Spanien: Sánchez feiert mit seinem Haushalt einen Pyrrhussieg
Die Fliehkräfte werden stärker, da die Unterstützer der spanischen Regierung wegen ständig gebrochener Abkommen auf die Barrikaden gehen
Die sozialdemokratische spanische Regierung hat zum Jahresende besondere Feierstimmung verbreiten wollen. Das hat damit zu tun, dass das Parlament noch vor dem Jahresende den Haushalt von Regierungschef Pedro Sánchez abgesegnet und die Regierung ein Dekret zur Arbeitsmarktreform verabschiedet hat.
Im Jahresrückblick unterstrich der sozialdemokratische Regierungschef die angebliche "Stabilität" seiner Minderheitsregierung, die bekanntlich aber immer wieder am Wanken ist.
Doch Sánchez hatte angeführt, dass seine Regierung im zweiten Jahr in Folge "frist- und formgerecht" den Etat habe verabschieden können, was es "seit 2014 nicht mehr gegeben hat". Das sagte er mit Blick auf die Vorgänger der rechten Volkspartei (PP).
Spanien: Einer der Hauptnutznießer des EU-Wiederaufbaufonds
15 Parteien haben den Haushalt abgesegnet, der Ausgaben in Rekordhöhe von 240 Milliarden Euro vorsieht. Enthalten darin sind gut 26 Milliarden Euro aus dem sogenannten Coronavirus- "Wiederaufbaufonds" der EU. Spanien ist einer der Hauptnutznießer des Fonds, was die Verabschiedung des Haushalts befördert hat. Innerhalb von sechs Jahren soll das Land insgesamt 140 Milliarden Euro erhalten, der größere Teil soll als Zuschüsse und nur der kleinere als Darlehen fließen.
"Die Regierung garantiert politische Stabilität", erklärte Sánchez. Er hofft jetzt, dass er bis zum Ende der Legislaturperiode Ende 2023 weiterregieren kann. Diese Botschaft wurde auch brav von deutschsprachigen Medien wiedergekäut. "Mit der Verabschiedung des Etats gilt die politische Stabilität in der viertgrößten Volkswirtschaft der Europäischen Union bis zu den Wahlen im Herbst 2023 als weitgehend gesichert", berichten verschiedene Medien gleichlautend.
Zuvor war allgemein wegen großer Widersprüche spekuliert worden, ob seiner Minderheitsregierung das gleiche Schicksal wie seinem linken Kollegen im Nachbarland Portugal ereilt. Denn der Sozialist António Costa bekam keine Unterstützung von den linksradikalen Parteien. Costa hatte sich verspekuliert.
Selbstherrlicher Premier wie im Fall Portugal?
Die Anliegen der linken Partner wurden nicht beachtet, die ihm eine gesamte Legislaturperiode Stabilität garantiert hatten. Auch Costa wurde selbstherrlich. Er spannte das Seil immer weiter, bis es schließlich reißen musste. Deshalb muss am 30. Januar in Portugal neu gewählt werden.
Sánchez sollte das eine Lehre sein. Längst wenden Beobachter auf die Sánchez-Aussagen ein bekanntes spanisches Sprichwort an: "Sag mir, womit du prahlst und ich sage dir, was dir fehlt."
Ohnehin musste Sánchez seine bunte Truppe auch ermahnen, auch der gerade verabschiedeten Arbeitsmarktreform demnächst zuzustimmen. Er lehnt geforderte Änderungen an dem verabschiedeten Dekret kategorisch ab, das zwischen seiner Regierung, Arbeitgebern und den beiden großen spanischen Gewerkschaften ausgehandelt wurde. Es entspräche eine "gesunden Menschenverstand", dass das Parlament diese Vereinbarung respektiere, meint er.
Politische Partner unter Druck - und die Konkurrentin
Zuvor hatte der Chef des großen Arbeitgeberverbands CEOE wirksam gedroht, das Projekt fallen zu lassen, wenn "ein Komma verändert" werde. Antonio Garamendi sagte: "Wenn sich hier die Politik einmischt, werden wir sagen, dass dies nicht unsere Reform ist." Sánchez hält es für "vernünftig", die Reform zu verabschieden, "welche die Zustimmung der Sozialpartner hat."
Das Problem der Regierung ist aber, dass Gesetze nicht im Sozialpakt verabschiedet werden, sondern mit einer Parlamentsmehrheit. Sánchez Sozialdemokraten (PSOE) und die Vizepräsidentin Yolanda Díaz, die die Linkskoalition "Unidas Podemos" (UP) führt, haben nun definitiv ihr Wort gegenüber Wählern und Unterstützern gebrochen.
Denn die Arbeitsmarktreform der rechten Vorgänger aus dem Jahr 2012 sollte "gestrichen" werden. Das wurde mit linken Unterstützern nach den Wahlen auch schriftlich vereinbart wie mit der baskischen Linkskoalition EH Bildu (Baskenland Vereinen). Demnach sollte die Reform schon im Juni 2021 gestrichen sein.
Bildu lehnt, wie die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) oder sogar die christdemokratische Baskische-Nationalistische Partei (PNV), diese Reform strikt ab. Der ERC-Sprecher Gabriel Rufián erklärte genervt, dass "viele Stunden" im Sozialpakt verhandelt wurde, aber "Null Stunden" mit den Unterstützern. "Die Regierung verkauft heiße Luft", fügte Rufián an, der darauf verweist, dass ohne die 13 Stimmen der ERC die Reform nicht durchgeht.
Auch der Chef von EH Bildu hat ein klares "Nein" ausgesprochen. Statt auf die Streichung pochte der inzwischen zum Realpolitiker mutierte Arnaldo Otegi und seine Bildu nur noch darauf, die "schädlichsten Aspekte" der Reform zu ändern, was aber auch nicht einmal geschehen sei, wie er feststellen muss.
ERC und Bildu stehen unter massivem Druck der baskischen und katalanischen Gewerkschaften und ihrer Basis. Beide Parteien geben zwar Sánchez immer wieder ihre Stimmen, substanziell erreichen sie dafür aber nichts. Auch der versprochene Dialog, der nach Ansicht vieler in Katalonien ohnehin Verhandlungen zur Lösung des katalanischen Konflikts angefangen werden müsste, hat nie wirklich begonnen. Er wird mit immer neuen Ausreden immer weiter verschoben, womit Sánchez Zeit zu schinden versucht.
Dass es sich bestenfalls um ein Reförmchen handelt, meinen auch Arbeitgebervertreter. Der Präsident des Verbands der Selbstständigen (ATA) sagt, dass "95 Prozent der Reform aus dem Jahr 2012 unangetastet" bleiben. Lorenzo Amor ist erstaunt deshalb, dass der PP-Chef Pablo Casado diese Reform ablehnt.
Auch die FAES-Stiftung vom ehemaligen PP-Chef und Ex-Ministerpräsident José María Aznar meint, dass die "fundamentalen Elemente" der Reform aus dem Jahre 2012 beibehalten und sogar "konsolidiert" werden. Sánchez schielt deshalb zur Verabschiedung des Dekrets auch längst nach rechts, vor allem auf die der neoliberalen "Ciudadanos" (Cs). Die abstürzende Partei hat schon Zustimmung signalisiert.
Sollte die Sánchez-Regierung aber in dieser zentralen Frage das bisherige Bündnis aufkündigen, ist eine Regierungsfähigkeit bis 2023 alles andere als garantiert, denn ERC und Bildu können dann eine weitere Unterstützung der Minderheitsregierung kaum noch rechtfertigen. "Wenn eine Linke ihre Versprechen nicht erfüllt, verliert sie Glaubwürdigkeit, das passiert der Rechten nicht", meint Otegi. Damit werde das "strategische Projekt der Linken geschwächt", meint der Bildu-Chef.
Klar ist: Das Debakel mit dem gebrochenen Versprechen zur Arbeitsmarktreform wird vor allem der Linken UP angelastet werden. Das trifft vor allem die Arbeitsministerin Díaz, die nach dem Rider-Gesetz oder bei der "miserablen" Anhebung des Mindestlohns um 15 Euro erneut gezeigt hat, dass sie sich gegen die neoliberale Wirtschaftsministerin Nadia Calviño nicht durchsetzen kann, die in wirtschaftspolitischen Fragen die Strippen in der Regierung zieht.
Das schwächt natürlich das Projekt der Arbeitsministerin Díaz. Denn die Frau, die sich selbst als Sozialdemokratin bezeichnet, das kommunistische Parteibuch nur aus Familientradition hat, will ja eine breite linke Alternative zur PSOE aufbauen und anführen.
Auch deshalb fällt das Ergebnis bei dem Reförmchen der Arbeitsmarktreform so mager aus, weil der Machtpolitiker Sánchez auch darüber die aufstrebende Konkurrentin schwächen will, die sich aber selbst ins Knie schießt. Es ist peinlich, eine minimale Reform, die von Arbeitgebern und Rechten beklatscht wird, am Tag der Verabschiedung des Dekrets als "historischen Tag für Arbeiter und Arbeiterinnen" zu bezeichnen.