Spanien: Proteste weiten sich aus

Demonstration heute im baskischen Bilbao. Bild: Txeng Meng

"Hasél war der Funke, der die Empörung vieler entzündet hat." In der fünften Nacht in Folge kam es zu Zusammenstößen von Demonstranten und Sicherheitskräften. Politische Spannungen nehmen zu

Am fünften Tag in Folge haben am Samstag im gesamten spanischen Staat erneut viele Menschen gegen die Inhaftierung des Rappers Pablo "Hasél" protestiert. Dieser war am vergangenen Dienstag im katalanischen Lleida verhaftet worden, um eine neunmonatige Haftstrafe anzutreten. Die Proteste gegen die Verhaftung von Pablo Rivadulla reißen seither im ganzen Land nicht ab und gingen auch am Sonntag weiter, wie zum Beispiel im baskischen Bilbao.

Der Unmut ist groß und breit. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International beklagen, dass Künstler wie Hasél für ihre Meinungsäußerungen über das "Maulkorbgesetz" kriminalisiert werden. Das hat auch den Terrorismusbegriff enorm ausgeweitet, weshalb Hasél neben Beleidigung des Königshauses auch wegen angeblicher Terrorismusverherrlichung verurteilt wurde.

Allein zwischen 2015 und 2017 kam es auf Grundlage dieses Gesetzes zu 84 Verurteilungen, kritisiert Amnesty, obwohl mit der baskischen ETA die letzte bewaffnete Organisation im Jahr 2011 ihren Kampf "endgültig" eingestellt hatte. Seit Jahren führt die Nichtregierungsorganisation "Freemuse" Spanien als Weltmeister bei der Inhaftierung von Künstlern noch vor Iran oder der Türkei.

Die Jugend ist wütend

Doch die Proteste im ganzen Land gehen längst über die reine Frage der Meinungsfreiheit hinaus. Vor allem eine wütende und rebellische Jugend begehrt angesichts der massiven Demokratiedefizite und wegen fehlender Zukunftsaussichten in einem Land auf, in dem die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie in keinem anderen EU-Land ist. Spanien ist mit über 40 Prozent der traurige Spitzenreiter.

Da die befristete Beschäftigung in dem Land seit vielen Jahren Urstände feiert, sind junge Menschen besonders betroffen, die besonders unter prekären Arbeitsbedingungen leiden. Diese Stellen wurden in der Corona-Krise als Erstes gestrichen.

Katalonien ist nicht nur deshalb ein besonderer Brennpunkt, da der Rapper aus der Region stammt. Hinzu kommt, dass hier die Ablehnung der Monarchie, die vom Diktator Franco restauriert wurde - der auch König Juan Carlos als Nachfolger bestimmt hatte -, besonders groß ist. Dass Hasél auch wegen Beleidigung des Königshauses inhaftiert wurde, halten viele Leute für besonders krass.

Die bisher größte Demonstration für den Rapper in Barcelona am Samstag. Bild: CDR Raval

Wenn Hasél Juan Carlos als "Dieb" oder "Schmarotzer" bezeichnet, sei das richtig, das ist in Katalonien eine vorherrschende Meinung. Schließlich ist der Franco-Nachfolger sogar vor Korruptionsermittlungen ins Ausland geflohen. Er hat inzwischen die Steuerhinterziehung eingeräumt. Deshalb ist in der rebellischen Region das Aufbegehren besonders deutlich, obwohl hier die ökonomische und soziale Lage sogar besser als in anderen Regionen des spanischen Staates ist.

Der Grad der Politisierung hat sich durch den Unabhängigkeitsprozess und die massive Repression gegen die Bewegung, in der sich viele junge Menschen in den vergangenen zehn Jahren engagiert haben, verstärkt. Gerade musste in Katalonien erneut gewählt werden, weil Spanien wegen einer Bagatelle den bisherigen Präsidenten aus dem Amt gehebelt und ihn mit Amtsverbot belegt hat.

Alle haben hier noch gut in Erinnerung, dass Wähler für die Äußerung ihrer Meinung beim Referendum im Oktober 2017 verprügelt wurden und Politiker und Aktivisten zu bis zu 13 Jahren Haft dafür verurteilt wurden, dass sie eine demokratische Abstimmung organisiert haben.

So ist es kein Wunder, dass besonders viele Proteste gegen die Hasél-Inhaftierung in Katalonien stattfinden und die mit Abstand bisher größte Demonstration am Samstag erneut in Barcelona stattgefunden hat - so die Angaben von Teilnehmern, die sich an diversen Demonstrationen in den vorhergehenden fünf Tagen in der Stadt beteiligt haben.

Das bedeutet, dass auch Zusammenstöße in den Tagen zuvor die Menschen nicht davon abschrecken, weiter auf die Straße zu gehen.

Zusammenstöße

Nach Angaben der Stadtpolizei haben sich am Samstag 6.000 Menschen am Protest beteiligt. Die reale Zahl derer, die sich zunächst an der Universität versammelt haben, soll nach Augenzeugenberichten allerdings deutlich höher gewesen sein. Tatsächlich setzt die Polizei die Teilnehmerzahl stets zu tief an. Am Dienstag hatte sie von 2.200 gesprochen. Der Autor dieses Beitrags konnte durch eine eigene Inaugenscheinnahme aber feststellen, dass auch diese Zahl deutlich untertrieben war.

Barrikaden in Barcelona. Foto: Clara Tur

Anders als zum Beispiel im katalanischen Girona oder in der spanischen Hauptstadt Madrid kam es in Barcelona auch am Samstag wieder zu heftigen Zusammenstößen. Die gab es auch in einigen baskischen Städten wie auch im andalusischen Granada.

Doch besonders stachen die Vorgänge in Barcelona hervor. Dort hatten massive Einsatzkräfte der Polizei einer friedlich verlaufenden Demonstration den Weg über Via Laietana zum Hafen versperrt. Sofort trieben sie die Demonstranten dann in Richtung des Platzes Urquinaona auseinander, berichten Teilnehmer gegenüber Telepolis. Erst in diesem Zusammenhang sei es zu Ausschreitungen gekommen. Im Anschluss seien Barrikaden gebaut, Scheiben von Banken eingeworfen und zum Teil Geschäfte geplündert worden, was Demonstranten allerdings auch zu verhindern versuchten.

Die Polizei, besonders die Aufstandsbekämpfungseinheit (Brimo), ging mit großer Härte vor, kesselte zum Teil Hunderte Demonstranten ein, um wütend auf die Menschen einzuprügeln, die weder Barrikaden bauten noch Scheiben einwarfen, wie Videos zeigen. Dieses Vorgehen hat auch der ehemalige Regierungschef Torra scharf als "nicht hinnehmbar" kritisiert. Er bezieht sich dabei auf ein aussagekräftiges Video, das das brutale Vorgehen der Polizei dokumentiert.

Brennende Container in der Nacht. Foto: Clara Tur

Ein junger Demonstrationsteilnehmer hat dem Autor von "Angst-Attacken" einiger Demonstranten berichtet. "Auch ich hatte noch nie so viel Angst auf einer Demonstration", erklärte er angesichts einer bisher ungesehenen Polizeibrutalität durch die Mossos. Abschrecken lassen will sich Jordi aber nicht.

"Auf den Straßen in Katalonien wird es so lange brennen, solange uns ein repressiver und korrupter Staat angreift und inhaftiert." Die Jugend sage klar und deutlich: "Es reicht, denn wir wollen ein freies Land, das uns eine würdige Zukunft sichert", fügt er an. Dafür werde er weiterkämpfen.

Hartschaum-Geschosse

Erneut wurden auch wieder Demonstranten durch Hartschaum-Geschosse verletzt. Eine junge Frau verlor durch ein "Foam"-Geschoss in der vergangenen Woche ein Auge. Da in Katalonien Gummigeschosse verboten sind, werden nun sogenannte "Foam"-Geschosse von der Regionalpolizei Mossos d'Esquadra eingesetzt. Opfer von Gummigeschossen hatten schon im Telepolis-Gespräch im November 2019 erwartet, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Menschen über diese Hartschaum-Geschosse das Augenlicht verlieren würden.

Deshalb helfen Krokodilstränen der Polizeiführung wenig, die jetzt - wieder einmal - eine Untersuchung eingeleitet hat und den Vorgang "zutiefst bedauert". Augenzeugen berichten aber auch, dass sich am Vorgehen beim Einsatz der Geschosse nichts geändert hat.

"Wir alle sind Hasel, stürzen wir das Regime" Foto: CDR Raval

Eigentlich darf damit weder auf Köpfe noch auf Gruppen gezielt werden. Aber das wird offensichtlich weiter nicht eingehalten. Wurde früher mit Gummigeschossen einem Demonstranten ein Auge ausgeschossen, hieß es stets, es handele sich um Abpraller vom Boden.

Diese Ausrede zieht aber bei Foam-Geschossen nicht. Durch diese Geschosse wurden in diesen Tagen auch wieder Journalisten verletzt, die deutlich als solche gekennzeichnet waren.

Der Fotojournalist Carlos Márquez Daniel von der Zeitung El Periódico hat angezeigt, gezielt aus einem Polizeiwagen beschossen worden zu sein. Er musste an einer Verletzung am Bein unweit der Hoden im Krankenhaus behandelt werden.

Provokationen

Obwohl die Wut vor allem unter jungen Menschen sehr groß ist, setzt sich immer stärker die Ansicht durch, dass die Zusammenstöße oft gezielt provoziert werden. Neu ist das nicht. Als es nach den Urteilen zu drakonischen Strafen gegen Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung im Herbst 2019 erstmals zu Gewalt in den Straßen Barcelonas kam, wurden sogar uniformierte Polizisten dabei gefilmt, wie sie Barrikaden bauten oder Müllcontainer anzündeten. Angefacht wurde Gewalt auch von eingeschleusten Provokateuren, die maskiert aus Polizeifahrzeugen stiegen.

In den Demonstrationen in diesen Tagen wurden auch bekannte Rechtsextreme identifiziert und herausgedrängt. Auch Kriminelle sollen die Proteste für Plünderungen nützen. "Die 15 Festgenommenen am Samstag sind gewöhnliche Kriminelle", hat zum Beispiel der geschäftsführende katalanische Innenminister Miquel Sàmper erklärt. Allerdings versucht der praktisch die gesamte Bewegung zu diskreditieren und behauptet, dass 90 Prozent der Demonstranten in Katalonien nicht wüssten, dass es ein Urteil gegen Hasél gegeben habe.