Spanier von Kosten des Atom-Moratoriums befreit

Seit 1996 kostete der Baustopp von fünf Meilern die Stromkunden insgesamt 5,717 Milliarden Euro

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Über 19 Jahre haben die spanischen Verbraucher Monat für Monat mit der Stromrechnung die Entscheidung der Regierung abgezahlt, die Stromkonzerne für den Baustopp für drei Atomreaktoren zu entschädigen. Nun sind sie von weiteren Zahlungen befreit und damit wird nun die Stromrechnung um 0,33% billiger. Das war der Aufschlag, um die sie zuletzt verteuert wurde, um die Ausgleichzahlungen abzustottern. Es kam eine Gesamtsumme von fast sechs Milliarden Euro zusammen, die dafür gezahlt wurden, dass die zwei Blöcke im baskischen Lemoiz, die beiden Blöcke in Valdecaballeros (Extremadura) und der zweite Block des Atomkraftwerks Trillo (Kastilien-La Mancha) nicht fertiggestellt wurden.

Das AKW in Lemoiz, das das "sicherste Atomkraftwerk Spaniens" werden sollte. Bild: R. Streck

Das Moratorium war eine Entscheidung der sozialistischen Regierung, die 1982 erstmals nach dem Ende der Franco-Diktatur an die Macht kam. Es war ein Ergebnis des zum Teil erbitterten Widerstands der Bevölkerung gegen die Atomkraft, der sich vor allem gegen das baskische Atomkraftwerk in Lemoiz und weitere geplante Standorte an der Atlantikküste richtete. Auch die Untergrundorganisation ETA hatte sich heftig in den Kampf mit zum Teil tödlichen Anschlägen und Entführungen eingemischt, weshalb das fast fertiggestellte Atomkraftwerk nie in Betrieb genommen wurde.

Die vom Moratorium betroffenen vier Betreiberfirmen wurden umfangreich entschädigt, wofür die Stromrechnungen der Verbraucher über fast zwei Jahrzehnte aufgebläht wurden. Es handelte sich um Endesa mit ihrer Filiale Sevillana de Electricidad, Unión Fenosa (heute Gas Natural Fenosa) und Iberdrola. Mit 2,3 Milliarden Euro wurde die höchste Entschädigung für Lemoiz entrichtet. Die Betreiber erhielten ihre Entschädigungen 1996 sofort ausgezahlt. Damals wurde eigens ein Fonds eingerichtet, in den über erhöhte Tarife in 25 Jahren die Summe und die Zinsen eingezahlt werden sollten.

Die Fondsverwalter stellten aber nach zehn Jahren fest, dass angesichts des gestiegenen Verbrauchs die "Elektrizitätsschulden" deutlich schneller als ursprünglich vorgesehen getilgt worden waren. Deshalb wurde 2006 per Dekret der Aufschlag auf 0,33% gesenkt und das Tilgungsende um fünf Jahre auf 2015 vorgezogen. Die Wettbewerbsbehörde (CNMC) hat nun vorgerechnet, dass insgesamt 5,717 Milliarden Euro aufgebracht wurden, wovon 4,383 Milliarden als Kompensation an die Betreiber geflossen sind.

AKW-Ruine in Lemoiz. Bild: R. Streck

Die Senkung der Stromrechnung passt der regierenden Volkspartei (PP) gut ins Kalkül. Dabei entstehen den Steuerzahlern gerade erst neue Kosten für die Endlagerung des Atommülls. Das geplante Lager hängt in der Luft, weil der Untergrund unsicher ist und die Kosten explodieren. Der Rechnungshof hat längst bemängelt, dass ein Milliardenloch im im Fonds klafft, der für die Lagerung des strahlenden Mülls geschaffen wurde.

Doch davon sprach am Montag niemand, als die Schulden für das Atom-Moratorium definitiv beglichen waren. Und genau an diesem Tag löste Ministerpräsident Mariano Rajoy das Parlament vor den Neuwahlen am 20. Dezember auf. Die Senkung der Stromkosten kommt ihn in einem Land gerade recht, in dem unter seiner Regierung die Preise wie nirgends sonst in Europa gestiegen sind. Das hat gerade David Robinson von The Oxford Institute for Energy Studies in einer Studie ermittelt. Der Strom habe sich in Spanien in den Krisenjahren seit 2008 um 52% verteuert. Das Land ist nun auf den vierten Platz bei den absoluten Strompreisen aufgestiegen. Nur in Dänemark, Deutschland und Irland ist das Kilowatt noch teurer, doch dort ist auch die Kaufkraft deutlich höher.

Zwar wird gerne behauptet, dass die erneuerbaren Energien die Stromkosten antreiben, doch Robinson rechnet vor, dass 73% der Strompreiserhöhung auf Steuern und Abgaben des Staats zurückgehen. Einst versprochene Einspeisevergütungen wurden ohnehin mehrfach rückwirkend gesenkt. Deshalb hat sich Spanien schon etliche Prozesse eingehandelt, die sehr teuer für das Land werden dürften. Klagen haben auch internationale Firmen und Fonds beim internationalen Schiedsgericht (ICSID) angestrengt, zuletzt auch der deutsche E.ON-Konzern. Mehr Klagen beim Weltbank-Schiedsgericht liegen nur gegen Venezuela und Argentinien vor.

Zu den Kostentreibern gehört das sogenannte Tarifdefizit, eine spanische Besonderheit. Nach dem Tarifsystem hier werden zunächst die kostengünstigsten Kraftwerke zur Deckung der Grundlast betrieben und stets zur Deckung des Bedarfs die nächstteurere Anlage zugeschaltet. Das klingt vernünftig, ist es aber im spanischen Fall nicht. Denn die zuletzt zugeschaltete Anlage - also die teuerste - bestimmt den Endpreis. Daraus entsteht scheinbar ein Defizit, obwohl die großen Energieerzeuger damit besonders hohe Gewinne erwirtschaften.

Die EU-Kommission unter dem früheren Energiekommissar Günther Oettinger hatte immer wieder die Reform des spanischen Tarifsystems angemahnt. Darüber würden längst abgeschriebenen Anlagen "wie Atom und Wasserkraftwerke" über eine "exzessive Vergütung" für produzierten Strom subventioniert. Oettinger stellte in einem Strategiepapier auch fest, dass es für Sonnen- und Windländer wie Spanien "billiger ist, in erneuerbare Energien zu investieren", als Energie teuer zu importieren.