Stabile Schrödinger-Katzen

Andauernder Zustand zwischen Tod und Leben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

“Schrödingers Katze“ ist ein Gedankenexperiment, dass die Paradoxie der Quantenwelt verdeutlichen sollte. Die Katze ist in einer geschlossenen Versuchsanordnung bis zur Beobachtung sowohl tot als auch lebendig. Dass wir solche Phänomene in der Realität nicht beobachten, liegt daran, dass der Quantenzustand durch Wechselwirkung mit der Umgebung immer wieder schnell zerstört wird. Für einen Quantencomputer ist aber der Zustand von Schrödinger Katze erforderlich. Jetzt ist es zwei Teams von Physikern gelungen, sechs bzw. acht Ionen zu kontrollieren, bzw. im „Katzenzustand“ zu halten.

In klassischen Computern werden Informationseinheiten in Form von Bits, also 0 oder 1, gespeichert. Die Verknüpfung dieser Bits ermöglicht die Rechenvorgänge. Quantencomputer dagegen sind der Traum der Computerzukunft, denn mit ihnen lässt es sich sehr viel effizienter rechnen. Die drastisch höhere Leistungen werden durch die Quantenbits (Qubits), Überlagerungen von 0 und 1, so genannte Superpositionen erreicht (Quantencomputer). Die Superposition von quantenmechanischen Zuständen ist die Grundlage des Quantencomputers und des Gedanken-Experiments "Schrödingers Katze".

Schrödingers Katze ist tot und lebendig

Der Physiker Erwin Schrödinger verdeutlichte mit dem als Schrödingers Katze bekannt gewordenen Paradoxon 1935 die exotischen Qualitäten der Quantenwelt. Es geht um die Überlagerungen verschiedener Zustände. Im Beispiel wird das mit der Wahrscheinlichkeit des Zerfalls eines Atoms verdeutlicht. Schrödinger formulierte es so:

Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muss): in einem Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Lauf einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, dass die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben. Die Y-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, dass in ihr die lebende und die tote Katze zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind.

In der Alltagswelt beobachten wir keine Schrödinger-Katzen, weil die Quanten ständig mit der Umgebung interagieren. Die Katze wird nicht erst im Moment der Messung aus ihrem Fegefeuer erlöst, sondern bereits durch eine Reaktion mit der Umgebung wie z.B. mit Luftmolekülen oder dem Tageslicht. Dieser Effekt des Zerfalls des Quantenzustands heißt Dekohärenz.

Die sechs Beryllium-Ionen im Katzenzustand, Animation (Bild: NIST/ Bill Pietsch, Astronaut 3 Media Group, Inc.)

Für Quantencomputer sind Superposition und eine stabile Verschränkung nötig. Verschränkung ist ein quantenmechanischer Zustand und bedeutet, dass ein Paar Photonen die gleichen Eigenschaften hat, auch über große Entfernungen. Die beiden sind wie miteinander verwoben, eben verschränkt. Wird ein Photon eines solchen verschränkten Paares in seinen Eigenschaften verändert, dann ändert sich auch das zweite Photon automatisch und sofort, unabhängig davon, wie weit es entfernt ist. Albert Einstein bezeichnete diesen Effekt einst als "spukhafte Fernwirkung"; der Quantenphysiker Jeff Kimble umschreibt es so: „Verschränkung ist, wenn man das eine Teilchen kitzelt und das andere lacht.“

In Richtung Quantencomputer

Quanten-Informationsverarbeitung vereinigt die Theorie der Quantenmechanik mit der Praxis der Informationstechnologie. Die Idee ist schon mehr als 30 Jahre alt, aber praktische Anwendungen kommen erst jetzt langsam in Sicht (Supraleitende Quantenbits simultan auslesen). Fundamental dafür nötig sind Quantensysteme wie Atome, Ionen oder Photonen, die so beeinflusst werden können, dass sie Informationen speichern oder verarbeiten. Diese Systeme müssen sehr gut isoliert sein, um Wechselwirkungen mit der Umwelt zu unterbinden, die zur Destabilisierung (Dekohärenz) der nötigen Quantenzustände führen. Die Quanten-Informationsverarbeitung ist also auf Techniken angewiesen, die alle äußeren Einflüsse extrem gut abschirmen.

Die Wissenschaft ist nun erneut auf dem Weg in Richtung Quantencomputer vorangekommen. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature veröffentlichen zwei Forscherteams ihre Ergebnisse von Ionen-Systemen im stabilen Quantenzustand. Dietrich Leibfried und Kollegen vom National Institute of Standards and Technology (NIST) gelang es, sechs Beryllium-Ionen miteinander zu verschränken, so dass sie sich sowohl im Uhrzeigersinn als auch im Gegenuhrzeigersinn drehten (entsprechend der Katze, die sowohl lebendig als auch tot ist). „Es ist sehr schwierig, sechs Ionen lange genug präzise zu kontrollieren, um ein solches Experiment durchzuführen,“ erklärte Dietrich Leibfried. Die Ionen befanden sich im „Katzenzustand“ – wie das arme Tier in der Falle. Gefangen waren die Ionen in einer elektromagnetischen Falle, tiefgekühlt und kontrolliert von ultraviolettem Laserlicht. Laserimpulse wurden eingesetzt, um die Eigenrotation zu entindividualisieren, die elektrisch geladenen Atome drehten sich sozusagen im Gleichklang.

Ein Durchlauf des Experiments dauerte eine Millisekunde, der Katzenzustand hielt ein zwanzigstel Mal so lang an: 50 Mikrosekunden. Um sicher zu gehen führte das Team den Versuch einige zehntausend Male durch. Das ist ein neuer Rekord, letztes Jahr war es einer deutsch-chinesischen Physikergruppe gelungen, fünf Photonen, die kleinsten Einheiten des Lichts, miteinander zu verschränken (Weltrekord: Heidelberger Physiker teleportieren den Quantenzustand von fünf Photonen).

Acht Kalzium-Ionen gefangen in einer Paul-Falle. (Bild: IQOQI)

Beim neuen Experiment sind die Ionen kontrolliert untereinander verschränkt, das ist ein Unterschied zum Versuch des zweiten in Nature publizierenden Wissenschaftlerteams. Leibfried erläutert:

Während des Prozesses „sprechen“ die Ionen gleichzeitig miteinander, wie bei einer Konferenzschaltung. Die Bewegung im Gleichtakt kann man sich als die „Telefonleitung“ vorstellen. Das österreichische Experiment entspricht mehr einer Reihe von individuellen Telefonanrufen beim „Chef“, oder der Bewegung.

Das Team um Hartmut Häffner von der Universität Innsbruck und vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) erzeugte einen verschränkten Zustand von bis acht Kalzium-Ionen. Die elektrisch geladenen Atome waren in Ionenfallen gefangen, mit elektromagnetischen Kräften in Vakuum nebeneinander aufgereiht eingesperrt und sie wurden mit genau fokussierten Laserpulsen einzeln manipuliert. Dabei kamen die Teilchen in einen so genannten W-Zustand, der auch dann stabil bleibt, wenn einzelne Ionen aussteigen (W state generation and effect of cavity photons on the purification of dot-like single quantum well excitons).

Die eigentliche Schwierigkeit in dem Experiment war der Nachweis, dass die Teilchen tatsächlich miteinander verschränkt sind. Rund 650.000 Messungen wurden durchgeführt, um die acht Quantenbits (Qubits) durch Zahlen zu beschreiben. Allein der Messprozess nahm mehr zehn Stunden in Anspruch, die Berechnung der Zahlen und die grafische Umsetzung hielten einen Hochleistungscomputer der Uni mehrere Wochen beschäftigt. Diese Dauer zeigt bereits die Überlegenheit der Quanteninformationsverarbeitung gegenüber herkömmlichen Computern. "Was mit den acht Qubits in etwa einer Millisekunde passiert, kann mit einem normalen Rechner nur in vielen Stunden berechnet und charakterisiert werden", erklärt Co-Autor Rainer Blatt.

Den Innsbrucker Quantenphysikern gelang durch die kontrollierte Verschränkung der acht Ionen weltweit zum ersten Mal die Realisation eines Quantenbyte (Qubyte) – ein wichtiger Schritt in Richtung Quantenrechner. Seit Jahren setzen die österreichischen Quantenphysiker schon erfolgreich auf den Einsatz von Ionenfallen als potenzielle Bausteine (Qubits im Dreierpack). Hartmut Häffner erklärt, dass der von seinem Team erzeugte Verschränkungszustand sich grundsätzlich von dem der Amerikaner unterscheidet:

Wir konnten den Quantenzustand vollständig charakterisieren und können daher genaue Angaben zu den möglichen Dekohärenzmechanismen machen. Zusätzlich hat der von uns hergestellte W-Zustand die interessante Eigenschaft, dass er seine Quantennatur selbst beim Verlust von Ionen beibehält. Zusätzlich haben wir neue Methoden entwickelt und angewendet um die Verschränkungseigenschaften genau zu charakterisieren.