Steampunk meets real world meets virtual world

Er kam zusammen mit den Computern: Der Cyberpunk

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Als William Gibson 1984 seinen Roman Neuromancer veröffentlichte, erschuf er nicht unbedingt ein neues Genre. Aber begeisterte Leser und Kritiker einigten sich schnell auf einen Namen für den knallharten, ultrarasanten High Tech-Schreibstil, der sich liest wie eine Mischung zwischen Poesie und Computerprogamm. Cyberpunk war als Begriff zuerst 1980 in einer Kurzgeschichte von Bruce Bethke aufgetaucht. Nun bezeichnete er ein Sci Fi Subgenre, angesiedelt irgendwo in einer dystopischen, aber beunruhigend realistischen Welt, die zwischen Realität und Virtualität dahinvegetiert.

Es war wohl kein Zufall, dass Cyberpunk mit all seinen Bewusstsein erlangenden KIs, seinen in virtuellen Welten gefangenen Protagonisten, seinen Konzerne und ganze Nationen gefährdenden Hackern ausgerechnet populär wurde, als die ersten Heimcomputer in den frühen 80er unsere Wohnzimmer eroberten. Aber seine Brandaktualität war auch sein größter Schwachpunkt. Ein Genre, das sich selbst in ganz naher Zukunft positioniert und davon lebt, das Jetzt hochauflösend widerzuspiegeln, schwebt immer in Gefahr von der Gegenwart überholt zu werden.

Das ist dem Cyberpunk passiert als reale Designer und Modeschöpfer ihn adaptierten und Cyberkriminalität, Computerspionage, Identitätsdiebstahl und Überwachung zur Alltäglichkeit wurden. Schon bald erklärten dieselben Kritiker, die ihn zunächst gehyped hatten, den Cyberpunk für tot. Seine Schöpfer reagierten clever und initiierten kurzerhand ihre eigene Gegenbewegung. Was dabei herauskam, musste den Lesern und Konsumenten das zurückgeben, was ihnen der Cyberpunk nicht bieten konnte. Eine Welt, die Spielraum lässt für Fantasie und Träume, ohne Gefahr zu laufen, von der illusionszerstörenden Gegenwart überrollt zu werden.

Der Geniestreich lag darin, den Handlungsort nicht in eine High Tech Zukunft zu verlagern, sondern stattdessen den evolutionären Rückschritt in die Epoche der Industrialisierung zu wagen. Ergötzte sich der Cyberpunk an geräuschlosen ganze Welten erschaffenden Computersystemen, liebt das neue Genre das Fauchen, Zischen und Rasseln riesiger Dampfmaschinen. Steampunk ist die verdiente Antwort auf den zynischen Cyberpunk. High Tech Look, schwarzes Leder, verspiegelte Sonnebrillen und Hirninterfaces werden ersetzt von viktorianischer Architektur, langen Kleidern, Frack und Zylinder und am Körper getragenen dampfgetriebenen mechanischen Gadgets.

Waren Cyberpunks technikbesessene Rüpel, die kein Wort zu viel sprechen, legen die Steampunks großen Wert auf die formvollendete Höflichkeit des 19. Jahrhunderts. Steampunk ist so, als würden die Kinder von Punks gegen ihre Eltern revoltieren – und das geht nun mal am besten, wenn man Spießer wird. Ausgerechnet die beiden Cyberpunkinitiatoren Bruce Sterling und Willim Gibson sind es die, 1990 mit ihrem Roman einen der Grundsteine für das Steampunkgenre legen. Schon bald beginnt auch Hollywood mit dem viktorianisch-gothischen Dampfmaschinenkult zu spielen. Filme wie „Wild Wild West“, „Van Helsing“ oder „Der goldene Kompass“ setzen auf Steampunkdesigns und locken damit das Publikum. Und auch die Künstler sehen die Zeichen der Zeit und ihnen fällt auf, das Steampunk etwas ist, mit dem sie schon lange herumexperimentiert haben – immer dann, wenn sie industriellen Schrott zur Kunst verklärt haben.

Vom 18. bis 21. September 2008 fand im holländischen Enschede das mittlerweile fünfte Gobot Festival statt. Eine Aktion in deren Verlauf Künstler ihre Installationen, Exponate und Performances an verschiedenen Plätzen der Stadt präsentieren. In diesem Jahr haben es die Veranstalter dem Cyberpunk gewidmet – und konnten für das Vorwort des Veranstaltungsheftes keinen geringeren als Bruce Sterling gewinnen. Der wäre wahrscheinlich amüsiert gewesen, wenn er mit angesehen hätte, wie ich vom Gogbot erfahren habe: Mir gegenüber steht eine attraktive junge Dame mit Katzenohren, neben ihr ein breitschultriger komplett vermummter Wüstennomade aus dessen Schulter ein mechanisches Auge ragt, das mich anblinzelt. Ich mustere beide durch eine Sonnebrille über die grüne Zahlreihen scrollen. Die junge Dame putzt eines ihrer Katzenohren während sie mich fragt: „Du stehst doch auf Luftschiffe. Hier in Steeltopia gibt es jetzt eine Steampunk Ausstellung. Hast du Lust mitzumachen?“

Der geneigte Leser hat schon erraten, wo sich diese Szene abgespielt hat. Natürlich in der virtuellen Welt von Second Life. Auf der SIM Steeltopia lief dort nämlich ein Parallelevent zum Gogbot. Eine Ausstellung, in der Steampunkdesigner ihre Gadgets, Fahrzeuge, Luftschiffe und Modekreationen präsentierten. Das alles war recht sehenswert, zumindest wenn man Spaß an 3d-Welten hat.

Berlijn Media Art Cafe

Allerdings war auch meine Neugierde aufs First Life geweckt und so machte ich mich am Samstag auf den Weg nach Holland, um einen Blick auf das reale Event zu werfen. Gerade in Enschede angekommen, war ich wenig überrascht, dass man gerade hier ein Steampunk Festival veranstaltete.

Berlijn Media Art Cafe (virtuell)

Angesichts der in Massen herumwuselnden Radfahrer fühlte ich mich ins Jahr 1870 versetzt. Mein erster Anlaufpunkt war das Berlijn Media Art Cafe an. Das reale Gebäude in Enschede hat eine virtuelle Entsprechung in Second Life – dort ebenfalls das Informationszentrum fürs Gogbotfestival. Ein freundlicher junger Mann an der Bar erklärte mir, wie ich zur „großen Kirche“ komme, Zentrum des Festivals in Enschede. Um die Kirche herum hatten sich in Biergärten, Restaurants und Cafes zahlreiche Gäste versammelt, die den sonnigen Tag ausnutzten und ganz nebenbei einen Blick auf die bizarren Exponate auf dem Vorplatz warfen. Aus einem mit dem Schweißbrenner auf halbe Länge geschrumpften Kleinlieferwagen beschallten zwei DJs in grauen Anzügen den Marktplatz mit Oldies, während Schaulustige die eher abzählbaren Exponate bestaunen.

Kubic

Darunter direkt vor dem Kircheneingang den zweieinhalb Meter langen Alumiuniumroboter Kubic des Künstlers Pablo Ventura. Für mich ähnelte das ganz eher einem mechanisches Irgendwas, das irgendwie nicht richtig funktioniert. Kubic zuckte gelegentlich und wurde von umstehenden beäugt, als wenn auch sie sich fragten, wozu das Ding eigentlich gut sein soll. Ähnliches gilt für einige willkürlich verstreute Kunstwerke, die den Eindruck machten, Kinder hätten mit Müll gebastelt. In einem Käfig rannte ein mechanisches Schwein mit aufgeklebter echter Schweinegesichtshaut auf der Stelle. Natürlich. Es ist ein Kunstfestival, erinnerte ich mich und mir wurde klar, dass ich selbst eher eine Science Fiction Convention erwartet habe. Die Gogbot Macher haben Künstler eingeladen, die sich in irgendeiner Weise mit Technik auseinandersetzen - nur ist das, was dabei herauskommt nicht immer das, was ich als Steampunk verstehe.

Mit Freerk Wieringas riesiger mechanischer Hand konnte ich etwas mehr anfangen. Ich hatte allerdings Pech, denn auf den ausgestreckten Mittelfinger wartete ich vergeblich – den zeigte sie dem Publikum erst ein paar Minuten später, während ich mir an einem Schnitzel zu schaffen machte und die Kamera gerade nicht zur Hand hatte.

Echte Steampunkfantasien bediente eher das Abacus Theater des Niederländers Jan Wessels. Mit Zylinder und Fliegerbrille steuert er im Verlauf seiner Performances Dampftraummaschinen, die genau so gut von einem der Phantasten in Second Life hätten entworfen worden sein können. Leider hatte ich Pech und konnte sie mir nur im Flyer ansehen. Auch nach echten Steampunks hielt ich vergeblich Ausschau. Bruce Sterling schrieb in seinem Vorwort fürs Gogbot, dass Steampunk das ideale Genre für alle sei, die sich gern kostümieren. Aber leider sah keine Erfinderinnen in langen viktorianischen Kleidern, keine Zeitmaschinenkonstrukteure mit Zylinder und Frack, auch keine Jules Vernesquen Maschinerien, keine ins 19.Jahrhundert zurück designte Laptops oder dampfbetriebene MP3-Player. Und genau darauf hatte ich eigentlich gehofft.

Dafür konnte ich zumindest einen Blick Steampunkwaffen der neuseeländischen Special Effekt Schmiede Weta werfen. Die haben unter anderem Tricks für den „Herr der Ringe“ und „King Kong“ gemacht und bieten nun unter dem Label Dr.Grodborts infallible Aether Oscillators steampunkige Schusswaffen an – für um die 700 Dollar das Stück. Drei davon konnte man auf den Gogbot bestaunen und zwar ausgerechnet im Eingangsbereich der Kirche. Die gab sich in Enschede erstaunlich offen und stellte den Innenraum Installationskünstlern und Musikern zur Verfügung. Es sind diese Shows, die das eigentliche Gogbot Festival ausmachen.

So traten die Musiker von Arcattack mit ihren singenden Tesla Spulen auf und erinnerten dabei an einen Dr. Frankenstein, der die Toten lieber im Grab lässt und stattdessen DJ geworden ist. Hätte ihm viel Ärger erspart. Insgesamt sind es rund 150 Künstler, Musik, Darsteller und DJs, die von Donnerstag bis Sonntag in Enschede Shows zeigten, die mehr oder eher minder mit Steampunk zu tun hatten. Um mir das alles anzusehen, reichte meine Zeit nicht. Ich musste auch darauf verzichten, einen Blick auf Stephen Rothwells finstere Steampunk Gemälde aus dem Projekt Darkhouse Quarter zu werfen.

Auf dem Rückweg machte ich nur noch einmal einen Abstecher zum Berlijn Media Art Cafe. Einige Stunden später wurden dort „Live“ Bilder von feiernden Steampunks in Second Life an die Wand gebeamt. Zu diesem Zeitpunkt saß auch ich längst wieder am PC und ließ meinen Avatar mitzappeln, während ich im Internet die Namen einiger Gogbot Performer recherchierete. In der Zwischenzeit sollte bereits ein Live Video Stream aus dem wirklichen Enschede nach Second Life übertragen.

Doch die Macher mussten noch eine ganze Weile mit der Technik ringen, bevor das so klappte wie gedacht. Während ich in Second Life noch einmal zu den einzelnen Locations der Gogbot Inworld Events sprang, kam ich hier und da mit den Steampunks des Metaversums ins Gespräch. Dabei erzählte ich auch von Enschede. „Wie wars?“, wollte die Designerin einiger farbenprächtiger Ballons und Luftschiffe wissen. „Nicht ganz so fantastisch wie hier“, entgegnete ich. Ihr Avatar schmunzelte. Aber das tun Avatare eigentlich immer: „Warum nur überrascht mich das nicht?“

Ganz so negativ will ich es im Rückblick dann doch nicht sehen und finde, allein die Idee muss gewürdigt werden. Festivals wie das Gogbot haben in Wahrheit doch mehr zu bieten, als manche abgestandene Science Fiction Convention, deren Macher nicht nur dieVergangenheit, sondern vor allem die Zukunft verpasst haben.

Bitte mehr solcher Festivals…