Spanien will den Botellón verbieten

Allein in Madrid versammeln sich an Wochenenden Hunderttausende von Jugendlichen, um des Nachts in der Innenstadt auf den Straßen und Plätzen zu feiern und zu trinken

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Spaniens südlicher Flair: Belebte Strassen und Plätze, ausgelassene Menschen, die auch auf der Straße zu feiern verstehen, ist in Gefahr. Die konservative Regierung unter Ministerpräsident José Maria Aznar hat dem Botellón und damit der spanischen Jugend den Krieg erklärt.

Den Botellón, also "die Flasche machen", ist ein Brauch, den die Jugend in Spanien am Wochenende ausgiebig frönt. Ab Freitag treffen sich zwischen einer halben und eine Million Jugendliche auf zentralen Plätzen oder in den Kneipenvierteln von Madrid, Sevilla, Valencia oder Málaga und machen die Flasche. Das bedeutet, dass die Jugendlichen, denen die Preise in den Kneipen zu teuer sind, sich die Getränke in den jeweiligen Geschäften besorgen und auf der Strasse die Party oder das Besäufnis starten. Barcelona und Bilbao scheinen für dieses Vergnügen in der Masse eine Ausnahme zu sein.

"Den Botellón machte man eigentlich, bevor man irgendwo anders hingeht und spart dabei Geld", sagt Andrea. Sie wohnt in Lavapies, einem Stadtteil von Madrid, in dem der Botellón beliebt ist. Vor 23 Uhr lohne es sich ohnehin nicht in eine Bar oder Disco zu gehen. "Bevor das Abendessen zu Ende ist, geht da eh nichts ab", meint Andrea. Also trifft sie sich mit ihren Freunden zur Prä-Fiesta auf dem Platz an der U-Bahn Station. Hier können alle Formen des Botellón beobachtet werden. Da sind die Kampftrinker: für sie bedeutete es, sich mit hartem Alkohol in zwei Stunden "unter die Erde zu schießen". Die Fetenleute trinken Bier, Wein oder auch einfach nur Cola oder Wasser, hören Musik und genießen das Ambiente. Das habe sich mittlerweile verselbständigt, so dass aus der Prä-Fiesta eine Fiesta geworden ist und der Bar oder Discobesuch nun oft ganz ausfällt.

Doch zugepisste Ecken, herumliegende Scherben und der Krach nerven die Anwohner und der Konsumausfall die Barbesitzer. Eine unheilvolle Allianz, die sich mit konservativ-christlichen Moralaposteln der Regierenden mischt. Die spanische Regierung reagiert nun in der einzigen Art, die sie versteht: mit Repression und Verbot. Nach US-amerikanischen Vorbild will sie nun verbieten, auf der Strasse Alkohol zu trinken. Der Verkauf von Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren soll hart bestraft werden, kündigte der Innenminister Mariano Rajoy in der letzten Woche ein neues Gesetz an. Gonzalo Robles, der Verantwortliche der Regierung für den Nationalen Plan über Drogen, will auch eine Gesundheitserziehung in den Schulen einführen, um den Gefahren von Drogen und Alkohol vorzubeugen.

Einen Vorgeschmack haben Madrids Jugendliche in den vergangenen beiden Wochenenden erfahren oder besser gesagt erleiden dürfen. Drei zentrale Plätze waren polizeilich abgesperrt. Passieren durften nur Jugendliche, die keinen Alkohol bei sich hatten. Madrids Bürgermeister und Parteigänger von Aznars "Volkspartei" (PP), José Maria Alvarez del Manzano, kündigt an, "ein Heer" in den belebtesten Straßen aufzustellen, um den Botellón zu bekämpfen.

Die scharfen Kontrollen der Polizei hat der Chef der Anti-Drogen Agentur, José Manuel Torrecilla, kritisiert."Wir verlieren völlig die Ordnung mit den Maßnahmen gegen den Botellón", erklärte Torrecilla, der die "uneingeschränkte polizeiliche Besetzung Madrids" als eine "simplifizierte Lösung" bezeichnete. Auch dem Anliegen der Vereinigung der Barbesitzer erteilte er eine Absage. Die schlagen vor, die Preise zu senken, um die Kids wieder in ihre Kneipen zu locken. Für Torrecilla ist das eine "Barbarei", denn er sei besorgt über den Alkoholkonsum an sich.

Welche Pädagogik die Kids in den Schulen zu erwarten haben, wenn der Verantwortliche des Nationalen Plans über Drogen seine Vorstellungen umsetzt, ist leicht an seiner Haltung abzulesen. Denn auch Gonzales schwärmt für die harte Hand gegen den Botellón und spricht sich für polizeiliche Maßnahmen aus um ihn zu "unterdrücken".

Wie so oft in Spanien wird auch dieses Mal politisches Handeln nur vorgespielt. An den Ursachen des Problems wird nicht einmal gekratzt. So verwundert es nicht, dass am vergangenen Sonntag 43 Menschen mit Alkoholvergiftung behandelt wurden, von denen 11 ins Krankenhaus überwiesen werden mussten. Das waren doppelt so viele Fälle, wie an einem durchschnittlichen Sonntag ohne Polizeikontrollen in Madrid.

An eine veränderte Haltung zu Alkohol denkt die Regierung nicht im Geringsten, beispielsweise daran, Alkoholsündern den Führerschein sofort zu entziehen. Dafür wird jedes Wochenende eine hohe Zahl von Verkehrstoten in Kauf genommen. Denn der Wein zum Essen und der Schnaps danach sind heilig. Alkohol gehört in Spanien zum gesellschaftlichen Leben. So verwundert es nicht, dass auch die Jugend trinkt. Warum aber die spanische Jugend immer stärker zu Kampftrinkern mutiert, wenn man aktuellen Analysen glaubt, wird nicht gefragt. Im Hintergrund steht eine Perspektivlosigkeit, die auch durch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit gespeist wird und die Jugendliche veranlasst, nach dem billigen Vergnügen zu suchen. Alternativen zur Freizeitgestaltung fehlen ohnehin oft völlig.

PSO-Chef José Zapatero hat das Vorgehen der Regierung kritisiert, nur Entscheidungen gegen die Jugendlichen zu treffen, ohne ihnen zuzuhören, und angekündigt, ein Jugendministerium einzurichten, wenn er bei den Wahlen im Jahr 2004 an die Macht kommen sollte.