Strategien für die Freiheit des Wissens
Auf der Wizards of OS II ging es hauptsächlich um das Aufzeigen von Wegen zum Erhalt einer offenen "Info-Ecology"
Die Open-Source-Community hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Sammelbecken für alle entwickelt, die neben dem Quellcode von Software auch allgemein Informationen und Wissen in der Gesellschaft frei verfügbar halten wollen. Doch um dem professionellen Lobbying der Verwertungsindustrien und anderen Gegner des freien Informationsflusses sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung alternative Lösungen entgegensetzen zu können, müssen die bisher kaum organisierten Verfechter der Offenheit ähnlich wie die frühe Umweltschutzbewegung noch stärker an einem Strang ziehen und die Öffentlichkeitsarbeit verbessern. Erste Ansätze für ein professionelleres Marketing kristallisierten sich zögerlich auf der Berliner Konferenz Wizards of OS II (WOS) heraus.
"Wir müssen unsere Sichtbarkeit vergrößern, besser miteinander kommunizieren und uns Verteidigungsstrategien überlegen", eröffnete WOS-Initiator Volker Grassmuck am Samstag das Brainstorming über die zukünftige Ausrichtung der Open-Source-Bewegung. Denn Gefährdungen der Freiheit sowie der offenen Wissensgesellschaft gibt es an allen Ecken und Enden und die Rechte der Anwender werden in der digitalen Umwelt immer öfter rigoros beschnitten (Die Nutzer brauchen eine Lobby).
Ob es die Musikindustrie ist, die den Gesetzgebern mit dem Anspruch auf ein absolutes Verwertungs- und Urheberrecht zur Sanktionierung technischer Anti-Kopierverfahren nötigt, ob es Patentanwälte sind, die oft triviales Allgemeinwissen unter die Haube staatlicher Privilegien bringen und daraus Profit schlagen wollen, oder ob die Cybercrime-Konvention des Europarats (Cybercrime-Abkommen passiert eine der letzten Hürden) oder das Haager Abkommen das Internet zu einem Ort der größtmöglichen Kontrolle machen sollen - die offene Wissens- und Informationsumwelt im Netz droht ausgetrocknet zu werden. Gegenüber diesen Gefährdungen ist der einstmalige "Hauptgegner" vieler Open-Source-Anhänger, der die Desktop-Welt nach wie vor weit gehend beherrschende Softwarekonzern Microsoft, längst in die zweite Reihe getreten.
Die Herausforderungen für die Freunde einer freien digitalen Landschaft sind mit den Schwerpunktverlagerungen allerdings nur größer geworden. Die Fülle der ausgemachten Ziele ruft vor allem nach einer "Dachmarke", unter der sich die aus dem offenen Quellcode geborene Bewegung noch sammeln und widerspiegeln kann. Daneben ist eine Professionalisierung der Lobbyarbeit gefragt, um weitere Politiker als Verbündete zu gewinnen und den Staat an seine demokratischen Verpflichtungen zur Förderung des öffentlichen Guts Wissen zu erinnern.
Das Stürmen und Drängen ist auch im Linux-Sektor vorbei
Die Suche nach Vorbildern und Anknüpfungspunkten für eine erweitere Politik des freien Codes gestaltete sich in Berlin zunächst überaus zäh. Die ganze Konferenz konnte sich trotz ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Schwerpunkte nicht der allgemeinen Ernüchterung rund um die Internet-Ökonomie entziehen. Da viele Mitarbeiter und Gründer von Wagniskapital-finanzierten Firmen rund um Linux momentan ähnlich wie Internet-Startups ums nackte Überleben kämpfen, fehlt ihnen momentan die Lust, die Zeit und das Geld, um sich um hehrere Ziele zu kümmern. Von dem Momentum sowie dem Stürmen und Drängen, das sich noch auf der ersten WOS-Veranstaltung vor gut zwei Jahren verbreitete, war daher nur noch wenig zu spüren (Sankt IGNUtius predigt wieder).
So gab es auf dem Strategie-Panel zunächst zahlreiche Grundsatzfragen zu klären und Claims abzustecken. Wie verhält es sich etwa mit dem Partner Staat? Es sei gefährlich, sich auf Regierungshilfen zu verlassen, gab beispielsweise Felix Stalder, Mitgründer von OpenFlows, zu bedenken. Da müsse man es den Geldgebern dann auch immer Recht machen, was zu Gewissenkonflikten führen könnte.
Doch mit seiner Haltung stieß der Niederländer auf wenig Verständnis. Der Staat dürfe nicht aus seiner Pflicht zur Förderung der Public Domain entlassen werden, forderte eine Stimme. Man könne doch die Kohle nehmen und sie subversiv einsetzen, fand ein anderer Streiter. Ein Vertreter der Free Software Foundation Europe hatte ebenfalls nicht dagegen, Mittel der öffentlichen Hand in Empfang zu nehmen. Dass damit aber die Freiheit gestärkt werden solle, dürfe man keineswegs verheimlichen.
Problematisch gestaltete sich auch die Suche nach einem gemeinsamen Aufhänger für die den WOS-Machern vorschwebende Allianz. Die Open-Source-Gemeinde ist seit jeher sehr heterogen und definiert sich bisher hauptsächlich über das Festhalten an den offenen Blaupausen für Softwareprogramme. Der Begriff "Open Source" selbst beruht bereits auf einem Marketingschachzug der wichtigsten Vertreter der US-amerikanischen Software-Entwickler und dem Verleger Tim O'Reilly (Schlüsse aus der Open-Source-Software-Entwicklung). Er ergänzt den leicht missverständlichen Freiheitsbegriff des Szene-Gurus Richard Stallman, den der Netz-Aktivist Geert Lovink für einen Auslöser "kultureller Konfusion" hält. Als zentraler Punkt der neuen Lobbying-Offensive komme er damit nicht in Frage.
Doch ohne einen Hut, den sich die unterschiedlichen Architekten offener Informationsarchitekturen und einer Wissens-Allmende im Cyberspace überstülpen können, ohne ein neues, einigendes Konzept geht es nicht weiter, fürchtet Volker Grassmuck. Der an der Humboldt-Universität Berlin tätige Forscher erinnerte an die Ermahnung seines amerikanischen Kollegen James Boyle, der bereits vor Jahren die Notwendigkeit aufgezeichnet hat, ein umfassendes Konzept für die digitale Infosphäre zu finden (The Need for Digital Ecology). Denn erst nach dem Prägen und dem Besetzen des Begriffs der Ökololgie entwickelten sich die Strukturen einer Umweltschutzbewegung, die an einem Strang zog.
Public Domain ist nicht publik genug
Was also könnte das Verbindende einer soziokulturellen Open-Source-Bewegung sein, die ähnlich erfolgreich und bekannt ist wie Greenpeace oder Amnesty International? Die Public Domain brachte Grassmuck als erstes ins Spiel als globales Thema. Doch der Begriff ist konzeptionell unscharf, amerikanisch geprägt und damit fürs Marketing nach außen nur schwierig verwendbar. In den USA beispielsweise existiert seit Januar 2000 bereits das Center for the Public Domain, das zahlreiche Konferenzen - darunter auch die WOS II selbst - sowie Forschungsprojekte und andere Lobbyvereine finanziell unterstützt und sich der freien Meinungsäußerung, dem Austausch von Informationen, der öffentlichen Debatte sowie dem Erhalt der Privatsphäre verschrieben hat. Doch einen über Expertenkreise hinausgehenden Bekanntheitsgrad hat sich das Center bislang nicht erwerben können.
The public domain is the cultural space in which we share information, creativity and ideas. Like an ecosystem, the public domain can remain healthy only if its relationship with the market - as embodied in intellectual property law, technology and social practice - is in balance.
Aus den Leitlinien des Center for the Public Domain
Auch die Suche nach anderen erfolgreichen Lobbyorganisationen im Bereich der Netzpolitik führte die Strategen zunächst in Sackgassen. Schaue man sich die Landschaft in den USA und Europa einmal genauer an, bemerkte James Love, Direktor des Consumer Project for Technology in Washington DC, stelle man vor allem die große Anzahl bereits existierender Vereinigungen dar. Im Bereich Verbraucherschutz sei es zwar gelungen, mit dem über 35 Gruppierungen vereinenden Transatlantic Consumer Dialogue einen Gegenpunkt zum Transatlantic Business Dialogue der Industrie zu bilden (Der Masterplan der euro-amerikanischen Wirtschaft für die Zukunft der globalen Informationsgesellschaft). "Aber bei Ihrer Community bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich etwas Vergleichbares aufbauen lässt", rätselte Love. Es fehle halt doch wieder das einende Label. Der Gedanke, einen solchen Universal-Terminus zu finden, sei aber überaus "cool".
Weiter weg zum grenzenlosen Lobbying
Andy Müller-Maguhn, der nach einem Jahr als Direktor der Netzverwaltungsbehörde ICANN amerikanischer wie die Amis Englisch sprechende Medienfrontmann des Chaos Computer Clubs, berichtete derweil von den eigenen Lobbyistenerfahrungen. Wichtig sei es für ihn bei seiner Pressearbeit für den über 2000 Mitglieder zählenden Verein vor allem, den Journalisten Sachen wie die Bedeutung des freien Informationsflusses immer wieder zu erklären.
Häufig stoße die Clubarbeit allerdings an zeitliche und finanzielle Grenzen, da an so vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen sei. Mit deutlich mehr Mitteln ausgestattete US-Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) oder die American Civil Liberties Union (ACLU) kann Müller-Maguhn daher nur beneiden.
Eine welt- beziehungsweise zumindest europaweit effektiv agierende Nutzer- und Privacy-Lobby, die über die sich weit gehend im Betreiben einer gemeinsamen Mailingliste erschöpfenden Arbeit der Global Internet Liberty Campaign (GILC) hinaus geht, vermisst der Chaos-Sprecher denn auch. John Gilmore, einer der Gründer und Unterstützer der EFF habe zwar jüngst durchblicken lassen, Geld für den Aufbau eines Pendants in Brüssel zur Verfügung zu stellen. Doch dem deutschen Hacker ist der Ansatz Gilmores "zu zentralistisch". Es gehe diesem wohl hauptsächlich darum, amerikanische Interessen in Europa zu vertreten.
Müller-Maguhn schwebt daher zunächst vor, einen jährlichen Kongress vergleichbar der amerikanischen Computers, Freedom and Privacy-Konferenz in Brüssel zu veranstalten, um die Lobbyinglücke dort zu schließen und die Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie der EU-Kommission zu sensibilisieren.
Icology
Zahlreiche andere Vernetzungs- und Kampagnenfragen ließ die Brainstorming-Sitzung auf der WOS offen. Immerhin zeichnete sich zum Abschluss allerdings noch ein erster Konsens über die weitere Verwendung gemeinsamer Begrifflichkeiten ab. Die von James Boyle gelegte Fährte sei auf jeden Fall richtig, waren sich Panel und Publikum weit gehend einig.
Und wozu dann das Rad völlig neu erfinden, wo die "Ökologie" doch auch übertragen auf den Datenraum und die Informationsumwelt ihre konzeptionelle Kraft entfalten können. "Icology" beziehungsweise "Info-Ecology" soll daher der Terminus technicus sein, unter den sich die Wizards des offenen Quellcodes gemeinsam mit Verfechtern freier und selbstbestimmter Wissensordnungen einreihen sollen.