Stephen Kings "Es"
Warum man sich lieber die neue Netflix-Verfilmung von "Der Nebel" ansehen sollte
Am 15. September 1986, vor über 31 Jahren, veröffentlichte Stephen King (der morgen 70 Jahre alt wird) den Roman, der bis heute sein bekanntester ist: "It", zu deutsch "Es". Der Clown, durch den sich die uralte Grauensentität dort offenbarte, war damals noch kein so fester Bestandteil des Gruselkanons wie heute, obwohl der Serienmörder John Wayne Gacy als kinderbespaßender "Pogo" bereits zwischen 1972 und 1978 insgesamt 33 Knaben und junge Männer in sein Haus gelockt, vergewaltigt und umgebracht hatte. Er wirkte als Gruselfigur noch eher paradox als abgedroschen, weil man gemeinhin glaubte, Kinder würden Clowns lustig finden. Erst 2008 wiesen Wissenschaftler an der Universität Sheffield in einer Studie mit 250 Krankenhausinsassen zwischen vier und 16 Jahren wissenschaftlich nach, dass Kinder Clowns generell nicht mögen: Kein einziges mochte die Clownsbilder auf der Station - und viele gaben an, sie fänden die Figuren eher furchteinflößend als lustig (vgl. Gefährliche Clowns).
Das andere tragende Element von "Es" waren die Opfer und Bekämpfer des Clowns "Pennywise": Der "Loser's Club" - eine Koalition aus einem Stotterer, einem Brillenträger, einem fetten Kind, einem Schwarzen, einem Münchhausen-by-Proxy-Asthmatiker, einem Juden und einem Mädchen. Alle Beteiligten an dieser Koalition hatten nicht nur gemeinsam, dass sie Pennywise und andere Horroremanationen sehen konnten, sondern auch, dass sie in ihrer Kleinstadt Derry Opfer von Bullies waren, die 1958 Macht über diese Minderheiten ausübten. 1986 passte das perfekt zur damals noch relativ frischen Idee einer "Regenbogenkoalition" aus Minderheiten, mit der die Demokraten in den USA versuchten, neue politische Mehrheiten zu gewinnen.
Stephen Kings "Es" (15 Bilder)
In Andy Muschiettis neuer Verfilmung des Romans, die am 28. September in den deutschen Kinos anläuft, spielt sich die Kindheit der Romanhelden nicht 1958, sondern 1989 ab, weil man ihre Erwachsenenzeit (die in einem zweiten Teil der Verfilmung folgen soll) in der Gegenwart spielen lassen will. Zudem erscheinen die 1980er und frühen 1990er Jahre mit entsprechendem zeitlichen Abstand heute als kulturell ähnlich faszinierende Epoche wie in den 1980er Jahren die 1950er und frühen 1960er Jahre. Allerdings wirkt dadurch die Unterdrückung der Minderheiten nicht mehr ganz so glaubhaft.
Ihren sehr guten Kinostart in den USA dürfte Muschiettis Verfilmung nicht den Rezensionen, sondern dem guten Ruf von Kings Roman und einer ersten Fernsehadaption von 1990 zu verdanken haben, in der neben Richard Thomas (John Boy Walton) als Stotterer Bill Denbrough vor allem Tim Curry (Frank N. Furter) als Pennywise glänzt und in dem ein sorgfältiger zusammengestellter Soundtrack mit Stücken der Impressions und der Temptations für eine gewisse Stand-by-Me-Stimmung sorgt. Dass das in Muschiettis Film fehlt, liegt nicht nur an der Musik, sondern auch daran, dass das Drehbuch von Chase Palmer, Cary Fukunaga und Gary Dauberman die Geschichte (anders als das Buch und die Verfilmung von 1990) nicht über Erinnerungen erzählt und ihr dadurch viel von ihrem Reiz nimmt: Weil die Figuren so nicht ausreichend entwickelt werden, wirken sie nicht wie die komplexen menschlichen Wesen aus dem Buch, sondern so flach wie "die Goonies mal minus Eins", wie Reinhard Jellen in der Pressevorführung treffend anmerkte.
Bill Skarsgård aus der Serie Hemlock Grove, der in der neuen Verfilmung Pennywise spielt, sieht zwar ähnlich aus wie Tim Curry in dieser Rolle, schafft es jedoch nicht, der Figur eine eigene Note zu geben. Dem aus Stranger Things bekannten Finn Wolfhard hat man eine völlig übertrieben dicke Brille aufgesetzt, die eher in den Fundus einer deutschen Fernsehcomedy passen würde - und Sophia Lillis aus 37 sieht für die Figur Beverley Marsh viel zu glatt aus. Aber selbst die brilliante Millie Bobby Brown, die in Stranger Things "Eleven" spielt (vgl. Wohlfühl-Trigger-Warnung statt Spoiler-Warnung), hätte den Film wahrscheinlich nicht retten können.
Dass man den Teil der Handlung, in dem Beverley Marsh nacheinander mit allen Jungs aus dem Loser's Club Geschlechtsverkehr hat, um ihnen die Angst zu nehmen, erwartungsgemäß nicht in die Verfilmung aufgenommen hat, zeigt, wie viel sich seit dem Erscheinen des Buchs geändert hat. Wäre es kein Klassiker, dann würde es heute womöglich als Kinderpornographie gebrandmarkt, weil diese heute weitaus stärker gesellschaftlich und strafrechtlich geächtet ist als 1986.
Noch stärker sichtbar werden Unterschiede zwischen Damals und Heute, wenn man die neue Es-Verfilmung mit der seit August bei Netflix verfügbaren Neuverfilmung von Stephen Kings Kurzgeschichte "The Mist" ("Der Nebel") ansieht. Hier haben die Drehbuchautoren berücksichtigt, dass 2017 ganz andere Verhältnisse vorliegen als 1985 und die Handlung so verändert, dass in ihr sichtbar wird, warum "Es" heute auch als politische Parabel nicht mehr funktionieren kann. Um das darzulegen, ist es allerdings notwendig, eine Überraschungen zu offenbaren. Er sich diese Überraschung nicht nehmen lassen will, sollte deshalb hier nicht weiter lesen. Wer es trotzdem macht, darf sich hinterher nicht beschweren.
Achtung, Spoiler
Als Bösewicht der ersten Staffel von "Der Nebel" entpuppt sich nämlich nicht der Sportler, ein Angehöriger einer Gruppe, die in alten King-Erzählungen (ebenso wie in der Realität) an Schulen gerne Minderheiten unterdrückte, sondern ein SJW, der sich nicht festlegen will, welches "Gender" er bevorzugt. Er setzt, wie sich später herausstellt, eine falsche Vergewaltigungsbeschuldigung in die Welt, mit der er ebenso Leid verursacht wie andere SJWs mit falschen Vergewaltigungsbeschuldigungen in der Realität der letzten Jahre, die sich von derjenigen der vergangenen Jahrzehnte massiv unterscheidet: Damals kämpfte Rosa Parks für das Recht, im Bus nicht auf Plätzen sitzen zu müssen, die für Schwarze reserviert waren - heute beschweren sich schwarze SJWs darüber, es sei Diskriminierung, wenn sie sich nicht auf den für Behinderte reservierten Platz setzen dürfen (vgl. Abgeschreckte Wähler und unbeabsichtigte Folgen).
Auch die Naturanbetung der Dame aus der Baby-Boomer-Generation, die früher die Nemesis zum Pfarrer gewesen wäre, wird in der Nebel-Serie als im Kern sozialdarwinistisch enttarnt. Wobei freilich auch der Pfarrer (in dessen Rolle der als "Bulldog" bekannte Dan Butler aus dem Serienklassiker Frasier überraschend überzeugend wirkt) kaum weniger gut wegkommt. Und die Hauptdarstellerin Alyssa Sutherland (die an Lynn Lowry in David Cronenbergs Shivers von 1975 erinnert), zeigt, dass man die besten Schauspieler heute eher in Serien als in Kinofilmen findet.
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