Speed matters IV
Craig Venter von Celera über die Veröffentlichung der Sequenzierungsdaten des menschlichen Genoms, Patente auf menschliche Gene und die stümperhafte Arbeit des Human Genome Project
Craig Venter kündigte den Erfolg von Celera, das Genom des ersten Menschen fast vollständig sequenziert zu haben, während der Sitzung eines für wissenschaftliche Fragen zuständigen Unterausschusses des US-Kongresses an, die gestern stattfand. Nachdem Bill Clinton zusammen mit Tony Blair vor einigen Wochen eine Erklärung veröffentlicht hatten, in der sie, allerdings ohne großen Nachdruck, forderten, dass das menschliche Genom als Besitz der Menschheit nicht zum geistigen und damit kommerziellen Eigentum von Firmen werden sollte, brachen die Börsenwerte einiger Gentechnikfirmen ein. Insgesamt kam es zu Verlusten in Höhe von 50 Milliarden Dollar in der Biotech-Branche.
Die Anleger hatten wohl befürchtet, dass den Unternehmen, die auf die Erforschung und Aneignung menschlicher Gene setzen, der Boden unter den Füßen weggezogen werden könnte, was sich allerdings bei der kurzen, äußerst zurückhaltenden Erklärung keineswegs herauslesen ließ, die eher einen vagen moralischen Ton hatte: "Um das ganze Versprechen dieser Forschung zu realisieren", so heißt es in der Erklärung, "sollten die fundamentalen Rohdaten des menschlichen Genoms, wozu die DNA-Sequenzen und ihre Varianten gehören, allen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt frei zur Verfügung stehen." Das Weiße Haus ließ auch gleich verlauten, dass keine politischen Konsequenzen auf die Erklärung folgen werden, aber an der Börse reagiert man stets empfindlich. Auch die Aktienwerte von Celera fielen bei dieser Gelegenheit um die Hälfte, schließlich war die Firma mit der Kritik auch gemeint, die vor allem die Absicht hatte, das mit öffentlichen Geldern finanzierte internationale Konsortium des Human Genome Project und deren Praxis zu stärken, die sequenzierten Daten des menschlichen Genoms umgehend zu veröffentlichen.
Die Erfolgsmeldung von Celera (Celera verkündet im Wettlauf um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms den Sieg über das internationale Human Genome Project hatte gleich zur Folge, dass nicht nur die Aktien der Firma, sondern auch die anderer Gentech-Unternehmen wie Incyte oder Genome Therapeutics steil nach oben kletterten. Craig Venter jedenfalls nahm die Anhörung zum Anlass, sich noch einmal über die Politik der Veröffentlichung der Daten von Celera, über den Erwerb von Patenten und die Unterschiede zwischen dem Vorgehen des HGP und von Celera auseinander zu setzen. Das Statement von Venter findet sich auf der Website von Celera.
Die Frage der Veröffentlichung der Daten und der Patentierung von menschlichen Genen hatte zu einem Konflikt bei den Kooperationsverhandlungen zwischen dem HGP und Celera geführt. Mitglieder des HGP warfen Celera vor, sich nicht nur der veröffentlichten und kostenlos zugänglichen Daten des HGP zu bedienen, sondern ein Monopol über das menschliche Genom anzustreben. Allerdings ist Celera inzwischen in Verhandlungen mit den National Institutes of Health (NIH) über ein neues Kooperationsabkommen eingetreten. Hier wird festgehalten, dass die Ziele der beiden Projekte sich ergänzen und dass beide Parteien auch hinsichtlich der Patentierung des menschlichen Genoms übereinstimmen. Patente auf Gene sollen, wie Venter auch wieder während der Anhörung betonte, nur dann bewilligt werden, wenn ihre Funktion detailliert beschrieben wurde, nicht aber, wenn es sich nur um zufällige oder unbekannte Sequenzen handelt. Damit setzt sich Celera, wenn es sich denn daran hält, von der Praxis anderer kommerzieller Konkurrenten ab, die wie Incyte oder Humane Genome Sciences angeblich, wie kritisch bei der Anhörung vermerkt wurde, jeden Tag die vom HGP im Internet veröffentlichten Sequenzierungsdaten herunterladen und dann gleich Patentanträge stellen, wenn sie Gene gefunden haben.
Craig erklärte, Celera sei vornehmlich ein "Informationsunternehmen", das genetische Daten sammelt und aufbereitet in Datenbanken für Kunden zur Verfügung stelle. Die sequenzierten Rohdaten habe man stets der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt. Für die Benutzung der Datenbanken verlangt man allerdings Gebühren. Für Universitäten würde man beim menschlichen Genom eine "sehr niedrige" Gebühr für ein Jahresabonnement zwischen 5000 und 15000 Dollar verlangen, für andere Unternehmen seien die Gebühren höher. Auf den Vorwurf, dass eine Zurückhaltung und die private Aneignung der Daten die Forschung behindern könnten, antwortete Venter, dass man den Wissenschaftlern, die die Daten benutzen wollen, keine Restriktionen setzen werde. Sie können Forschungsergebnisse, die aufgrund der Daten entstanden sind, veröffentlichen und versuchen, ihre Entdeckungen als geistiges Eigentum zu schützen. Schützen wolle man allerdings die Gesamtinformationen der Datenbank, damit nicht Konkurrenten die Informationen verkaufen können. Im Hinblick auf die Frage der kostenlosen Zugänglichkeit oder des gebührenpflichtigen Zugangs zog Venter einen Vergleich, der wohl das Problem herunterspielen sollte: "Wenn Sie eine Zeitung an Ihrer Türe nehmen, dann ist das für Sie ziemlich zugänglich. Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht daran, dass sie für den Zugang ein Abonnement bezahlen, und Sie behaupten sicher nicht, dass das Zeitungsunternehmen Geheimnisse schützt oder den Zugang zu den Nachrichten über aktuelle Ereignisse beschränkt, nur weil sie eine Abonnementgebühr bezahlen."
Was die Patentierung von Genen angeht, stand Celera unter Kritik, weil das Unternehmen bislang mehr als 6000 vorläufige Patentanträge gestellt hat. Venter betont, dass man sich damit nur absichern will, innerhalb eines Jahres möglicherweise einen Patentantrag auf die neuen Entdeckungen stellen zu können. Durch die vorläufigen Patentanträge reserviere man für sich lediglich diese Möglichkeit, ohne sie deswegen auch wahrnehmen zu müssen. Celera habe ein Team, das nur für die Identifizierung neuer Gene bei Menschen zuständig ist, aber man strebe nur die Patentierung von etwa 300 der insgesamt 100000 menschlichen Gene an, die medizinisch bedeutsam sind. Und um die wissenschaftliche Forschung zu fördern, werde man auch keine exklusiven Lizenzrechte vergeben.
Venter, der in seinem Statement betonte, dass seine mit fortgeschrittensten Technologien ausgestattetes Unternehmen ausschließlich privatwirtschaftlich finanziert ist, zog bei der Gelegenheit auch über das HGP her, auch wenn er die Bereitschaft versicherte, wie beim Genom der Fruchtfliege mit dem HGP kooperieren zu wollen. Mitglieder des HGP hatten stets kritisiert, dass die Shotgun-Methode von Celera im Unterschied zum eigenen Ansatz, den Gencode Stück für Stück zu sequenzieren, keine genauen und vor allem nur unvollständige Ergebnisse liefern würde. Venter hält dem den Erfolg bei der Sequenzierung des Fruchtfliegengenoms und die Absicht des von NIH finanzierten Projekts zur Sequenzierung des Genoms der Maus vor, dazu die Shotgun-Methode zu verwenden, weil sie "schneller, billiger und von gleicher oder besserer Qualität als die herkömmliche Methode" sei.
Venter meinte, dass mit der Gründung von Celera auch viele Forscher in dem öffentlich finanzierten Projekt plötzlich zu einer meist vorteilhaften Anerkennung der Dringlichkeit und des Konkurrenzdrucks gekommen seien: "Wir alle profitieren von der Beschleunigung der Arbeit. Wir bei Celera verstehen, 'dass Geschwindigkeit zählt'. Aber, Herr Vorsitzender, ich finde mich jetzt in der seltsamen Position, Sie warnen zu müssen, dass in dem Wettlauf bei der Vervollständigung des menschlichen Genoms das mit öffentlichen Gelder finanzierte Human Genome Project einen Punkt erreicht hat, wo die Qualität und die wissenschaftlichen Maßstäbe der Geschwindigkeit geopfert werden. ... Vor zwei Jahren wurde bereichtet, Dr. Collins (der Leiter des HGP) habe gesagt, Celera würde eine Mad Magazine Version des menschlichen Genoms herstellen. Ironischerweise finde ich mich jetzt in der Position des Warners, der sagt, dass es eine solche Version geben wird, aber dass sie nicht von Celera kommt." Die von Collins unlängst für Juni angekündigte Arbeitsversion bestünde aber bislang nur aus 500000, durchschnittlich 8000 Basenpaaren langen Fragmenten, zwischen denen jeweils Löcher vorhanden seien. Das sei eine "ungeordnete Sammlung", die in keiner Weise bald abgeschlossen werden könne.
Umstritten ist freilich schon, was überhaupt eine abgeschlossene Version des menschlichen Genoms ist. Im Unterschied etwa zu Bakterien, bei denen das gesamte Genom sequenziert werden kann, haben Tiere und daher auch Menschen große Bereiche der DNA, die mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Verfahren nicht analysiert werden können. Normalerweise enthalten diese Regionen in aller Regel nur sich wiederholende "Junk-DNA" und wahrscheinlich kaum Gene. Nur 3 Prozent der insgesamt 3 Milliarden Basenpaare codieren Gene. Aber auch in den Regionen mit vielen Genen gibt es häufig "Löcher", die nicht sequenziert werden können. Für Celera ist ein Genom vollständig sequenziert, wenn die Regionen, die Gene codieren, weitgehend vollständig sequenziert wurden und die DNA-Fragmente so angeordnet werden können, dass sie der Reihenfolge auf den Chromosomen entsprechen. Die Kluft zwischen einem vollständigen und dem gesamten Genom ist dabei natürlich groß.