Spanisches Knebelgesetz knebelt schon

Anzeige gegen La Franja del Guaza.

Strafen für die neuen Vergehen werden von Behörden schnell verhängt, auch kritische Internet-Kommentare und Satire kommen unter die Räder

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In Spanien trat im Juli das so genannte "Gesetz zum Schutz der Bürger" in Kraft, das von der gesamten Opposition als "ley mordaza" (Knebelgesetz) bezeichnet wird. Denn Bürger werden nicht geschützt, sondern wie erwartet dafür bestraft, wenn sie eine kritische Meinung kundtun. Die bisherige Anwendung zeigt, dass es sogar noch restriktiver gehandhabt wird, als ohnehin befürchtet worden war, da nun auch Satire darüber geahndet wird. Als Kollateralschaden, womit die Macher der rechten Volkspartei (PP) nicht gerechnet haben, droht selbst einer von ihr regierten Gemeinde wegen eine Geldstrafe von bis zu 30.000 Euro.

Bild von der Facebookseite von "La Franja del Guaza", die Gruppe wird wegen mangelnden Respekts vor staatlichen Behörden belangt.

Es gab nie einen Zweifel daran, dass der Name des Gesetzes als "Neusprech" im Sinne von George Orwell eingeordnet werden muss. Denn der Schutz der Bürger ist nicht das Ziel. Es steht die Bestrafung derer im Vordergrund, die aufbegehren oder eine kritische Meinung äußern. So hatten Experten stets davor gewarnt, dass sich das Gesetz gegen die Bewegungen richtet, die in den vergangenen Jahren zahlreich gegen die tiefen Einschnitte ins Sozialsystem entstanden sind ("Eigentlich müsste die UNO längst Blauhelmtruppen nach Spanien schicken") .

Nun ist das Gesetz gut sechs Wochen in Kraft und diverse Beispiele zeigen, wie die Behörden, ohne richterliche Kontrolle, diese neue Waffe einsetzen. Und sie zeigen auch, dass der Name Knebelgesetz die Realität deutlich besser beschreibt. So bewegt zum Beispiel ein Fall in Petrer gerade die Gemüter im Land, womit die kleine Stadt im südspanischen Valencia landesweit bekannt wurde. Dort hatte vergangene Woche, wie die Lokalzeitung "Petreraldia" berichtete, eine Frau per Foto dokumentiert, wie Polizisten der Kleinstadt auf einem Behindertenparkplatz parken. Sie veröffentlichte das Bild per Facebook mit dem Hinweis: "Man parkt wo es einem gerade passt und bekommt keine Strafe."

Dafür wurde sie von den betroffenen Polizisten angezeigt. Die Behörden verhängten eilig in nur 48 Stunden eine Geldstrafe "von mehr als 800 Euro". Die Angeschuldigte soll einen "schweren Verstoß" gegen das "Gesetz zum Schutz der Bürger" begangen haben. Mit diesem Vorgang wird deutlich, dass der Knebel sogar noch deutlich drastischer eingesetzt werden soll, als es sich Gegner einst in Albträumen ausgemalt hatten. Für das Vorgehen gegen die aufmerksame Bürgerin wird ein Paragraph eingesetzt, der eigentlich anderes zugeschnitten war. So sollten vor allem Demonstranten davon abgehalten werden, zum Teil schwere Übergriffe der Sicherheitskräfte und andere Vorgänge zu dokumentieren.

Denn mit diesen Bildern oder Videoaufnahmen konnten in Strafverfahren die Angeschuldigten immer wieder entlastet oder Polizisten angeschuldigt werden. Jetzt drohen nach Artikel 36.23 des Gesetzes Geldstrafen zwischen 600 und 30.000 Euro, wenn "Bilder oder Daten" von "Mitgliedern der Sicherheitskräfte" benutzt werden, "die deren Sicherheit oder die ihrer Familie gefährden". Worin die Gefahr für die Beamten oder ihre Familie im Fall von Petrer bestehen soll, ist völlig unklar. Dabei hatte Innenminister Jorge Fernández sogar beschworen, dass niemand dafür bestraft werde, weil er die Polizei filmt oder fotografiert, obgleich der Gesetzestext deutlich macht, dass eben dies verhindert werden soll.

Offenbar soll das Verbot nun sogar schon für die Dienstfahrzeuge der Polizei gelten, denn durch Aufnahmen wie in Petrer könnten sich Polizisten in ihrer "Ehre" verletzt sehen. Das jedenfalls, so erklärte der in der Stadt für die Lokalpolizei zuständige Stadtrat Fernando Portillo, sei die Begründung der Polizisten für ihre Anzeige gewesen. Schließlich hätten sie in Ausübung ihres Amts parken müssen, wo es gerade möglich war. Sie hätten in einem angrenzenden Park gegen Vandalismus vorgehen und schnell handeln müssen, um die Täter "auf frischer Tat" zu ertappen. Warum daraus ein "schwerer Verstoß" gegen das Knebelgesetz und dafür sogar ein angebliches Risiko für die Sicherheit der Beamten oder ihrer Familien konstruiert wird, bleibt ein Rätsel.