels geliefert. Dieser Film spielte in der Endphase des uruguayischen Wahlkampfes noch einmal eine große Rolle. Die konservativen Colorados zeigten Szenen aus dem Interviewpassagen des Filmes auf großen Plätzen von Montevideo, um die Tupamaros weiterhin als verkappte Gewalttäter, die sich nur taktisch auf den Parlamentarismus berufen, zu denunzieren. Zunächst sollten die Filmausschnitte sogar im Fernsehen von Uruguay gezeigt werden. Doch das konnte die in Deutschland lebende Filmemacherin Heidi Specogna verhindern. Die Konservativen hatten nämlich gegen das Urheberrecht verstoßen und die Filmaufnahmen ohne Erlaubnis genutzt.

Das Wahlergebnis zeigt, dass das Feindbild Guerilla zur Zeit in Uruguay nicht mehr ohne Weiteres zieht. Es dokumentiert aber auch, dass zumindest die Rechte alte Feindbilder weiter pflegen wird. Das dürfte sich wiederholen, wenn die Frente Amplio ihre sozialen Wahlversprechen umsetzen will. Das könnte auch zu Verunsicherungen und Ängsten in der Bevölkerung führen.Denn obwohl Uruguay immer wieder mit dem Zusatz "Schweiz Lateinamerikas" erwähnt wird, haben die Einwohner nicht vergessen, dass in dem Land in den 70er Jahren eine der blutigsten Militärdiktaturen herrschte und große Teile der demokratischen Opposition ermordete oder ins Exil trieb. Vor diesem Hintergrund ist das Wahlergebnis auch ein später Sieg über die Militär.