Spektakel in den Bergen

Das World Economic Forum spaltet die Geister, doch auch der Protest dagegen ist gespalten

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Wenn sich Ende Januar im Schweizer Höhenkurort Davos Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zum Jahrestreffen des World Economic Forum versammelt, ist Protest gegen die "selbst ernannten Global Leaders" angesagt. Erstmals wurde in diesem Jahr von den Behörden eine Demonstration bewilligt. Ob und wo sie morgen stattfinden wird, ist derzeit allerdings unklar. Die OrganisatorInnen der Kundgebung stören sich an den angekündigten Kontrollen sämtlicher Demo-TeilnehmerInnen. Seit Tagen tobt nun eine Debatte, ob diese Sicherheitsmaßnahme verhältnismäßig sei.

Das WEF ist zurück. Nach einem als Akt der Solidarität deklarierten Abstecher ins terrorgebeutelte New York (Von den Bergen in die Stadt vor einem Jahr findet das hochkarätige Jahrestreffen des World Economic Forum wieder in den Bergen der Schweiz statt. Im Höhenkurort Davos versuchen dieser Tage rund 40 Staats- und Regierungschefs, 1300 hochrangige Wirtschaftsvertreter und andere Prominenz vor einer mehrhundertköpfigen Medienschar dem Motto der Tagung - "Building Trust" - Gestalt zu verleihen.

Der Sicherheitsaufwand ist - 9-11 und globaler Terrorhysterie sei dank - größer denn je: Rund 3000 Polizisten und Soldaten sind für einen reibungslosen Ablauf des Elitetreffens verantwortlich, sogar Wasserwerfer aus Deutschland stehen bereit. Über der gesamten Region rund um Davos ist der Luftraum gesperrt und wird von zwei Kampfjets permanent überwacht. Sollte ein als feindlich eingestuftes Flugzeuges eindringen, hat der Verteidigungsminister als ultima ratio die Befugnis, es zum Abschuss frei zu geben.

Dass eine Veranstaltung von diesem Ausmaß bei den sogenannten GlobalisierungsgegnerInnen Kritik hervorruft, ist so gut wie vorprogrammiert. Proteste gegen das WEF in Davos haben zudem eine Tradition, die ihre Anfänge lange vor den Protestpilgerfahrten gegen sämtliche Gipfeltreffen von NATO bis WTO fanden. Bereits anlässlich des WEF-Treffens 1991, wenige Tage vor dem Angriff einer NATO-Allianz gegen den Irak, hatte der Schweizer Schriftsteller und Journalist Niklaus Meienberg in einem Akt der Verzweiflung Flugblätter gegen den Krieg in Davos verteilt. Seit 1998 haben alljährlich Demonstrationen, Gegenveranstaltungen und Aktionen im Vorfeld stattgefunden, so auch im vergangenen Jahr als das WEF-Treffen nach New York ausgewichen ist (Zwischenstand beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in New York: Furcht). Für die morgige Kundgebung ist nun erstmals von den zuständigen Behörden eine Bewilligung erteilt worden. Doch die hat es in sich.

Umstrittene Schleuse

Knackpunkt ist die Bedingung, dass sich sämtliche TeilnehmerInnen der Demonstration auf dem Anfahrtsweg in den Winterkurort einer Sicherheitskontrolle zu unterziehen haben. Zwar werde nur das Gepäck kontrolliert und nicht gefilmt, heißt es von offizieller Seite, verdächtig erscheinende Personen würden aber von "Szenekennern" der Staatsschutzorgane, die bei den Kontrollen anwesend sein werden, herausgepickt und zur Identitätsabklärung abgeführt. Schließlich erwartet der Inland-Nachrichtendienst DAP bis zu 1000 gewaltbereite DemonstrantInnen.

Und genau diese Kontrollen auf einem eigens dafür errichteten provisorischen Bahnhof sind seit Tagen Gegenstand eines medial ausgetragenen Hick-Hacks zwischen den im Oltner Bündnis versammelten Organisatoren der Protestveranstaltung und den Behörden. Nie und nimmer würden sie die Kontrollen über sich ergehen lassen, heißt es bei den Organisatoren, das käme der Einführung eines "Zensus-Demonstrationsrechts" gleich. Gleichzeitig versuchen die Behörden die Sicherheitsschleuse so akzeptabel wie möglich zu gestalten, unter anderem indem sie unabhängige Beobachter das Prozedere kontrollieren lassen; doch auch damit beißen sie beim "Oltner Bündnis" auf Granit.

Zentralorgan Indymedia

Seinen Widerhall findet das Seilziehen um die Durchführungsmodalitäten in den Medien im Allgemeinen und auf dem Internetportal Indymedia im Speziellen. Seit Wochen werden dort fast ausschließlich Meldungen zum oder gegen das WEF gepostet. Wer politisch von der Generallinie von gewissen selbst ernannten Meinungswächtern abweicht, dem werden entsprechend die Leviten gelesen. Von einer Diskussion über den eigentlichen Adressaten des Protests - das World Economic Forum - ist reichlich wenig zu vernehmen. Statt dessen hat sich in den letzten Tagen die Diskussion um die Haltung gegenüber den angekündigten Kontrollen zur Gretchenfrage und damit zum Megathema entwickelt.

Die Spaltung in Befürworter und Gegner der Schleusen hat inzwischen sogar das "Oltner Bündnis" erfasst. Bündnis-Vertreter der Grünen Partei betonen die Wichtigkeit der Kundgebung und sind bereit, sich in die Taschen gucken zu lassen, während das radikalere Spektrum damit droht, die Kundgebung auch andernorts als in Davos durchzuführen. Gleichsam als lachende Dritte hat die Sozialdemokratische Partei die zentrifugalen Kräfte im Protest-Bündnis usurpiert und sich als Außenstehende dafür stark gemacht, die Polizeikontrollen zu akzeptieren. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warte. Gestern wurde die Parteizentrale der SP in Bern von WEF-GegnerInnen besetzt.

Gerüchteküche brodelt

Einen Tag vor der angekündigten Demonstration ist die Gerüchteküche auf Höchsttemperatur am Brodeln. Dank der Möglichkeit, anonym Textbeiträge zu veröffentlichen, bietet sich Indymedia als ideale Plattform für allerlei Schabernack an. Jede Meldung ist inzwischen suspekt. Hinter einem Aufruf zu einer Alternativkundgebung in Zürich, für all jene, die die lange Reise in die Berge nicht auf sich nehmen wollen, wurde prompt eine "Bullen-Provokation" vermutet. Vereinzelte Stimmen mahnen derweil zum Einhalten von gewissen Minimalstandards. Quellenangabe und keine Veränderung von Originaltexten beim üblichen Copy/paste-Verfahren wird etwa gefordert.

Auch wenn derzeit so gut wie nichts klar ist in Bezug auf die samstäglichen Proteste gegen das WEF, bleibt wenigstens eine Gewissheit. In dieser verfahrenen Situation schaffen offene Online-Medien wie Indymedia nicht unbedingt Klarheit, sondern tragen mehr zur Verwirrung einer interessierten Öffentlichkeit bei. Zudem leisten sie in einer an und für sich spannenden und notwendigen Diskussion einem aggressiven Ton Vorschub.