Spanien: Geheimhaltung reformieren, Leichen im Keller ruhen lassen
Presse- und Informationsfreiheit: Bis zu drei Millionen Euro Geldstrafe drohen Journalisten in Zukunft, wenn sie Staatsgeheimnisse offenlegen. Die sollen weiter bis 2073 unter Verschluss bleiben.
Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez schlägt wieder einmal mit einer "Verschlimmbesserung" zu. Eigentlich, so hatte die sozialdemokratische Regierung nach der Aufdeckung des riesigen Pegasus-Abhörskandals verkündet, wollte man über Reform des Gesetzes zur Geheimhaltung die Aufklärung erleichtern.
Reformiert werden soll das Gesetz, das noch aus der Franco-Diktatur besteht und seit deren offiziellen Ende, seit 45 Jahren, nie verändert wurde. Dieses Gesetz sieht keinerlei Datum für die Offenlegung von Dokumenten vor. Ausgespäht wurden über die Spyware Pegasus und Candiru vor allem katalanische Politiker, Aktivisten und deren Unterstützter.
Die Reform-Ankündigung stellt sich erneut als Nebelkerze von Sánchez heraus. Dessen Absicht ist es, seine Unterstützer zu beruhigen. Denn auch Mitglieder von Linksparteien, die seine Regierung stützen, wie die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), wurden ausgespäht, sogar der Regierungschef Pere Aragonès (ERC).
Wir hatten bereits den Eindruck dargelegt und aufgezeigt, dass die Aufklärung des Pegasus-Spionage-Skandals unerwünscht ist. An dem Gesetzesentwurf, vorgestellt Anfang August, wurde das schon deutlich.
Drastische Geldstrafen
In Madrid wird indessen weiter daran herumgebastelt, um ihn zu verschärfen, wie spanische Medien aktuell berichten. Besonders skandalös ist, dass Journalisten einen noch engeren Maulkorb verpasst bekommen sollen. Die Regierung des Landes, bereits Weltmeister bei der Inhaftierung von Musikern, hatte einst versprochen, das "Maulkorbgesetz" der rechten Vorgänger zu streichen. Passiert ist das nicht, es wurde sogar mit Blick auf das Internet weiter verschärft.
Der neue Entwurf sieht nun "Geldstrafen von bis zu drei Millionen Euro für Einzelpersonen oder Unternehmen" vor, die Informationen und Dokumente weitergeben, die als "streng geheim", "geheim", "vertraulich" oder "eingeschränkt" eingestuft wurden, wird berichtet. Und:
"Dies gilt auch für die Medien, die im Rahmen ihrer journalistischen Recherchen Geheimnisse veröffentlichen."
Der Gesetzesentwurf soll nach den Medieninformationen die Höhe dieser Geldbußen danach staffeln, wie schwer die Verstöße eingestuft werden. Für besondere Staatsgeheimnisse werden ruinöse Geldbußen zwischen ein und drei Millionen fällig.
Das passt gut zur Ausrichtung des bisherigen Gesetzes und zur Regierungsarbeit. Offensichtlich sollen die dunklen Episoden der jüngeren spanischen Geschichte für weitere Jahrzehnte unter Verschluss gehalten werden. Das gilt zum Beispiel für die staatlichen Todesschwadrone, die GAL-Kommandos, die unter den Sozialdemokraten (PSOE) in den 1980er Jahren aufgestellt wurden.
Hier gibt es viel zu verstecken, schließlich hat die CIA festgestellt, dass der ehemalige Regierungschef und PSOE-Chef Felipe González der "Mister X" im Hintergrund und der eigentliche Verantwortliche war.
Fristen für Veröffentlichung verlängert
Es klingt auf den ersten Blick sogar etwas fortschrittlich, dass nun Veröffentlichungsfristen definiert werden. Für "streng geheime" eingestufte Dokumente sollen es sogar 50 Jahre sein. Der erste Stolperstein findet sich aber schnell, da die Frist um weitere 15 Jahre verlängert werden kann. Das Gesetz soll zudem rückwirkend angewendet werden.
Das bedeutet: Alle vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes als geheim eingestuften Informationen würden plötzlich zu "streng geheimen" Dokumenten umdefiniert. Es würde also mit einem Inkrafttreten des Gesetzes nicht bedeuten, dass die offensichtlichen Verwicklungen des Ex-Königs Juan Carlos in den Putschversuch von 1981 schon 2031 offengelegt werden dürfen. Nein, wie auch die Informationen zum Mister X der Todesschwadrone würden sie frühestens 2073 und bei einer Verlängerung spätestens 2088 zugänglich gemacht.
Es ist offensichtlich, dass die Sozialdemokraten keinerlei Interesse an Aufklärung haben. Das haben sie schon bisher an allen Ecken und Enden des Landes gezeigt: Alle Versuche, die Verbrechen der Franco-Diktatur ernsthaft aufzuklären, werden zur Not auch mit der rechten oder rechtsradikalen Opposition ausgebremst.
Das gilt auch für Untersuchungen zur Korruption des emeritierten Königs. Sogar die Verwicklungen der spanischen Sicherheitskräfte in die islamistischen Anschläge vor fünf Jahren in Barcelona und Cambrils werden auf allen Ebenen verhindert.
Einwendungen ausmanövriert
Es war vielsagend, dass der Gesetzesentwurf am 1. August vorgestellt wurde, die Einwendungsfrist also mitten in den Urlaubssommer fällt. Gefordert wird von Nichtregierungsorganisationen wie "Access Info" deshalb, dass die Frist deutlich verlängert wird, um "eine Beteiligung der Bevölkerung zu ermöglichen".
Die Regierung wolle eine Konsultation zu einem so wichtigen Thema während der Ferienzeit unter dem Radar durchschieben, meint die Sprecherin der Organisation, Helen Darbishire. In ihrer Einwendung fordert Access Info einen besonderen Schutz für Medien und Personen, "die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit wahrnehmen". Das müsse "im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte" stehen.
Für den Gesetzesentwurf wurde nur eine Einwendungsfrist von sieben Tagen gewährt und dazu gab es "vor der Ausarbeitung des Vorentwurfs keinerlei öffentliche Anhörung", wird auch in Spanien kritisiert.
Begründet wird das Vorgehen mit einer "dringenden Bearbeitung", denn nur dann kann die Frist auf sieben Tage verkürzt werden. Was an dem Gesetz dringend sein soll, bleibt das Geheimnis der Regierung. Dass die selbsternannte "fortschrittlichste Regierung" der spanischen Geschichte ein solches Vorgehen wählt, spricht Bände.
Es sagt aber wieder einmal auch sehr viel über die angebliche Linkskoalition Unidas Podemos (UP) aus, dass sie dieses Vorgehen mitträgt. Einst wollte sie das Regime von 1978 stürzen, inzwischen ist die Koalition, wie solche Gesetze zeigen, zu einem Stützpfeiler geworden.