Spanien schlittert weiter in Richtung Abgrund
Neueste Zahlen bestätigen: Spanien verliert weiter an Konkurrenzfähigkeit, das Wirtschaftswachstum sinkt, der Tourismus geht zurück, das Außenhandelsdefizit und die Arbeitslosigkeit steigen und die Immobilienblase bläst sich immer bedenklicher auf
So hat nun auch die Caja de Madrid in einem Bericht auf die schwierige Lage der spanischen Ökonomie aufmerksam gemacht. Nach der Studie der Sparkasse hat Spanien in den letzten vier Jahren weiter an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Gegenüber den anderen EU-Staaten wurde, im Vergleich der Produktionspreise, ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit von mehr als vier Prozent festgestellt. Gegenüber den Staaten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die von den 30 reichsten Staaten der Welt gebildet wird, sind es sogar zehn Prozent.
Parallel dazu stürzen deshalb die Auslandsinvestitionen ab. Im Vergleich zum Vorjahr wurden im ersten Halbjahr 2004 gleich 51,5 Prozent weniger in dem Land investiert als noch im Vorjahr. Dazu bricht der Tourismus ein, die Haupteinnahmequelle des Landes. Stagnierte der Tourismus schon im letzten Jahr, waren die Zahlen im Juli wenig vielversprechend und im August ernst. Im Haupturlaubsmonat sind knapp ein Prozent weniger Urlauber ins Land gekommen als im Jahr zuvor und sie verbringen immer weniger Zeit im Land. Dabei hatten die Anbieter mit Sonderangeboten verzweifelt versucht, der Entwicklung zu begegnen. Die "neue Touristengeneration" kulturinteressierter Qualitätstouristen, die der Spiegel herbeischreibt, gibt es nicht. Sie ist bisher ein Wunschtraum der Regierung. Fraglich ist auch, ob Spanien tatsächlich "rockt", so eine Serie im Spiegel über das "lebensfrohe Boom-Land", das "ein Vorbild für Osteuropa" sein soll.
Also stieg die Arbeitslosenrate ausgerechnet im August: "Der schlechteste August seit 20 Jahren", titelte die größte Zeitung El País. Dabei waren, nach offiziellen Zahlen, nur fast 14.000 Menschen mehr arbeitslos als im Juli. Die Sozialversicherung hat allerdings mehr als 150.000 Beitragszahler verloren. Da inzwischen fast alle Verträge nur noch befristet abgeschlossen werden, wird oft kein Anspruch auf Arbeitslosengeld erzielt und die Statistik nicht belastet. Der schwache Tourismus konnte nicht, wie sonst üblich, die Entlassungen am Bau oder der Industrie im Sommer kompensieren. Vor der Sommerpause laufen befristete Verträge aus. Viele werden zwar danach wieder eingestellt, aber die Firma spart das Urlaubsgeld. "Trendsetter" ist Spanien so beim Abbau sozialer Standards.
Der Abbau von Kündigungsschutz und die befristete Beschäftigung, tragen offensichtlich nicht zur Wettbewerbsfähigkeit bei, wie solche Einschnitte gerne verkauft werden. Die fallende Wettbewerbsfähigkeit und der einbrechende Tourismus lassen in Spanien dagegen das Außenhandelsdefizit stark steigen. Immer mehr Produkte werden im Ausland gekauft und weniger Touristen fragen weniger nationale Dienstleistungen nach. So hat sich das Defizit im Juni gegenüber dem Durchschnitt der Vormonate fast verdoppelt: Von 81 auf nun fast 150 Prozent. Wie wenig Aufmerksamkeit der "alarmierenden" Entwicklung gezollt wird, kritisiert der Analyst der Citygroup José Luis Martínez in einem Artikel.
Dazu kommt, dass die Regierung auch das prognostizierte Wirtschaftswachstum zunächst von drei auf 2,8 Prozent abgesenkt hat. Nun legt der Wirtschaftsminister Pedro Solbes nahe, es könnte auch noch geringer ausfallen. Zudem kündigte er an, die Staatsverschuldung werde nicht bei 0,4 Prozent, sondern, wegen der defizitären Staatsbetriebe (vor allem wegen der Bahn und dem öffentlichen Rundfunk), bei fast zwei Prozent des Bruttosozialproduktes liegen.
Ohnehin finanziert Spanien seit Jahren etwa ein Prozent des Wachstums aus den Kassen der EU. Wenn dem Hauptempfängerland ab 2006 die Gelder aus den Kohäsionsfonds wegen der EU-Osterweiterung wegfallen, wird sich das deutlich bemerkbar machen (Milliardenloch durch Osterweiterung in Spanien) Das war sogar dem Spiegel aufgefallen, aber erst nach dem Regierungswechsel im März. Zuvor wurde eifrig die Propaganda vom angeblichen ökonomischen Wunderland unter Spaniens konservativer Volkspartei verbreitet. Doch die haben den Sozialisten ein gefährliches Erbe überlassen.
Denn ein guter Teil des Wachstums basiert (noch) auf der ungebremsten Binnennachfrage, doch die wird auf Pump bezahlt. Im ersten Halbjahr ist die Verschuldung der Haushalte erneut um fast 17 Prozent gestiegen. War schon die 500 Milliarden Marke für die Finanzinstitutionen alarmierend, so müssten bei einer Verschuldung von aktuell über 800 Milliarden die Warnleuchten durchbrennen. Hier spielt vor allem der ungebremste Anstieg der Immobilienpreise eine Rolle, weil in Spanien eher gekauft als gemietet wird.
So hat sich in die Reihe der Warner nun auch der Internationale Währungsfond (IWF) eingereiht. In den vergangenen 18 Monaten hatten schon die EU, die Europäische Zentralbank, die OECD oder die Spanische Zentralbank vor der gefährlichen Immobilienblase gewarnt. Wie die OECD warnt nun auch der IWF in seinem Vierteljahresbericht drastisch vor einer "plötzlichen Korrektur" der Immobilienpreise, falls die Zinsen steigen. (Spanien vor Immobiliencrash?) Das hätte "schwere Auswirkungen" auf die Ökonomie. Der Bausektor ist, neben dem Tourismus, eine wichtige Stütze der Ökonomie. Seit 1997 seien die Preise um 70 Prozent gestiegen, warnt der IWF. Dabei, so erklärt die spanische Zentralbank mit neueren Zahlen, liegt der Anstieg schon bei 80 Prozent.
Um der Gefahr zu begegnen, empfiehlt der IWF, die Kreditvergabe stärker zu kontrollieren und Kredite mit festen Zinssätzen zu vergeben. Doch anders als in Deutschland und Frankreich werden hier fast alle Darlehen variabel an den Euribor gebunden. Das ist der Zinssatz, den europäische Banken voneinander beim Handel von Einlagen mit festgelegter Laufzeit verlangen. Nach einer bedrohlichen Phase des Anstiegs ist der Euribor in den letzten Monaten wieder gefallen. Mit der dritten Leitzinserhöhung in Folge in den USA am Dienstag wird neben Inflationstendenzen mit einem Anstieg gerechnet. Das könnte vielen spanischen Haushalten den Rest geben und die Immobilienblase mit unberechenbaren Folgen zum Platzen bringen. Etwa 56 Prozent der Spanier, knapp acht Millionen Familien, reicht das Einkommen nicht oder kaum noch zum Überleben aus.