Spanien: Wie Anarcho-Veganer zu "Terroristen" gemacht wurden
Seite 2: Altsasua und anderes: Justiz in "Absurdistan"
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Vergleicht man das Vorgehen der Justiz gegen diese harmlosen jungen Anarchisten mit dem, wie die spanische Justiz gerne mit sehr gewalttätigen Rechtsextremisten umgeht, dann ist der Unterschied sehr deutlich.
So hatten die Neofaschisten der "Antisystem-Front" zum Beispiel in abgehörten Gesprächen offen zur Jagd auf "Neger" und "Dreckschweine" (womit Antifaschisten gemeint waren) aufgerufen. Anders als bei den oben genannten Straight-Edge-Anarchisten wurden bei den Nazis nicht Böller und Rotkohlbrühe gefunden, sondern Schusswaffen, abgesägte Schrotflinten, Revolver, Munition und sogar ein Granatwerfer. Auch Hakenkreuze und Neonazi-Werbematerial für das Dritte Reich gehörten zu ihrer Ausstattung wie auch Material, in dem der Holocaust geleugnet wird.
Schon die Strafforderung des Ministeriums für Staatsanwaltschaft war mit dreieinhalb Jahren auffällig zurückhaltend. Das Verfahren fand auch nicht vor dem Sondergericht im fernen Madrid statt, sondern vor einem Lokalgericht in Valencia. Und dort wurden sie von einer Kammer, die 2005 schon einmal eine Gruppe gewalttätiger Neonazis freigesprochen hatte, mit einem Freispruch bedacht.
Einer der Anführer, Pedro Costa, leitete sogar ein Zentrum für gefährdete Jugendliche in Valencia, das unter der Aufsicht des dortigen Sozialministeriums stand. Es störte die Verantwortlichen in der Regierung der Volkspartei (PP) in Valencia offensichtlich nicht, dass der bekannte Neonazi 2005 bei einem Kameraden sogar vier Kisten mit Munition bestellt hatte.
An der Gewalttätigkeit von ihm und der übrigen 17 Angeklagten der Antisystem-Front, die zumeist schon einschlägig bekannt waren, bestand wahrlich kaum Zweifel. Pedro Cuevas war sogar schon zu einer 14jährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er den jungen Antifaschisten Guillem Agulló mit einem Messer umgebracht hat. Er wurde aber nicht wegen Mord verurteilt, sondern in einem Prozess, in dem jeder politische Hintergrund negiert wurde, nur wegen Totschlags.
Dabei haben sich die Neonazis nach der Tat mit dem Hitlergruß und einem faschistischen Lied verabschiedet und Agulló wurde angegriffen, weil er "Nazis Nein" auf der Jacke stehen hatte. Zeugen hatten den klaren politischen Zusammenhang der Tat aufgezeigt - erfolglos. Und die Vorzugsbehandlung für den Faschisten ging weiter. Der rechtsextreme Gewalttäter kam schon nach vier Jahren wegen angeblich "guter Führung" wieder frei, um sich sogleich in der Antisystem-Front zu organisieren. Obwohl all das auch dem Obersten Gerichtshof bekannt war, bestätigte auch dieser Gerichtshof den Freispruch.
Altsasua: Die Folgen einer Kneipenschlägerei mit Mitgliedern der Guardia Civil
Dass mit Menschen aus dem linken Milieu auch bei Bagatell-Delikten ganz anders umgegangen wird, dafür sind die jungen Leute aus dem baskischen Altsasua sicher ein gutes Beispiel. An ihnen soll die neue spanische Terrordefinition exemplifiziert werden, da sie sich eine kleinere Kneipenschlägerei mit zwei Mitgliedern der paramilitärischen Guardia Civil in der Kleinstadt geleistet haben sollen.
Der unbedeutende Vorgang, der all überall im Land an jedem Wochenende irgendwo vorkommt, wurde massiv in Madrid politisiert und natürlich vor dem Sondergericht in der Hauptstadt abgehandelt. Für diese angeblichen Terroristen wurden Haftstrafen von bis zu 62 Jahren gefordert. Insgesamt forderte die Staatsanwaltschaft 375 Jahre Haft für neun junge Basken.
Im Prozess konnte die Staatsanwaltschaft ihre absurde Terrordefinition - wie im Fall von zwei Katalanen - noch nicht durchdrücken. Aber drei der neun Angeklagten blieben die 19 Monate bis zum Prozess in Madrid im Gefängnis, natürlich weit entfernt von der baskischen Heimat.
Obwohl schließlich kein Urteil wegen Terrorismus gesprochen wurde, wurden Strafen verhängt, die fast so hoch wie die ausfielen, die islamistische Terroristen erhielten, die für 192 Tote in der spanischen Hauptstadt Madrid verantwortlich waren - und nicht für einen "umgeknickten Knöchel".
Wegen Körperverletzung, Störung der öffentlichen Ordnung und Angriffen auf die Staatsgewalt erhielt Oihan Arnanz das maximale Strafmaß von 13 Jahren, zwei Angeklagte bekamen 12 Jahre, einer 10 Jahre und die übrigen, bis auf eine junge Frau (2 Jahre), bekamen 9 Jahre aufgebrummt.
Anders als im Fall der jungen Leute aus der Straight-Edge-Szene legte die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil gegen die Basken Rechtsmittel ein und hält weiter an ihrem absurden "Terrorismusvorwurf" fest. Sie wurden auch, bis auf die junge Frau, nach dem Urteil allesamt verhaftet und sitzen nun im Gefängnis, obwohl das Urteil nicht rechtskräftig ist. Die maximale Zeit in Untersuchungshaft wurde in ihrem Fall inzwischen von vier Jahren auf sechs Jahren erhöht, um sie bei der gewohnt langsamen Justiz nicht in zwei Jahren freilassen zu müssen.
Der Prozess als Farce
Die Urteile wurden zudem in einem Prozess gesprochen, der als Farce bezeichnet werden muss. Es wurden etliche deutlich entlastende Beweise zum Teil nicht zugelassen, verspätet zugelassen und ganz offensichtlich nicht in ihrer Aussagekraft vom Sondergericht gewürdigt.
Videos, zum Beispiel des Lokalfernsehens EITB, belegen zum Beispiel die Aussagen eines der Hauptangeschuldigten. Denn Adur Ramirez erklärt stets, nicht in der Kneipe gewesen zu sein, in der es zu der Rangelei kam, sondern einem Ballspiel beiwohnte, wie die Aufnahmen zeigen. Sie belegen auch, dass er nicht so gekleidet war, wie der Guardia Civil ausgesagt hatte. Trotz allem wurde er zu 12 Jahren Haft verurteilt.
Ein Video, beweist auch, dass nicht auf einen angeblich blutüberströmten Guardia Civil im zerfetzten weißen Hemd eingetreten wurde, während der am Boden lag. Man sieht den Zivilgarden auf den Bildern nach den Vorgängen unversehrt und mit einem makellosen weißen Hemd gekleidet. Er versucht außerdem Iñaki Abad, einem der angeblichen Haupttäter, das Handy aus der Hand zu schlagen, der die Vorgänge gefilmt hat. Einem anderen Angeklagten schüttelt er nach dem angeblichen brutalen Angriff sogar freundlich die Hand. Die gesamte Aussage dieses Guardia Civil-Beamten wird mit diesen Bildern mindestens massiv in Zweifel gezogen oder sogar komplett widerlegt.
Es bleibt abzuwarten, wie der Oberste Gerichtshof nach dem Regierungswechsel nun mit dem absurden Verfahren umgeht. Die Verteidigung beklagt die klare "Parteilichkeit" der Richter am Sondergericht und Urteile "ohne Beweise", die längst vor dem Verfahren festgelegt worden seien.
Dass inzwischen zwei der Jugendlichen in ein baskisches Gefängnis verlegt wurden, lässt leise Hoffnungen auf eine gewisse Entspannung aufkommen, dass die neue sozialdemokratische Regierung offensichtlich wenigstens keine weitere Zuspitzung im Auge hat.