Staranwalt Strate

Der Motassadeq-Prozess wird mit zwei neuen Verteidigern fortgesetzt

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Am 10. August '04 begann vor dem 4. Strafsenat des Hamburger Oberlandesgerichts (OLG) die Neuauflage des weltweit ersten al-Quaida-Prozesses gegen Mounir El-Motassadeq. Dem Marokkaner wird vorgeworfen, die Gruppe um den vermeintlichen Todespiloten vom 11. September '01, Mohammed Atta - der so genannten "Hamburger Zelle" - bei den Vorbereitungen der Terroranschläge unterstützt zu haben. Er wurde am 19. Februar 2003 vom OLG Hamburg wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil am 4. März 2004 jedoch wieder auf und verwies das Verfahren erneut an einen anderen Senat des hanseatischen OLG.

Dieser Prozess musste Ende August '04, nach nur drei Wochen Verhandlungszeit, kurzfristig unterbrochen werden, denn Motassadeqs Anwalt Josef Gräßle-Münscher zog sich bei einem schweren Motorradunfall lebensgefährlich Verletzungen zu. Das Gericht bestellte den Juristen Laszlo Anisic und den Hamburger Star-Anwalt Gerhard Strate zu weiteren Pflichtverteidigern Motassadeqs neben Udo F. Jacob, weil dieser sich alleine mit der Verteidigung überfordert fühlte. Damit die beiden sich in die etwa 150 Aktenordner einarbeiten können, wurde der Prozess am 31. August '04 eine Woche lang unterbrochen und erst am 7. September fortgesetzt. Außerdem sollen die übrigen geplanten 31 Verhandlungstage zeitlich gestreckt werden, um den beiden etwas Luft zur Einarbeitung zu verschaffen. Die Zeugenvernehmung wird daher nicht wie geplant Ende November '04 abgeschlossen sein, sondern bis in den Januar '05 hinein andauern.

Strate gilt als einer der profiliertesten Revisions-Anwälte der BRD. "Die für den Verurteilten erfolgreiche Wiederaufnahmeverfahren, bei denen ein rechtskräftig abgeschlossener Fall neu aufgerollt wird, lassen sich in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte an den Fingern einer Hand abzählen", schrieb der Hamburger Journalist Uwe Bahnsen am 18.1.'04 in der Welt am Sonntag. "Drei Mal hieß der Anwalt Strate."

Der wohl spektakulärste dieser drei Fälle war '95 die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Monika Böttcher, geschiedene Weimar. Sie war '88 vom Landgericht Fulda für schuldig befunden worden, im August '86 ihre beiden Kinder Karola und Melanie ermordet zu haben. Dafür wurde sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Strate erreichte mit neuen Zeugen und einem neuen Gutachten die Wiederaufnahme des Prozesses. Monika Böttcher kam nach acht Jahren Haft im Frauengefängnis Frankfurt-Preungesheim frei. Am 24. April '97 wurde sie vom Landgericht Gießen freigesprochen, in dem darauf folgenden Berufungsprozess indes wieder zu lebenslanger Haft verurteilt.

"Für ihn beginnen die Fälle da, wo sie für die staatliche Strafverfolgung enden", schrieb Bahnsen. Dabei geht Strate einen unkonventionellen Weg und vertritt verurteilte PKKler genauso wie den ehemaligen Amtsrichter und späteren Hamburger Innensenator Ronald Baranbas Schill. Im Mai '93 erreichte der Verteidiger die Wiederaufnahme der Hamburger Bürgerschaftswahlen von '91, wegen parteiinterner Mauscheleien bei der Kandidatenaufstellung.

Strate vertrat ein CDU-Mitglied, das sich dabei übergangene fühlte. 2001 vertrat er den damals noch als Amtsrichter tätigen Schill, der als "Richter Gnadenlos" bundesweit Schlagzeilen machte. In einem Prozess gegen zwei Angeklagte aus der Hamburger autonomen Szene hatte Schill zwei Prozessbeobachter wegen angeblich ungebührlichen Verhaltens in Ordnungshaft nehmen lassen, die Haftbeschwerden von deren Anwältin jedoch erst drei Tage nach Eingang weitergeleitet. Deswegen war der juristische Hardliner am 13. Oktober '00 vom Landgericht Hamburg wegen Rechtsbeugung zu einer Geldstrafe von damals 12.000.- DM verurteilt worden. Er legte Revision gegen dieses Urteil ein und wurde dabei von Strate vertreten. Der BGH hob das Hamburger Urteil auf und verwies den Fall zurück an das Landgericht. Eine andere Kammer sprach Schill im Dezember 2001 von dem Vorwurf der Rechtsbeugung frei.

Strate hatte sich etwas schwer getan, in den laufenden Motassadeq-Prozess einzusteigen. Derzeit bereitet er sich auf ein Verfahren vor, das vermutlich im Dezember beginnen wird. Dem Hamburger Unternehmer Alexander Falk wird darin Aktienkursmanipulation, Betrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Der Erbe des Falk-Stadtplan-Verlages hatte das Traditionsunternehmen '95 vollständig verkauft und den Erlös u.a. in die Internet-Firma "Ision" gesteckt. Vor dem Verkauf von "Ision" 2001 soll er die Aktienkurse künstlich in die Höhe getrieben und so einen Verkaufspreis von 812 Mio. — erzielt haben. Bei dieser Transaktion verloren viele Kleinanleger ihr investiertes Kapital. Auch dieser Prozess wird Strate vermutlich stark beanspruchen.

Der Vorsitzende Richter Ernst-Rainer Schudt hatte ihn deshalb mehr oder weniger überreden müssen, außerdem Motassadeq zu vertreten: "Sie sind einer der wenigen Hamburger Anwälte, die das Verfahren näher kennen", so Schudt. Andernfalls hätte der Prozess jetzt beendet und später noch einmal von vorne begonnen werden müssen. Damit Strate sich trotzdem gründlich auf den Falk-Prozess vorbereiten kann, sprang zusätzlich Laszlo Anisic ein. Der wird sich allerdings noch zügig durch die Aktenberge kämpfen müssen.