Stadtausgründung auf Papierserviette

Seite 2: Neustadt ist Versuch und Irrtum

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Damit die Architekten nicht der Stadtentwicklung im Ingenieurmaßstab hinterher hinken, sollten Moratorien eingelegt werden, um Städte wie Berlin vom Freiraum, dem klassischen öffentlichen Raum her zu denken. Ein Teil der Einreichungen bei der BDA-Neustadt-Schau möchte das Bewusstsein dafür wecken, dass nicht gleich jeder Quadratmeter Freifläche in Rendite umgesetzt werden muss. Der Stadtgrundriss kann offen gehalten werden. Neuzeitlich wird vom ökologischen Fußabdruck der Stadt gesprochen, den es zu verringern gilt. Spielerisch stellt Martin Bachem die Stadtskulptur in Form eines Würfels auf die Spitze, die möglichst geringen Abdruck auf der naturnah belassenen Landschaft hinterlässt. This Häberli errichtet kreiselförmige Stadttürme rund um Berlin, die sich mit jedem Untergrund, ob Wasser, ob Feld, vertragen und alles bieten, was der Mensch im 21. Jahrhundert braucht.

"Seaside Berlin". Entwurf/Bild: Thomas Stadler/STADLER PRENN ARCHITEKTEN/BDA Galerie Berlin

Auf die Verträglichkeit von Urbanität und Landschaft ist auch der Entwurf "Common Archipelagos" von Imke Woelk aus. Wohnbänder falten sich wie Raupen in und über der Landschaft. Die Autorin rechnet konkret vor, wie viel Grün für Berlin durch solche Hochverdichtung zurückgewonnen werden könnte. Diese Utopie hat wie so viele Vorläufer. 1977 legte ein Kreis um Oswalt Mathias Ungers das Modell eines Archipels urbaner Atolle in einer "grünen Naturlagune" vor. Die Verinselung der schrumpfenden Stadt war allegorisch auf die Lage West-Berlins gemünzt.

"Dezentrale Konzentration". Entwurf/Bild: Sebastian Witzke/Kollektiv Kopfgemacht/STADLER PRENN/BDA Galerie Berlin

Städte über der Stadt, Walking cities und Instant cities scheinen jedoch den 60er und 70er Jahren vorbehalten gewesen zu sein, als "größer" geträumt und gedacht wurde. Die Stadt läuft dorthin, wo sie gebraucht wird. Die Vorstellung von der Stadt als dynamischem Motor löste im 20. Jahrhundert endgültig Idealstadtentwürfe ab, die von einer festen geometrischen Ordnung ausgehen.

Gelegentlich bildet auch die Realität die beste Vorlage für Utopien. Thomas Stadler legt über Caspar David Friedrichs romantische "Wiesen bei Greifswald" die aufgeständerte Trasse eines "Hyperloops", der in Halbvakuum-Röhren Greifswald von Berlin aus in zehn Minuten erreicht. Die Ostsee-Region ist somit auf dem besten Weg, sich zu einem deutschen Silicon Valley zu entwickeln. Erinnert sei daran, dass Usedom schon vor dem Ersten Weltkrieg als Vorort von Berlin galt. Die Insel wurde von Berliner Spekulanten erschlossen und vereinnahmt.

"Wir bauen eine neue Stadt". Entwurf/Bild: Klaus Block/BDA Galerie Berlin

Aus eng an die Realität angelehnten Utopien ergeben sich Reformvorschläge für Bestehendes. In seinem Entwurf "Dezentrale Konzentration" skizziert Sebastian Witzke Berlin mit seiner Peripherie wie einen auf Wasser zerspringenden Regentropfen. Der Kranz der kleinen Tröpfchen markiert die neuen Vorstädte. Sie sind durch Magistralen mit der Kernstadt verbunden. Das entspricht der städtebaulichen Situation des Großraums Berlin, nur dass den bestehenden Magistralen im Zuge des Ausbaus zur autogerechten Stadt die Urbanität ausgetrieben worden ist.

Wird Stadt auch ohne Baugesetzgebung schön?. Entwurf/Bild: Peter Rickert, RICKERT A.D.C./BDA Galerie Berlin

Eine Antwort auf die Aufgabenstellung des BDA fehlt noch: Die Stadt ist nicht planbar. In Klaus Blocks Zeichnung zieht ein kleines Mädchen die ganze neue Stadt auf einem Bollerwagen so traumwandlerisch wie Alice in Wonderland hinter sich her. Die Häuser neigen sich vornüber und drohen auf das Mädchen zu kippen. - Peter Rickert malt die Stadt als Comic. Sie wuchert wild und auf lustbetontem nachbarschaftlichem Niveau, weil befreit von jeder Baugesetzgebung. So eng liegen Anarchismus und Liberalismus beieinander. Rickert zitiert den klassischen Ökonomen Adam Smith. Eine unsichtbare Hand lenkt das Wirtschaftsleben. Lenkt sie auch den Städtebau?

Carsten Uhlig schließlich hat ein U- und S-Bahnnetz entworfen, das logisch gerastert, aber doch merkwürdig labyrinthisch aussieht. Die Gastkritikerin stellte sich vor, in diesem Netz mit der U-Bahn zu fahren und an der falschen Station auszusteigen. Was findet sie dort vor? Eine aufregende Stadt.

"Weiterbauen". Entwurf/Bild: Carsten Uhlig, ZustandsZone/BDA Galerie Berlin

Abgesehen von gar nicht aufregenden Entwürfen, welche die Zukunft Berlins damit einläuten, dass sie potentielles Bauland auf dem Stadtplan rot verzeichnen, war die Mischung bunt bis hin zu Reminiszenzen an den Futurismus. Unter den Urhebern der Beiträge tummelte sich neben Architekten der Nachwuchs. Der Moderator der Ausstellungseröffnung, der aus der Schweiz stammende Urs Füssler, wies vorsichtig darauf hin, dass Ideenforen dieser Art auch eine Mahnung an Berlin darstellen, sich nicht zu wichtig zu nehmen.

Neustädte, wenn sie denn zustande kommen wie in Halle, pflegen zu scheitern. Aber vor dem Scheitern liegt ihr Erfolg. Oder ist das Scheitern ihr eigentlicher Erfolg?