Strahlende Zukunft: Die Euratom-Hypothek

Bringt die EU-Osterweiterung eine Renaissance der Kernenergie?

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Die meisten EU-Länder sind atommüde, doch der Ausstieg aus der Kernenergie kommt nur schleichend voran. Der Beitritt der osteuropäischen Länder zur EU scheint den Kernenergiesektor gar neu zu beleben. Ursache ist der Euratom-Vertrag.

Am 1. Mai werden unter großem Getöse zehn neue Länder in die Europäische Union aufgenommen. Im Vorfeld ihres Beitritts sind viele Details geregelt worden, nur ein Aspekt ist neben dem Abgleich von Beitrittskriterien wie Inflationsraten, BIP etc. weitgehend aus dem Blickfeld gerückt: Dass die neuen Länder Mitglied im weltgrößten Atom-Club werden!

Die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat sich nämlich in der Präambel des Euratom-Vertrags, der 1957 zusammen mit dem Gründungsvertrag unterzeichnet wurde, verpflichtet: "… die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen, die (…) zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt." Heute ist die Kernenergie nach den fossilen Brennstoffen mit rund 35 Prozent die zweitwichtigste Stromquelle in der EU.

Das Euratom-Abkommen ist mit seinen 47 Jahren mittlerweile in die Jahre gekommen, doch es hat die Zeit erstaunlich unversehrt überstanden und das wird womöglich auch so bleiben. Denn es ist das einzige Abkommen, das im Rahmen der in Entstehung befindlichen EU-Verfassung unverändert Bestand haben soll. Euratom stammt aus einer Zeit, in der die Atomenergie noch als viel versprechende Zukunftstechnologie galt, in die über die Jahre auch enorm viel Geld geflossen ist.

Das Euratom-Abkommen stammt noch aus der Atom-Gründerzeit

Doch dann kam Tschernobyl und die zahlreichen Auseinandersetzungen über Atommülltransporte und die Endlagerung des teilweise Jahrtausende lang strahlenden Atommülls. Und so ist die EU gegenwärtig zwar führend im Atomenergiesektor, doch die Euphorie ist verflogen. Die meisten Reaktoren sind in die Jahre gekommen, im Durchschnitt haben sie bereits jetzt 22 Dienstjahre hinter sich und mit dem Alter ist vielen Betreibern die Lust an der Technologie vergangen. Anders als erwartet erwies sich Atomkraft als auf lange Sicht riskant und auch nur begrenzt verfügbar. Es hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch Uran zu Ende geht, aber die Sicherheitsprobleme bleiben.

Der Wind hat sich gedreht zugunsten erneuerbarer Energien. Getragen von breiter Zustimmung in der Öffentlichkeit hat Italien den Ausstieg aus der Kernenergie vollzogen, in Deutschland, Spanien, Schweden, den Niederlanden und Belgien gibt es ähnliche Bestrebungen. Einzig Frankreich, Großbritannien und Finnland denken noch über neue Reaktoren nach.

Was passiert nun mit dem Beitritt der neuen Mitglieder? In einer aktuellen Pressemeldung frohlockt das Deutsche Atomforum bereits, die "EU-Erweiterung bringt mehr Kernenergie". Tatsächlich: Fünf der zehn Neulinge nutzen Atomenergie – Tschechien, Ungarn, Slowenien, Litauen und die Slowakei betreiben insgesamt 19 Reaktoren, überwiegend russischer Bauart. Darunter zwei Anlagen, das AKW Ignalina in Litauen und Bohunice in der Slowakei, die baugleich sind mit dem Reaktor in Tschernobyl und als absolute Sicherheitsrisiken gelten. Trotzdem sind beide Länder nur unter großem Druck und viel Geld seitens der EU bereit, die Anlagen bis 2009 vom Netz zu nehmen. Das Vertrauen in die Nuklearenergie ist offenbar stark: Alle fünf EU-Neulinge decken ihren Energiebedarf weitgehend über Kernenergie und haben auch mittel- und langfristig nicht vor, auszusteigen.

Mitgefangen, mitgehangen

Mit ihrem EU-Beitritt haben sich aber auch Länder wie Polen, Estland, Lettland, Malta und Zypern, die keine Kernenergieanlagen betreiben, verpflichtet diese Industrie zu fördern, vorausgesetzt, das Euratom-Abkommen bleibt in seiner bisherigen Form bestehen. Im Moment ist dies mehr als wahrscheinlich. Hinter dem Abkommen steht eine starke Industrie und auch wenn ein Land wie Großbritannien Reformbedarf sieht, gibt es noch längst keine Einigung darüber, wie diese Reformen aussehen könnten. Österreich, das eine starke Anti-Atom-Bewegung besitzt, möchte Euratom durch ein technologieneutrales Abkommen ersetzen. Dieser Vorstoß wird von Irland, Luxemburg, Dänemark, Deutschland, Schweden, Estland, dem EU-Parlament und vielen Umweltgruppen getragen.

Die unveränderte Beibehaltung des Euratom-Abkommens wie sie im Verfassungsentwurf des EU-Konvents bislang vorgesehen ist, ist deshalb so gravierend, weil sie zwei schwerwiegende Weichenstellungen enthält: Sie bedeutet eine Privilegierung der Atomenergie abseits aller Marktregeln. Obendrein wird die Energiepolitik künftig EU-Zuständigkeit sein und damit deutlich zugunsten der Kernenergie verlaufen. Die gegenwärtige Situation ist eine Chance, einen anderen Kurs einzuschlagen, denn seine einseitige Orientierung auf die Kernenergie hat Euratom zum Fossil gemacht, dem im Grunde die Daseinsberechtigung fehlt.