Spanien spitzt auch den Konflikt mit Basken weiter zu
Während Madrid den Katalanen droht, sicherte der Regierungschef den Basken nicht einmal die Übertragung der Autonomierechte zu, die seit Jahrzehnten ausstehen
Im Windschatten des eskalierenden Konflikts zwischen Katalonien und Spanien spitzt sich bisher wenig beachtet auch die Lage im Baskenland zu. Allerdings versucht der christdemokratische Regierungschef Iñigo Urkullu noch einen Spagat und will weiter Verhandlungen mit Madrid führen, während die Freunde seiner Schwesterpartei in Katalonien angesichts der Verweigerung dort längst offen die Unabhängigkeit fordern. Nach langer Ablehnung empfing der spanische Ministerpräsident am Dienstag Urkullu, doch Mariano Rajoy war nicht einmal zur Zusicherung bereit, endlich die seit 1979 ausstehenden Autonomiekompetenzen zu übertragen.
Der spanische Regierungschef Rajoy hat etwas aus dem Konflikt mit den Katalanen gelernt. Seine Verweigerung, mit dem christdemokratischen katalanischen Regierungschef Artur Mas auch nur über Reformen zu verhandeln, ließ dem keine andere Wahl, als vor zwei Jahren auf den Zug der immer stärker werdenden Unabhängigkeitsbewegung zu springen. Seither zeichnet sich immer klarer eine Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit von Spanien ab, wie Millionen gerade am Nationalfeiertag eindrücklich demonstriert haben (Katalonien: Nächste Station Unabhängigkeit).
Als Gesprächsverweigerer will Rajoy deshalb gegenüber den Basken nicht erscheinen. Deshalb traf er sich, nachdem Urkullu mehrfach insistiert hatte, nun mit am Dienstag mit dem Basken in Madrid. Doch es kann, was Rajoy weiterhin nicht verstanden hat, bei dem bloßen Händedruck und einem Foto nicht bleiben. Inhaltlich verlief das Treffen erneut ergebnislos, darin sind sich praktisch alle Medien einig. Es habe "keine Fortschritte" gegeben, erklärte der Sprecher der baskischen Regierung Josu Erkoreka.
Rajoy will auf die Forderungen der Basken, die ihm Urkullu schriftlich übergeben hat, irgendwann antworten. Nicht einmal dafür konnte Rajoy einen Zeitrahmen nennen, stellt El País fest. El Mundo, die der konservativen Regierung nahe steht, streicht heraus, dass der "Lehendakari" Urkullu gegenüber dem Ministerpräsidenten einen Forderungskatalog präsentiert habe, der nicht wie in Katalonien auf einen "Bruch" setze. Er nehme von "Maximalforderungen" Abstand und ziele auf die "die volle Umsetzung des Autonomiestatuts". Doch hat, wie auch El Mundo feststellt, Urkullu nicht einmal von Rajoy eine Zusicherung dafür erhalten, wenigstens eher unbedeutende Kompetenzen endlich an die Basken zu übertragen. Die aus Regierungskreisen gut unterrichtete Zeitung rechnet nur damit, dass höchstens in untergeordneten Fragen, wie Autobahngebühren, Bahnlinien… Zugeständnisse zu erwarten sind.
Es ist eine von niemand bestrittene Tatsache, dass seit Jahrzehnten zentrale Autonomierechte, die den Basken 1979 von Spanien über das Autonomiestatut zugesichert wurden, noch immer nicht übertragen wurden. Papier ist geduldig, denkt man sich in Madrid und begeht seit Jahrzehnten eklatante Gesetzes - und Verfassungsverstöße. Madrid hat in all den Jahren diese Kompetenzen stets als eine Art Zuckerbrot gegenüber Urkullus Partei benutzt. Für Wohlverhalten der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) in Madrid gab es bisweilen einzelne Zugeständnisse. Unterschieden haben sich dabei weder die Sozialdemokraten der PSOE noch die ultrakonservativen von Rajoys Volkspartei (PP). Ein Unterschied besteht nur in der "Re-Zentralisierung", die nach Ansicht der Basken durch die PP immer stärker betrieben wird. Über nationale Gesetze, wie Bildungsgesetze, werden Kompetenzen und Sprachenrechte ausgehöhlt. Gegen diverse Vorhaben klagen nicht nur das Baskenland und Katalonien, sondern auch Regionen wie Andalusien vor dem Verfassungsgericht.
Für die baskische Regierung ist auch ein Problem, dass sich Rajoy seit Jahren auch weigert, sich am Friedensprozess und an der Entwaffnung der Untergrundorganisation ETA zu beteiligen. Die hat vor drei Jahren den bewaffneten Kampf eingestellt, Doch anstatt den Prozess voranzutreiben, wird er behindert und sogar anerkannte internationale Vermittler werden kriminalisiert. Auch auf diesem Feld erwartet die baskische Gesellschaft endlich Erfolge von ihrem Regierungschef.
Und Urkullu muss spätestens bis zum Jahresende liefern, denn im nächsten Jahr stehen Gemeinderatswahlen, Wahlen zu einigen Regionalparlamenten und Parlamentswahlen an. Kann er keinen Zeitplan für die vollständige Umsetzung der Autonomierechte vorweisen, wird er und seine Partei auch im Baskenland den Weg gehen müssen, den die katalanische Schwesterpartei von Artur Mas geht. Schließlich war schon seinem Vorgänger Juan Jóse Ibarretxe vor zehn Jahren die Hutschnur angesichts der Verweigerung Spaniens geplatzt, getroffene Vereinbarungen umzusetzen. Er wollte deshalb in einem Referendum die Bewohner der drei Provinzen, welche die Autonome Baskische Gemeinschaft (CAV) bilden, über das Verhältnis zum spanischen Staat entscheiden lassen und hatte darüber das Selbstbestimmungsrecht auf die Tagesordnung gesetzt (Volksbefragungen sollen in Spanien strafbar werden). Das wurde von Spanien verboten und Ibarretxe zog sich aus der Politik zurück.
Millionen Katalanen lassen sich von Drohungen aus Madrid nicht mehr einschüchtern
Doch die Situation hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. Da ist die Lage in Katalonien, wo sich nicht einmal mehr die Christdemokraten von der Repression aus Madrid abschrecken lassen. Denn auch das geplante Referendum über die Unabhängigkeit am 9. November soll verboten und "mit allen Mitteln" verhindert werden. Der Generalstaatsanwalt des Ministeriums für Staatsanwaltschaft Eduardo Torres-Dulce hat die Staatanwälte zusammengetrommelt, um die entsprechenden Maßnahmen zu erörtern.
Immer wieder wird damit gedroht, auch den katalanischen Regierungschef zu verhaften, jetzt drohte Außenminister José Manuel García-Margallo offen, die katalanische Autonomie auszusetzen. "Außerhalb der Verfassung und außerhalb der Gesetze ist nichts möglich", erklärt er. Man werde alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um das Referendum zu verhindern. Diese Rechtsauffassung ist auch deshalb originell - um es gelinde auszudrücken -, wenn man den Basken seit Jahrzehnten durch die Verfassung garantierte Rechte vorenthält. Der katalanische Regierungschef gibt dem Außenminister ohnehin nur zurück, dass sich auch damit das "Rad der Geschichte nicht zurückdrehen lässt".
Für die Vorgänge in Katalonien und im Baskenland ist entscheidend, dass sich Großbritannien demokratisch gezeigt hat und deshalb die Schotten morgen über ihre Unabhängigkeit abstimmen können. So wird das katalanische Parlament genau dann am Freitag ein Gesetz beschließen, um am 9. November die Bevölkerung zu befragen, wenn das Ergebnis aus Schottland über das Referendum eintreffen wird, wurde heute entschieden Einen so zivilisierten und normalen demokratischen Vorgang, wie die Bevölkerungen Fragen abstimmen zu lassen, bezeichnete Rajoy dagegen am Mittwoch im Parlament in Madrid als "Torpedos auf die Wasserlinie der Europäischen Gemeinschaft".
Klar ist längst, dass die Schotten gewonnen haben, egal wie das Referendum ausgeht. Denn inzwischen bietet London die Autonomierecht und eine weitgehende finanzielle Selbstständigkeit an (Nach Finanzversprechen für Schottland:), um die es vielen in Schottland ursprünglich nur ging (Schottland: Totale Wählermobilmachung). Und mit welcher Legitimation will man in der Zukunft nach dieser Abstimmung anderen Regionen verbieten, ebenfalls ihr Selbstbestimmungsrecht auszuüben? Ohnehin war es die EU, die im ehemaligen Jugoslawien, allen voran in der Abtrennung des Kosovo, die Büchse der Pandora geöffnet hat (Heuchelei zu Krim-Unabhängigkeitsbestrebungen).
Und klar ist auch, dass sich Millionen in Katalonien von undemokratischen Äußerungen und Drohungen aus Madrid nicht mehr einschüchtern lassen. Mit Blick auf die Vorgänge im Kosovo hat der Regierungschef Mas auch schon klar gemacht, dass man plebiszitäre vorgezogene Neuwahlen abhalten könnte. Dabei könnten die Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, sogar auf einer gemeinsamen Liste antreten. Die Republikanische Linke (ERC) hat gerade die offizielle Regierungsbeteiligung angeboten, um den Prozess abzusichern. Und nach einem klaren Sieg derer, die für die Unabhängigkeit eintreten, kann das Parlament sie beschließen und sogar einseitig verkünden. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat im Fall des Kosovo entschieden, dass das vom Völkerrecht gedeckt ist (Spanische Sorgen angesichts der Entscheidung zur Kosovo-Unabhängigkeit).
Und wie in Katalonien zeigt sich längst auch im Baskenland, dass die Befürworter der Unabhängigkeit immer stärker werden. In beiden Regionen wurden die Parteien der linken Unabhängigkeitsbewegung bei den Wahlen zum Europaparlament im Mai erstmals zur jeweils stärksten Kraft. Die PNV von Urkullu ist kommt daher immer stärker unter Druck. Sie hält sich deshalb derzeit nicht nur die Tür nach Madrid noch offen, sondern stößt auch die Tür zur linken Unabhängigkeitsbewegung immer weiter auf. Nach einem Verbot einer Demonstration für die baskischen Gefangenen, die sogar in härtesten Konfliktjahren durchgeführt werden konnte, rief auch die PNV erstmals zur Beteiligung auf. Damit machte sie in Richtung Madrid klar, dass eine Aktionseinheit mit der baskischen Linken in der Frage einer Friedenslösung und darüber hinaus möglich ist (Im Windschatten Schottlands und Kataloniens zur Unabhängigkeit). Schottland und Katalonien drängen die PNV von Urkullu immer stärker zu einer Positionierung, weil sie immer größere Teile ihre Basis verliert. Und sollte sich am Donnerstag in Schottland sogar das Ja zur Unabhängigkeit durchsetzen, werden die Prozesse im Baskenland und in Katalonien bisher noch unbekannte Dynamiken entwickeln.