Strafanzeigen wegen Regierungskritik in Griechenland

Bild: Joao Cruz/unsplash

Kritische Äußerungen im Internet werden verfolgt. Journalisten stehen unter Druck. Alles, was sie sagen oder schreiben, kann gegen sie verwendet werden

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Mehrere Journalisten, aber auch ein Lehrer, müssen sich in Griechenland wegen kritischer Äußerungen und journalistischen Beiträgen gegen die Regierung, deren Anhänger oder gegen einzelne Regierungsabgeordnete vor Gericht verantworten. Gleichzeitig sieht Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis in der Veröffentlichung von Fotos schlagender Polizisten - und nicht in der Polizeigewalt - das Problem. Er möchte nun offenbar gegen das Fotografieren bei Demonstrationen vorgehen.

Die größte griechische Journalistengewerkschaft ESIEA sah sich gleich mehrfach genötigt, Stellungnahmen zur Solidarität mit ihren Mitgliedern zu veröffentlichen. Auch sie ist nun im Visier der Kritik.

Ein Video über Angriffe auf Asylbewerber

Am 15. Juli bezog die ESIEA Stellung zu den juristischen Abenteuern, in welche der Journalist Thrasos Avraam wegen seiner Berichte über die Krawalle auf der Insel Lesbos im März geriet. Avraam hatte ein Video veröffentlicht, in dem der Angriff wütender Menschen auf ein Fahrzeug der Hilfsorganisation "One Happy Family" und der beiden Insassen des Fahrzeugs dokumentiert war. Das Video wurde vom lokalen Medium stonisi.gr einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Dabei wurden die Angreifer, die gegenüber Asylbewerbern und Hilfsorganisationen feindlich eingestellt sind, bei ihren Gewalttaten gefilmt. Diese klagten, weil sie durch das Video ihre Persönlichkeitsrechte sowie den Schutz ihrer Daten verletzt sahen. Avraam wurde daher zwischenzeitlich festgenommen und inhaftiert.

Das griechische Strafrecht sieht nämlich vor, dass bei einer entsprechenden Anzeige gegen ihn, ein Journalist sofort verhaftet wird und dann einem Schnellgerichtsverfahren überstellt wird. Bei der Anzeige wird deren juristische Grundlage in den seltensten Fällen von der Polizei auf Plausibilität überprüft.

Die sofortige Festnahme, Verhaftung und Vorführung vor Gericht gilt gemäß der Regeln für die "Festnahme auf frischer Tat" für achtundvierzig Stunden nach dem Datum der Veröffentlichung eines Beitrags. Für Medienbeiträge im Internet gilt, dass deren Veröffentlichung als frisch gilt, solange diese Beiträge online zugänglich sind.

Bei ungerechtfertigter Anzeige besteht natürlich die Möglichkeit einer Gegenanzeige und einer Schadensersatzklage. Beides ist jedoch mit erheblichen Kosten und Zeitaufwand verbunden.

"Freie Ausübung der journalistischen Arbeit ist ein Grundpfeiler der Demokratie"

Beim zweiten Fall geht es um die Solidaritätsbekundung für die ESIEA-Mitglieder Eleftheria Kounantou, Nikos Bogiopoulos, Maria Denaxa und Elena Akrita. Allen vier gemeinsam ist, dass sie ins Visier des streitfreudigen Abgeordneten der Nea Dimokratia, Constantinos Bogdanos, gerieten.

Die Stellungnahme der ESIEA vom 20. Juli 2020 trägt den Titel: "Korrekte Wiederholung: Die ESIEA ist solidarisch mit den Kollegen Eleftheria Koumantou, Nikos Bogiopoulos, Maria Denaxa und Elena Akrita". Ihr war eine weitere Stellungnahme vorausgegangen, bei der Elena Akrita noch nicht erwähnt wurde. Die Stellungnahme besagt im Wortlaut:

Der Verwaltungsrat der ESIEA drückt seine Solidarität und seine Unterstützung für die Kollegen Eleftheria Koumantou, Nikos Bogiopoulos, Maria Denaxa und Elena Akrita gegen die indirekten Bedrohungen, das Framing und die herablassende Behandlung durch den Abgeordneten, Herrn Constantinos Bogdanos, aus. Die freie Ausübung der journalistischen Arbeit ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Und der einzige Weg, den Journalismus auszuüben, ist die Suche nach der Wahrheit. Beleidigungen, der Versuch der Zensur, und beleidigende Äußerungen sind keine akzeptablen Phänomene, weder für die Kollegen, noch für den Verband. Der Verwaltungsrat der ESIEA wird den europäischen und den internationalen Verband informieren.

Stellungnahme der ESIEA

Die Weiterleitung der Stellungnahme an internationale Verbände steht auch im Zusammenhang mit bereits bestehenden Protesten internationaler Journalistenverbände gegen die griechische Regierung. Diese werfen der Regierung Mitsotakis vor, dass sie mit CoVid19 Hilfen selektiv die regierungsnahen Medien fördern, und die kritischen Medien ohne jegliche Unterstützung lasse.

Bogdanos reagierte auf die Rüge durch die ESIEA mit einer erneuten Beleidigung. Diesmal behauptete er über Twitter, dass die ESIEA von "Linken und Elendigen" geführt würde. Zudem beklagte er, dass die ESIEA seinerzeit, als er vom Sender SKAI entlassen wurde, keine Stellung bezogen hatte.

Bogdanos verschwieg dabei zwei Tatsachen. Der Verwaltungsrat der ESIEA steht der regierenden Nea Dimokratia nahe - und dass die von der Partei gestützte Kandidatenliste die Mehrheit hat. Vizepräsidentin des Verbands ist eine frühere Parlamentarierin und Parlamentskandidatin der Nea Dimokratia, Aria Agatsa, die aktuell beim staatlichen Sender ERT arbeitet.

Bogdanos war tatsächlich im Sommer 2017 von seinem damaligen Sender SKAI TV und SKAI Radio entlassen worden. Grund für die Freistellung durch den Arbeitgeber war, dass Bogdanos in seiner damaligen täglichen Livesendung behauptet hatte, die Attentäter, die für den Bombenanschlag auf den früheren Premierminister Loukas Papademos verantwortlich seien, seien "frühere Genossen von Alexis Tsipras", der damals selbst Premier war.

SKAI sah sich seinerzeit, weil für die Behauptung keinerlei Beweise oder Indizien vorliegen, genötigt, öffentlich Abbitte zu leisten. Bogdanos aber bestand auf seiner Anschuldigung gegen Tsipras.

Die ESIEA konnte seinerzeit allerdings keine der aktuellen Solidaritätsbekundung analoge Erklärung zum Fall abgeben, weil Bogdanos in keiner journalistischen Kammer, Gewerkschaft oder Vereinigung Mitglied ist. Der heutige Politiker hat mit dieser Begründung auch nie die für Journalisten in Griechenland wegen des Transparenzgesetzes verpflichtende Vermögenserklärung abgegeben.

Bogdanos selbst gibt an, er hätte sich aus ideologischen Gründen den Journalistenvereinigungen fern gehalten. In der Regel beziehen journalistische Vereinigungen in Griechenland nur für ihre eigenen Mitglieder Stellung.

Bogdanos ist mit seinen Kommentaren gegen politische Gegner nicht zimperlich. Er wirft Menschen, die Stellung für die Asylbewerber beziehen, Landesverrat und Kollaboration mit den Türken vor. Die Asylbewerber selbst sieht er als Bedrohung.

Dabei verwendet er oft den Ausdruck "Islamisierung" und Theorien über einen angeblich geplanten Bevölkerungsaustausch. Zudem sieht er in seinen politischen Gegner verallgemeinernd "Linke" und "Neomarxisten".