Spielautomaten sind das Hauptproblem
Spielsüchtiger Bankräuber packte aus - Die Automatenbranche bekommt Gegenwind
Immer mehr Menschen in Deutschland zieht es in die Spielhallen. Wo früher ein paar Groschen verspielt werden konnten, kann die wachsende Zahl der Glückspielsüchtigen heute in wenigen Stunden einen Monatslohn verspielen. Mancher wird da kriminell. Während die Automatenbetreiber darauf verweisen, dass schon vor Christi Geburt mit Karten oder Würfeln um Geld gespielt wurde, warnen Suchtberater vor der Gefahr. Seit 1.1.2008 gibt es einen Glückspielstaatsvertrag – er sollte zur Regulierung des Glücksspiels beitragen. Gebracht hat das bisher wenig.
Gestatten, der Bankräuber den Sie suchen.
Heinrich Riesen ist einer von diesen unglücklichen Spielsüchtigen. Ende November dieses Jahres hatte er seine Gerichtsverhandlung. Es war ein recht ungewöhnlicher Prozess, der im beschaulichen Bad Iburg stattfand. Denn Heinrich Riesen hatte vor rund drei Jahren, getrieben von seiner Spielsucht, die Volksbank in Hagen am Teutoburger Wald überfallen, „bewaffnet“ lediglich mit einer Spielzeugpistole. Seine Beute, rund eintausend Euro in Münzen. Sie reichten bei weitem nicht für seine Schulden und waren in kurzer Zeit wieder verspielt.
Von Gewissensbissen und Alpträumen gejagt, stellte sich Riesen nach drei Jahren der Polizei und bekannte sich zu dem von den Ermittlern längst als nicht aufklärbar zu den Akten gelegten Banküberfall. Es folgte U-Haft und Therapie. In der Haft fasste der reuige Bankräuber seine Erlebnisse als Glückspielsüchtiger in einem Buch zusammen: „Gestatten, der Bankräuber, den Sie suchen.“ (Retap Verlag, Bonn) Heinrich Riesen veranstaltet gemeinsam mit seinem Mitautor, dem Bonner Publizisten Siegfried Pater, Lesereisen in Suchtkliniken und Jugendzentren, klärt über die Gefahren des Glückspiels auf. Das Gericht in Bad Iburg wertete diese „tätige Reue“ ebenso wie die Tatsache, dass Riese sich ohne Verfolgungsdruck selbst gestellt hatte und verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung.
Riese war abhängig von jenen Automaten, die nach Ansicht der Hersteller und Betreiber doch viel harmloser sind als die Geräte in den Spielbanken. Tatsächlich jedoch findet eine Abwanderung aus den noblen Casinos mit ihren oft rigiden Einlasskontrollen, hin zu den Spielhallen statt. Spielsüchtige, die sich oft auf Druck ihrer Lebenspartner und Familien von den Casinos haben sperren lassen, diese also nicht mehr betreten können, spielen weiter – in den Automatenhallen, die sich nicht selten in direkter Nachbarschaft der Spielbanken befinden.
„In Deutschland spielen mehr als 99 Prozent aller Menschen ohne Probleme“, behaupten die Automaten-Wirtschafts-Verbände (AWI). Mit solchen Meldungen lassen sich auch Politiker gerne beruhigen. Ihre Werbeparolen finden sich als teure, ganzseitige Anzeigen in Mitgliederzeitungen der CDU/CSU, FDP, SPD und auch der Grünen. Doch damit lässt es die Spielhallenlobby keineswegs bewenden. Die AWI tritt auch gerne bei Parteitagen und Konferenzen der Parteijugendorganisationen mit ebenso harmlosen wie im Vergleich zu den Zocker-Automaten geradezu niedlichen Spielgeräten in Erscheinung, so zum Beispiel bei der Jungen Union mit Kickerspiel, an dem sich – werbewirksam für beide Seiten – mehr oder weniger prominente Parteigrößen ablichten lassen.
Die Botschaft ist immer dieselbe. Kickern macht Spaß, das mögen alle, da können die sonst Großen in der Politik mal aus sich raus gehen, ihre menschliche Seite zeigen. Die Glückspielautomatenindustrie ist harmlos und nett zu uns. Die Branche wirbt auch mit Skat-Turnieren für Parlamentarier. Und nach der politischen Karriere winken für besonders Brave lukrative Aufsichtsratsposten in der Automatenindustrie. So ist der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) Aufsichtsratsvorsitzender der Firma Löwen Entertainment und der inzwischen verstorbene Ex-Justizminister von NRW Rolf Krumsiek (SPD) saß im Aufsichtsrat beim Branchenriesen Gauselmann. Paul Gauselmann erhielt übrigens auf Vorschlag von Wolfgang Clement das Große Bundesverdienstkreuz – als Anerkennung für sein soziales Engagement.
Doch nicht nur die politische Landschaft wird von der Automatenindustrie intensiv gepflegt – auch Journalisten sind oft und gerne zu Gast bei Paul Gauselmann und dessen Mitstreitern.
Außerdem spülen die Automaten auch Geld in die kommunalen Kassen. „Wir zahlen jährlich über eine Milliarde Steuern und Abgaben, davon ca. 250 Millionen Euro Vergnügungssteuer an Städte und Gemeinden“, heißt es auf der Homepage des von Gauselmann angeführten Verbandes der Deutschen Automatenindustrie e.V. Die Umsätze steigen weiterhin. Von 2006 auf 2007 um 12,7 Prozent (von 6.880 auf 7,750 Milliarden Euro, von 2007 auf 2008 um 6,6 Prozent auf 8,130 Milliarden Euro.
Hunderttausende sind süchtig oder gefährdet
Mit dem Umsatz steigt auch die Zahl der Süchtigen. So warnt die Vorsitzende des Fachverbands Glückspielsucht Ilona Füchtenschnieder vor eben diesen Geräten. „Spielautomaten sind das Hauptproblem. Sie müssen zu Unterhaltungsautomaten zurückgebaut werden“, erklärte sie gegenüber Telepolis. Es gibt keine genauen Zahlen. Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass es bundesweit zwischen 100.000 und 290.000 süchtige Glückspieler gibt. Zusätzlich gebe es eine weit größere Zahl von Menschen, (zwischen 140.000 und 340.000), deren Glückspielverhalten als „problematisch“ einzuschätzen sei. "Die Folgen derartigen Verhaltens sind gravierend: Verschuldung, Kriminalität, hohe Suizidraten, massieve familiäre Störungen", so Ilona Füchtenschnieder.
Der Glückspielmarkt wächst, wobei eine Verschiebung zu Gunsten der Spielhallen feststellbar ist. Mitarbeiter von Suchtberatungsstellen bestätigten aus ihrer Erfahrung, dass die größte Gruppe der Glückspielsüchtigen den Spielautomaten verfallen ist, etwa 80 bis 90 Prozent der Beratungssuchenden kommen aus Spielhallen.
Markus Fent, als Psychologe seit vier Jahren in der Suchtberatung Sigmaringen tätig, bestätigt einen direkten Zusammenhang zwischen der wachsenden Zahl von Glückspielgeräten und einem Aufkommen von Glückspielsüchtigen. Die Süchtigen kämen nicht aus der Stadt Sigmaringen, wo es keine nennenswerte Zahl an Spielgeräten gebe, sondern aus den Nachbarorten Mengen, Herbertingen und Bad Solgau, wo in den vergangenen Jahren die Automatenzahl erheblich anstieg. „Die haben dort die Automatenzahl fast verdoppelt“, so Fent.
Bei einer Anhörung im Landtag von Baden-Württemberg am 13. Oktober 2009 erklärte Günthter Zeltner, Abteilungsleiter Beratungs- und Behandlungszentrum für Suchterkrankungen in der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart, „dass der größte Teil der Spieler, die in Hilfeeinrichtungen sind, ihren Hauptort an den Geldspielautomaten in den Spielhallen und Gaststätten haben. Dann folgen die Glücksspielautomaten in den Spielbanken, folgen Sportwetten, Roulette, Poker etc. Das hängt sehr stark vom Markt ab.“
Streit zwischen Kasinos und Spielhallen
In der Fachöffentlichkeit beharken sich die Verbände der Spielkasinos und die der Automatenindustrie – es geht um viel Geld. Der Bundesverband privater Spielbanken in Deutschland e. V. (BupriS sieht sich durch Parlamentsanhörungen im Bundestag im Sommer diesen Jahres und im Stuttgarter Landtag im Oktober 2009 in seiner Auffassung bestätigt, dass die meisten Abhängigen nicht in den Kasinos spielten, sondern in den Spielhallen und an Gaststättenautomaten süchtig wurden.
Doch diese Spielhallen sind im Glückspielstaatsvertrag von 2008 nicht einmal erwähnt. Sie unterliegen lediglich dem Gewerberecht und werden dort, schön harmlos, als „Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit“ erfasst. Dabei können an diesen Geräten der ZDF-Sendung Frontal 21 zufolge statt der im Gesetz vorgesehenen 80 Euro bis zu 3.600 Euro pro Stunde verspielt werden. Die Verantwortung dafür schieben sich in Frontal 21 das Bundeswirtschaftsministerium und die für die Bauartzulassung solcher Spielgeräte verantwortliche Physikalisch-Technische Bundesanstalt gegenseitig zu.
In seiner Stellungnahme für die Bundestagsanhörung blieb die Automatenindustrie dennoch bei der Darstellung, "eine von der PTB geprüftes und zugelassene Kontrolleinrichtung" stelle "die Einhaltung der spielrechtlichen Eckdaten (maximaler Verlust in einer einzelnen Stunde 80 Euro, maximaler durchschnittlicher Stundenverlust 33 Euro)" sicher.
In den Anhörungen im Stuttgarter Landtag und auch im Bundestag kritisierten die privaten Spielbanken „die unausgeglichene Regulierung des Glücksspiels in Deutschland und die unkontrollierte Expansion der Spielhallen". Als Schlussfolgerung daraus fordern die privaten Kasino-Betreiber die Politiker auf, „bundesweit für ein einheitlich hohes Niveau des Spielerschutzes beim Glücksspiel zu sorgen". Die im Vergleich zu den Spielhallen streng limitierten Spielbanken sehen sich „bei ihren erheblichen Anstrengungen für den Spielerschutz allein gelassen, wenn der Gesetzgeber weit verbreitete und risikobehaftete Glücksspielangebote nicht gleichwertig reguliert", so ihr Sprecher Martin Reeckmann. Tatsächlich können sich Spielsüchtige nur in den Casinos effektiv sperren lassen, bei Spielhallen ist das nicht möglich.
Mit der Umsetzung des Glückspielstaatsvertrages von 2008 gibt es zwar mehr Hilfe und Beratung für Spielsüchtige, doch „am Angebot der Spielhallen, die ja 2006 noch mit im Prinzip gefährlicheren Geräten aufrüsten durften, hat sich in diesem Jahr gar nichts verändert", sagte Marianne Gschwendtner von der Behörde für Inneres in Hamburg auf der Jahreskonferenz des Fachverbands Glückspielsucht in Köln. Gschwendtner sieht auch Handlungsbedarf seitens der Landesmedienanstalten, „die für die Pokersendungen im Fernsehen Verantwortung tragen.“
Bundesländer aktiv gegen Online-Wetten
Dort, wo der Staat in keiner Weise mitverdienen kann, wird er aktiv, zuweilen sogar in deutlichen Worten. Ausländische Online-Anbieter mögen die deutschen Behörden gar nicht, sie zahlen in Deutschland keine Steuern oder sonstige Abgaben und Aufsichtsratsposten für alt gediente Politiker gibt es auch keine. Folglich griff das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen die zunehmenden Beschwerden „gegen Inkassounternehmen, die versuchen, Einsätze für die Vermittlung von unerlaubten Sportwetten im Internet einzutreiben“ gerne auf.
In einem, mit den übrigen fünfzehn Bundesländern abgesprochenen Brief wies das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen den Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. in Berlin darauf hin, dass gemäß des Glückspielstaatsvertrages, „das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glückspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörden zulässig ist". Das Veranstalten und Vermitteln ohne diese Erlaubnis sei somit „verboten und somit illegal.“
Weiter heißt es in dem Brief, die von den Inkasso-Unternehmen einzutreibenden Forderungen aus solchen Internet-Glückspielen verstießen „gegen die gesetzlichen Bestimmungen des Paragraphen 4 Glückspielstaatsvertrages, wonach das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glückspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde zulässig ist. Das Veranstalten und Vermitteln ohne diese Erlaubnis ist verboten und somit illegal“.
Bedeutet dies nun für die Online-Zocker, dass sie zwar mögliche Gewinne einstreichen können, ihre Spielschulden nicht zu bezahlen brauchen? Einer der Online-Bezahldienste, der Glückspielanbieter etwa in Gibraltar und auf Cypern zu seinen Kunden zählt, sieht das anders. Click and Buy verweist in einem Schreiben an den Autor „auf die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 30.01.2008, mit der gegen Deutschland ein Verfahren wegen Verletzung der europäischen Dienstleistungsfreiheit eingeleitet worden ist. Tatsächlich ist die Europäische Kommission zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehenen Regelungen gegen europäisches Recht verstoßen.
Die von der Europäischen Kommission festgestellten Verletzungen der Dienstleistungsfreiheit von Internetunternehmen aus anderen EG-Mitgliedstaaten werden derzeit vom Europäischen Gerichtshof überprüft (Vorlagebeschluss des VG Schleswig, Aktenzeichen 12 A 102/06). Das Verfahren ist - neben anderen Vorlageverfahren aus Deutschland und anderen Mitgliedstaaten - beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-46/08 anhängig. Je nach Ausgang dieses Verfahrens werden die Online-Zocker möglicherweise doch ihre Wettschulden bezahlen müssen.