Steigende Preise: Wie sich Spekulanten die Taschen füllen

Seite 2: Einfluss der Spekulanten

Ein klar erkennbarer exogener Anlass für die Bildung von Erwartungen öffnet Spekulationen Tür und Tor. Und so stiegen offenbar viele Finanzmarktakteure in das Weizengeschäft ein und sorgten für eine Preisblase – die Börsenpreise schossen zwischen dem 23. Februar und dem 7. März 2022 um fast 50 Prozent in die Höhe.

Die Blase platzte dann teilweise, als im Juli 2022 ein Abkommen zwischen Russland und der Ukraine unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei den Export von Getreide aus drei ukrainischen Häfen über das Schwarze Meer wieder ermöglichte – die Preise brachen innerhalb von drei Wochen um fast 20 Prozent ein.

Es spricht daher alles dafür, dass nicht die Erzeugerpreise die Börsenkurse bestimmen, sondern umgekehrt die Börsenkurse die Erzeugerpreise. Reale Anlässe verändern die realwirtschaftlichen Knappheiten tatsächlich. Aber die Finanzmarktakteure potenzieren diese Knappheiten durch ihr Nachfrageverhalten und treiben so die Preisentwicklung an.

Abbildung 2

Die Dominanz der Finanzmärkte über die realwirtschaftlichen Märkte lässt sich auch anhand weiterer Daten für andere Rohstoffe belegen, die nicht im Verdacht stehen, den gleichen realwirtschaftlichen Engpässen und Risiken ausgesetzt zu sein wie Weizen.

In Abbildung 3 sind die Börsenkurse eines Energierohstoffs (Öl), eines Metallrohstoffs (Nickel), eines Genussmittelrohstoffs (Kaffee) und des bereits gezeigten Nahrungsmittelrohstoffs Weizen wiedergegeben. Alle Kurse zeigen ähnliche und extreme Entwicklungen zwischen 2021 und heute. Die hohe Korrelation zwischen so unterschiedlichen Rohstoffen ist ein guter Beleg dafür, dass nicht tatsächliche realwirtschaftliche Knappheitsverhältnisse den Großteil der Preisbewegungen bestimmen, sondern auf spekulativen Motiven beruhende Nachfrage.

Abbildung 3
(Bild: finanzen.net (Screenshot))

Folgen der Spekulation bald in Europa zu spüren

Da wegen der niemals ernsthaft zurückgeschraubten Liberalisierung der Finanzmärkte in den 2000er-Jahren der Handel mit Rohstoffen als Finanzanlageobjekte bis heute ein Betätigungsfeld für große Vermögensfonds ebenso wie für Kleinanleger ist, schwanken eben diese Börsenkurse parallel zu den Ereignissen, die Spekulanten in die entsprechenden Märkte locken oder wieder die Flucht ergreifen lassen. Das Ergebnis dieses spekulativen Treibens auf den Finanzmärkten, das schon seit vielen Jahren in anderen Teilen der Welt Katastrophen angerichtet hat, ist nun auch in Europa angekommen.

Die realwirtschaftlich tätigen Unternehmen, die die Rohstoffe in der Produktion benötigen (z. B. die Bäckereien), müssen die starken Preisanstiege eines Tages an die Verbraucher durchreichen (vgl. die rote Linie in Abbildung 2), um dauerhafte Verluste zu vermeiden. Sinken die Rohstoff-Börsenpreise und mit ihnen die Erzeugerpreise schließlich wieder, passen die Unternehmen, die die Rohstoffe als Vorleistungen in ihrer Produktion verwenden, ihre Angebotspreise offenbar nicht sofort wieder nach unten an. Es kommt lediglich zu einem Stopp der Preissteigerungen.

Die Unternehmen sind möglicherweise misstrauisch, von welcher Dauer die Rohstoffpreisnachlässe sein werden; sie müssen eventuell durch die Rohstoffpreisblase zuvor aufgelaufene Verluste zunächst wieder wettmachen. Erst wenn der Wettbewerb die Unternehmen einer Branche allmählich zwingt, ihre Kunden an rückläufigen Rohstoffpreisen teilhaben zu lassen, kommt es auch auf der Verbraucherstufe zu Preissenkungen. Das bedeutet, dass die Verbraucher, namentlich die Leute mit den schmalen Geldbeuteln, zwischenzeitlich die Zeche für die Spekulanten zahlen.

Eine Geldpolitik, die auf primär spekulationsgetriebene Preisschübe mit Zinsanhebungen reagiert, ändert an dem zugrundeliegenden Missstand der Spekulation nichts und schadet allen in der Realwirtschaft Tätigen – bis zu den Geringverdienenden. Denn hohe Zinsen treffen die Sachinvestitionstätigkeit, von der die Beschäftigungslage und die Realeinkommensentwicklung wesentlich abhängen – vom ökologisch dringend notwendigen Umbau unserer Produktions- und Konsumstrukturen einmal ganz abgesehen. Obendrein bietet die straffe Geldpolitik den Spekulanten für ihre erbeuteten Gewinne sichere Zinshäfen bei Staatsanleihen.

Was die Politik tun müsste

Spätestens jetzt muss die Politik – auch international koordiniert – Spekulationsmöglichkeiten eindämmen, indem z. B. nur registrierte Rohstoffhändler, die über die Handelsware physisch verfügen, an den Märkten zugelassen werden, nicht aber etwa Vermögensfonds. Registrierte Versicherungsunternehmen, die eine große Bandbreite von Rohstoffen absichern und daher bei exogenen Schocks keine Rosinenpickerei betreiben können, sind hingegen unproblematische und willkommene Marktteilnehmer.

Transaktionssteuern könnten helfen, die Attraktivität ultra-kurzfristiger Handelsgeschäfte zu senken und so mehr Ruhe in die Märkte zu bringen. Mit anderen Worten: Es gibt institutionelle Möglichkeiten, der Finanzialisierung von Märkten Einhalt zu gebieten.

Doch das geht nicht von allein: Man muss es den Menschen erklären, um politische Mehrheiten für Regulierungen zu organisieren. Und man muss sich im Zweifel mit der Elite der Finanzwirtschaft anlegen. Und wer zurecht darauf hinweist, dass eine entsprechende Gesetzgebung einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte, den ärmeren Bevölkerungsschichten aber kurzfristig geholfen werden muss, der sollte sich u. a. für eine Mindestlohnsteigerung einsetzen, die über die beschlossenen 41 Cent hinausgeht.

Allen in dieser Gesellschaft und allen voran den politisch Verantwortlichen sollte bewusst sein, dass es sich bei der Frage, ob man die Finanzierung seines Grundbedarfs durch eigene Arbeit bewerkstelligen kann oder nicht, um eine zentrale Bedingung für das Funktionieren unserer sozialen Marktwirtschaft handelt. Man kann es auch noch drastischer ausdrücken: An dieser Frage entscheidet sich die politische Stabilität und der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Land.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.