Von den Bergen in die Stadt

Das Jahrestreffen des World Economic Forums findet zum ersten Mal seit 30 Jahren nicht in Davos, sondern in New York statt - angeblich aus Solidarität mit der terrorgebeutelten Stadt

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Bereits seit Anfang Woche wurde darüber spekuliert - am Mittwoch folgte die Bestätigung: Nach über dreißig Jahren findet das Jahrestreffen des World Economic Forum WEF nicht im Schweizer Höhenkurort Davos, sondern in New York statt. Die Verlegung des hochkarätigen Politik- und Wirtschaftsmeetings wird von den WEF-Verantwortlichen als ein Zeichen der Solidarität verkauft. Nicht unerheblich sind allerdings die Sicherheitsbedenken für den Fall einer Durchführung in den Schweizer Bergen. Von verschiedenen Stellen konnten die vom WEF gewünschten Sicherheitsgarantien nicht gegeben werden.

Unmittelbar nach den Ereignissen vom 11. September machten Gerüchte und Spekulationen die Runde, wonach das Jahrestreffen des World Economic Forums - eine private Vereinigung der tausend umsatzstärksten Konzerne - nicht wie in den vergangenen dreißig Jahren in den Bergen des Südostens der Schweiz stattfinden oder gar abgesagt werden könnte. Sicherheitsbedenken und die Bekanntgabe eines Teilnahmeverzichts von einzelnen WEF-Mitgliedern nährten diese These zusätzlich. Von den WEF-Verantwortlichen selbst war damals zu erfahren, dass das Programm thematisch den Ereignissen vom 11. September auf jeden Fall Rechnung tragen soll, zu der Durchführung als solche war vom Hauptsitz bei Genf ein vages Bekenntnis zu vernehmen.

Vom Schnee in den Matsch

Inzwischen herrscht Klarheit. New York wird Ende Januar die illustre Runde von CEOs, Staatschefs und Vertretern aus Wissenschaft und Kultur beherbergen. Im Big Apple herrscht eitel Freude ob dieser Entscheidung. Noch-Bürgermeister Rudolph Giuliani sprach gar von einem mutigen Schritt: "Wir bewundern Sie dafür, dass Sie den Schnee der Schweizer Alpen gegen den Matsch in New York eintauschen und freuen uns über diese Solidaritätskundgebung mit unserer Stadt", so Giuliani am Mittwoch an der New Yorker Börse.

Trotz den Aussagen von WEF-Direktor André Schneider und WEF-Gründer Klaus Schwab, wonach der Entscheid zugunsten von New York und gegen Davos einzig mit der Symbolik des neuen Austragungsorts zu tun habe, sind es die mangelnden Sicherheitsgarantien, die gegeneine Durchführung in der Schweiz sprachen. Die zuständigen Stellen des Kantons Graubünden, auf dessen Boden seit 1971 das Wirtschaftsforum durchgeführt wird, konnte die Sicherheit des Treffens nicht garantieren. Es stünden nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung, so der Bündner Volkswirtschaftsdirektor Klaus Huber.

Die Stadt Zürich zeigte sich nur bereit, Polizisten nach Davos abzudelegieren, falls eine Grossdemonstration gegen das WEF bewilligt würde. Damit sollte ein Ventil geschaffen und verhindert werden, dass wie im vergangenen Januar frustrierte Demonstranten ihrem Unmut in Zürich freien Lauf lassen (Weltwirtschaftsforum vor dem Aus?). Eine Kundgebung im geforderten Ausmaß sei im Bergstädtchen Davos allerdings nicht durchführbar, hieß es bei den zuständigen Stellen.

Nullsummenspiel

Als Folge der Absage können nun Bund und Kantone rund 10 Millionen Franken sparen, die für Sicherheitsmassnahmen hätten aufgewendet werden müssen. Auf eine ähnliche Summe muss allerdings das Gastgewerbe in Davos verzichten, das mit der zahlungskräftigen Gästeschar Ende Januar jeweils das Geschäft des Jahres machte.

2003, so das Bekenntnis von WEF und Schweizer Behörden, soll das Jahrestreffen des potenten Eliteklubs wieder an seinem angestammten Ort stattfinden. Die Sicherheitsfragen müssen bis dahin also geklärt sein. Bereits gestern Donnerstag hat Justizministerin Ruth Metzler mit den kantonalen Polizeidirektoren Kontakt aufgenommen, denn das Sicherheitskonzept für das WEF-Jahrestreffen 2003 muss im kommenden Januar stehen. Vorgesehen ist ein Konzept namens "Spielfeld", das auch den Kritikern genügend Raum zur Artikulation ihrer Bedenken einräumen soll. Allerdings verlangt das "Spielfeld"-Szenario ein klares Bekenntnis der Kritiker zum WEF.

Vorerst stellt sich für die WEF-Gegner die Frage, ob sie anstatt zum x-ten Mal nach Davos zu pilgern, den Weg in die US-Ostküstenmetropole auf sich nehmen sollen. Man werde dies tun, nicht zu letzt wegen der zur Zeit günstigen Flugtarife, ließ sich ein Anarchistenführer vernehmen. Auch gemäßigte NGOs haben angekündigt, das WEF-Treffen in New York kritisch begleiten zu wollen. Die Verlegung des Treffens schreiben die WEF-Kritiker auf ihre Fahnen.

Demontage der Schweiz?

Was die Globalisierungsgegner freudig stimmt, ist für die Neue Zürcher Zeitung Anlass zur Besorgnis und zur Artikulation nationaler Existenzängste. Die Schweiz laufe Gefahr nach dem Konkurs der Swissair nun auch das zweite Aushängeschild zu verlieren. Als drittes, so die Befürchtungen beim Renommierblatt, könnte der UNO-Sitz in Genf folgen, dies für den Fall, dass sich die Schweizer Bevölkerung im kommenden März ein weiteres Mal gegen einen Beitritt zu den Vereinten Nationen aussprechen sollte.