Steigende Zahl der Syrienkämpfer aus Deutschland
- Steigende Zahl der Syrienkämpfer aus Deutschland
- Die Syrienrückkehrer als Sicherheitsrisiko
- Die Internationale der Dschihadisten
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Drohende Rückkehr der Dschihad-Veteranen aus Syrien nach Deutschland
Die gegenwärtige Offensive der Gruppierung Islamischer Staat im Irak und Levante (ISIL) im Nordirak hat das öffentliche Interesse wieder auf den Bürgerkrieg in Syrien gelenkt. Außerdem bewahrheitete sich die Befürchtung, die dschihadistischen Heimkehrer könnten nach ihrer Rückkehr aus Syrien in Europa Attentate begehen: Am 18. Mai erschoss ein französischer Rückkehrer vier Menschen im jüdischen Museum in Brüssel. Anlässlich dieser Entwicklungen warnte Bundesinnenminister Thomas de Maiziére vor Anschlägen in Deutschland.
Im März 2011 begann in Syrien ein Aufstand gegen das autoritäre Regime von Bashar al-Assad, der sich zu einem Bürgerkrieg ausweitete. Dem syrischen Regime steht eine zersplitterte Opposition gegenüber. Neben der Freien Syrischen Armee (FSA) operieren mehrere dschihadistische Gruppierungen, die sich gegenseitig mal unterstützen, mal bekämpfen. Unterstützt werden die Oppositionsgruppen von zurückgekehrten Exilsyrern und Dschihadisten aus dem Ausland.
Während sich im Jahr 2011 nur circa zehn Personen aus der Bundesrepublik nach Syrien aufmachten, um sich am Dschihad zu beteiligen, waren es im folgenden Jahr rund fünfzig weitere Personen. Im Jahr 2013 sollen sich dann rund 180 Dschihadisten aus der Bundesrepublik auf den Weg nach Syrien gemacht haben (Der Feldzug der deutschen Dschihadisten in Syrien). Im ersten Halbjahr 2014 kamen weitere 130 Personen hinzu. Mehr als die Hälfte der Rekruten besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, der Rest sind die Kinder von Arbeitsimmigranten.
Am 5. Juni 2014 nannte Bundesinnenminister Thomas de Maiziére auf einer Konferenz der EU-Innenminister in Luxemburg zuletzt eine Zahl von 320 Personen, während der Verfassungsschutz zur selben Zeit die Zahl der Betreffenden auf 350 bis 370 taxierte. Offensichtlich war der Bundesinnenminister von seinen Untergebenen schlecht unterrichtet worden.
Allerdings können die deutschen Sicherheitsbehörden nicht wirklich einschätzen, wie viele Kriegsfreiwillige tatsächlich in Syrien angekommen sind, was sie dort machen, in welchem Umfang sie an Kampfhandlungen und Kriegsverbrechen beteiligt sind und ob sie bereits die Heimreise angetreten haben oder nicht. Außerdem bekannte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, schon im Oktober 2013: "Das Dunkelfeld kennen wir nicht." Sein Kollege Burkhard Freier, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Düsseldorf, ergänzte: "Die Zahlen von heute sind in ein paar Tagen schon wieder überholt!" Offensichtlich können die Nachrichtendienste ihren eigenen Aufklärungsergebnissen nicht mehr trauen.
Bisher hatte sich das BfV auf die ergänzende Aufklärung durch ausländische Partnerdienste verlassen, aber auch dies funktioniert nun nicht mehr. Im Juni 2014 sagte Maaßen, "dass es Rückkehrer gibt, die wir nicht auf dem Radarschirm haben, wo unsere Partner im Ausland uns mal keinen Hinweis geben". In ihrer Not haben sich die westeuropäischen Nachrichtendienste mittlerweile sogar an die Geheimdienste des Assad-Regimes gewandt. Bereits im November 2013 fand in Damaskus ein geheimes Treffen britischer, deutscher, französischer und spanischer Geheimdienstler mit dem syrischen Geheimdienstchef Generalmajor Ali Mamlouk statt.
Im Juni 2014 konnten die Nachrichtendienste einen wichtigen Aufklärungserfolg gegen die ISIL verbuchen: Der irakische Sicherheitsdienst konnte in Mosul nicht weniger als 160 Computersticks sicherstellen. Die Datenträger gehörten Abdulrahman al-Bilawi und sollen Informationen u. a. über die ausländischen Mitglieder der extremistischen Gruppierung enthalten. Wahrscheinlich wird der irakische Dienst seine exklusiven Erkenntnisse nun an die europäischen Geheimdienste weitergeben.
Die Kriegsfreiwilligen aus Deutschland
Die "Deutschen" stellen heutzutage ein erhebliches Kontingent der Kämpfer aus Europa. Im Juni 2014 war sogar von einer "Deutschen Brigade Millatu Ibrahim" die Rede. Dabei kommt es den angehenden Dschihadisten entgegen, dass die Anreise nach Syrien relativ einfach und billig ist: Die Reise in den Wahnsinn kostet zwischen 100 und 200 Euro. Man kann in Berlin ein Flugzeug besteigen und es in den südtürkischen Städtchen Adana oder Gaziantep wieder verlassen. Dort lotsen eingespielte Schmugglerringe die Dschihadisten über die Grenze nach Syrien. In der Stadt Reyhanli kostet der illegale Grenzübertritt rund 50 Euro.
Unter den Kriegswilligen aus Deutschland befinden sich auch auffallend viele Frauen, die - mit oder ohne Ehemann - ihren Beitrag zum Dschihad leisten wollen. Da aber eine alleinstehende Frau in dschihadistischen Kreisen nicht dauerhaft toleriert wird, kommt es dann zu arrangierten Ehen zwischen diesen Frauen und einzelnen Dschihadisten. In diesem Zusammenhang ist vom "Sexual Jihad" die Rede. Die Ehefrauen übernehmen dann nicht nur die Versorgung der Kämpfer, sondern beteiligen sich auch an der Propagandaarbeit.
In Syrien angekommen schließen sich die deutschen Dschihadisten unterschiedlichen Gruppierungen an - von der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) über die An-Nusra-Front bis hin zur noch radikaleren Gruppierung Islamischer Staat im Irak und Levante (ISIL). Die mögliche Folge ist, dass sich die Kriegsfreiwilligen aus Deutschland gegenseitig umbringen. Allerdings konnte dies noch in keinem Einzelfall tatsächlich bestätigt werden. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz kamen immerhin 25 Dschihadisten bei den Kämpfen in Syrien ums Leben. Mehrere Dschihadisten aus Deutschland gerieten in "Kriegsgefangenschaft". Sie sitzen nun ein in Gefängnissen der syrischen Armee, der Freien Syrischen Armee oder der Türkei.
Was die einzelnen Dschihadisten in Syrien konkret machen, wird den deutschen Sicherheitsbehörden in der Regel nicht bekannt. So bekannte BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen im Juni 2014: "Aus Syrien sind rund 100 Personen zurückgekommen. Von vielen wissen wir nicht, was sie in Syrien getan haben. In der Regel ist das nicht aufklärbar." Immerhin dienen ausgerechnet die Propaganda-Videos der Dschihadisten auf einschlägigen Internet-Seiten wie dem "SHAM-Center" oder "Al-Hayat" als wichtige Informationsquelle für die Sicherheitsbehörden (Wie ISIL Medien nutzt).
In Syrien zeigte sich wiederholt, dass sich nicht alle Kriegsfreiwilligen aus der Bundesrepublik zum Guerillakämpfer eignen. So erklärte Sabri Ben Abda in einem Dschihadisten-Video vom Frühjahr 2013, von zehn Freiwilligen seinen "drei oder zwei prädestiniert für den Kampf"; der Rest habe sich "mehr oder weniger in die Hosen geschissen", denn der Bürgerkrieg sei nichts für "Weicheier".
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch der Verfassungsschutz: Mehrere Kriminelle wären nach Syrien gereist, um dort in Kampfmontur mit einem echten Sturmgewehr zu posieren. Anschließend würden die vermeintlichen Guerillakämpfer in die Bundesrepublik zurückkehren und die gefakten "Kriegsfotos" auf ihren Webseiten im Internet posten, um sich als gefährliche Männer darzustellen. Ein Verfassungsschützer erklärte dazu: "Wir beobachten einige Personen, die in Syrien nur Dschihad spielen wollen. (…) Sie erzählen dann daheim, sie hätten gekämpft und getötet. Syrien ist ein idealer Spielplatz für alle, die gerne Gotteskrieger wären."