Zwischenstand beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in New York: Furcht

Glimpflich verlief am Samstag dagegen die Großdemonstration

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"Die Hauptmahlzeit heißt Furcht" - obwohl die Essensgänge, die sich die Vorstandsvorsitzenden, die Premierminister, Ökonomen und Top-Journalisten gönnen, durchaus "opulent sind". In dieses vielsagende Bild fasste der Reporter der New York Times am Sonntag den Zwischenstand beim World Economic Forum, zu dem vom 31. Januar bis 4. Februar hochrangige Politiker und mächtige Unternehmer aus der ganzen Welt zum Schwatzen, Schwelgen und Philosophieren zusammengetroffen sind.

Auf der Demonstration am 2. Februar, Foto: Indymedia

Die Gemüter der politischen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Eliten sind dieses Mal, nach dem erzwungenen Auszug aus Davos (Von den Bergen in die Stadt), offenbar wirklich eher von Prosa denn von Poesie bewegt. So gaben sich die rund 2.700 WEF-Gäste (Jahresmitgliedschaft 25.000 Dollar, Forumseintrittskarten 6.000 Dollar) nicht nur dem ausgiebigen Hummeressen und Cocktailschlürfen hin. Sie trugen auch einige Widersprüche offen aus. "Die Auseinandersetzungen sind höflich, aber nicht wirklich fein", so die "New York Times".

Ein Beispiel: Auf die strammen Äußerungen des USA-Außenministers Colin Powell, wie die Supermacht mit "Schurkenregimen" umzugehen gedenke, reagierte am Freitagmorgen der Ratsvorsitzende der Europäischen Union und Ex-NATO-Generalsekretär Javier Solana mit den Worten, die USA-Bündnispartner erwarteten nicht bloße Konsultationen, sondern "eine echte Mitentscheidung". Auch beim Thema Terrorismus und Armutsbekämpfung - "um den Terrorismussumpf auszutrocknen", seien erhebliche Meinungsverschiedenheiten deutlich geworden, wussten Insider zu berichten.

Joseph Nye, der Chef der elitären Diplomatenschmiede der Harvard-Universität, fasste zusammen: "Für die Europäer ging die "Achse des Bösen" zu weit. Es gibt hier den scharfen Verdacht, dass die Bush-Regierung zum Unilateralismus zurückkehrt und dass Amerika nach Afghanistan nicht besonders daran interessiert ist, dem Rest der Welt zuzuhören".

Erbitterte Diskussionen führten die Eliten angeblich auch über die Nahostkrise. Während die Amerikaner den Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat auch fallen lassen wollen, halten die Europäer an ihm fest. Beim diesjährigen WEF-Treffen fehlte der palästinensische Stammgast - weil ihn israelische Panzer in Ramallah einkesseln. Die israelische Labour-Größe, Schimon Peres, ist dagegen präsent.

Einige WEF-Mitglieder ließen sich nicht davon abhalten, sich über die Armutsbekämpfung in der sogenannten 3. Welt Gedanken zu machen und dabei auf Werbeeffekte für ihre eigenen Institutionen zu hoffen. Was in seiner intellektuellen Schlichtheit rührend wäre - handelte es sich nicht ausgerechnet um Leute wie Bono von U2, Bill Gates, Paul O'Neill und Ernest Zedillo, die als Heilmittel eine Dosis aus Almosengeben und Sozialdemokratie empfehlen.

Die Stimmung bei den europäischen, aber auch bei den japanischen Wirtschaftsführern und Politikern aus den Chefetagen sei dagegen von "großer Sorge um Absatzmärkte und Stabilität geprägt", sagte Doug Henwood, der Herausgeber des linken Left Business Observer im Telepolis-Gespräch. Grund: die Alleingänge der US-Regierung - nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftspolitisch. Den hohen Herren und wenigen Damen mangele es nicht nur an Diskussionskultur, sondern auch an Werkzeugen, die wirtschaftliche Entwicklung überhaupt zu verstehen. Deshalb umgebe man sich beim WEF, und nicht nur dort, mit Größen aus der Kultur wie dem Sänger Bono von der Gruppe U2 und bezahle etwa Elton John 1 Million Dollar für ein paar Liedchen.

Trotz des Drucks aus Medien und Polizei erbrachten am Samstag rund linke 20.000 Anti-WEF-Demonstranten eine Meisterleistung aus Disziplin, Geduld und Phantasie. Mainstream-Medien hatten die geplante Großdemonstration im Vorfeld als Sicherheitsproblem bezeichnet oder gar in eine Reihe mit Terrorismus gestellt. Entgegen dem fast hysterischen Klima ließen es sich Tausende von Menschen nicht nehmen, gegen das WEF und seine Gäste zu protestieren. Die Polizei hatte ebenfalls Tausende von blau Uniformierten und Behelmten aufgefahren und den Zugang in der Nähe zum "Waldorf Astoria", wo die Tagung stattfindet, auf drei kleine Schleusen verkleinert. Wer zum Demonstrieren durchwollte, wurde kontrolliert und gefilmt, wie Indymedia berichtete.

"Seemingly under orders to keep the protest away from the Waldorf Astoria for as long as possible, the police turned what was supposed to have been a peaceful demonstration against the World Economic Forum into a tense and at times violent stand-off between protesters and the NYPD. Never allowed to approach the object of the demonstration and held for hours inside police lines, the protesters nonetheless remained calm and attempted to sustain the carnival atmosphere that had inaugurated the march earlier in the day."

Trotz etlicher Provokationen am Straßenrand verzichteten die Demonstranten, hauptsächlich junge Globaliserungsgegner und Anarchisten, auf "direct action". Es gab 38 Festnahmen, meist haben die Polizeibeamten offenbar wahllos zugegriffen. Die Demonstration gilt als Riesenerfolg beim Versuch, die seit dem 11. September angeschlagene Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung wiederzubeleben.