Streifzug durch die Delirien des GAS, des Größten Anzunehmenden Sparvorteils

Deutschland spart sich ab (frei nach Thilo Sarrazin)

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"Ich bin doch nicht blöd!" - dieser Satz drückt alle Elemente dessen aus, was als Wahnidee des persönlich entdeckten Schnäppchens weite Teile des deutschen Konsums und Verbrauchs beherrscht. Blöd ist, so die Theorie dahinter, wer für ein Produkt oder eine Leistung den angemessenen Preis bezahlt.

Nicht nur, dass aufgrund dieses kollektiven Zwangs zur Schnäppchenintelligenz bereits fast alle Fotogeschäfte, Drogerien, Elektronikhändler, Schneidereien, Schuhmacher und Eisenwarenhändler, Metzgereien, Korbmacher und Seiler aufgegeben haben; selbst industrielle Großproduzenten mit riesigen Händlernetzen drohen an der scheinbaren Preisintelligenz ihrer Kunden zu Grunde zu gehen. Deutschland im Sparwahn - ein kleiner Streifzug durch die oft paradoxen Delirien des GAS, des Größten Anzunehmenden Sparvorteils.

Der Sparmeister

Sebastian Karg verdient den Titel eines Sparmeisters. Er hat nämlich eine wirklich wirksame Sparmethode eines gewissen Peter Neumann ausprobiert. Diese besteht darin, jeden Morgen nach dem Aufstehen fünf Euro in eine Glasdose zu legen. Wie Karg berichtet, eigne sich das Konto nicht zum Sparen, ist es doch Abhebungen und Abbuchungen ausgesetzt. Die Macht der Gewohnheit weiterhin, so Karg, führe dazu, dass verfügbares Geld auch ausgegeben werde.

Durch Kargs Glasdosenhamsterei jedoch sammelt sich das Geld kontinuierlich an. Wie Karg behauptet, müsse man sich für seinen Sparweg auch nicht einschränken oder Preise vergleichen. Die "Tagessparplanmethode", so Karg, könne mit einem Raketenstart verglichen werden: Am Anfang benötigt man sehr viel Energie, aber dann oben im Weltraum flöge man quasi von selbst. An einer Stelle erwähnte der jugendliche Sparmeister einen bemerkenswerten Exit: Man könne das so sichtbar "gewachsene" Geld dann auf ein Tagesgeldkonto legen.

Überhaupt könnte es sein, dass das Hauptproblem des Sparens nicht die Verteidigung der kontinuierlichen Anhäufung gegen die Verschwendungssucht des inneren Schweinehundes darstellt, sondern die sinnvolle Verwendung des Ersparten. Wer schützt einen davor, sein Erspartes nicht in einer überteuerten Immobilie oder einer windigen Energieaktie in die Taschen jener zu leiten, die bestens auf den finalen Sparerexit vorbereitet sind?

Der Holzklassenprediger

Wenn ein Chef in der 120k-Plus-Einkommensklasse gegenüber Mitarbeitern und Kollegen beiläufig erwähnt, er sei zum letzten Meeting mit Emirates für 440 Euro nach Peking und zurück gejettet, hält sich die Freude über dieses Wunder in Grenzen. Dass der Aktienkurs eines im DAX notierten Großkonzerns aufgrund etwa 1000 eingesparter Euro bei einer Dienstreise explodiert, ist nicht zu erwarten. Auch knallen im Controlling nicht einmal dann die Champagnerkorken, wenn 1000 Führungskräfte auf diesem Wege je 1000 Euro, also eine Million Euro einsparen.

Solche Effekte sind allerdings auch nicht das Ziel des Holzklassenpredigers. Vielmehr erfüllt die Kasteiung in der Economy mit unmöglichen Abflugs- und Ankunftszeiten die Funktion einer Pilgerreise. Gibt es einen Pilger nach Santiago de Compostela, der tatsächlich die Entbehrungen des Jakobsweges als Geheimnis zwischen sich und dem Herrn hütet? Nein, der Jakobswegler wird jedem Verwandten und Kollegen mindestens sieben Monate lang erzählen, wie er nach dem unvermeidlichen Regenguss in Orthez in einer Scheune mit zwei Lettinnen eine Literflasche Merlot leerte und dabei unter Gitarrenbegleitung "House of the Rising Sun" zum Besten gab.

Die Predigt der Holzklasse hat für die Gläubigen längst nur noch eine einzige Funktion: Das Ausbleiben von Lohn- und Honorarerhöhungen, Überstundenausgleich und Beförderung als Ausdruck höherer Sparethik zum Wohle der Allgemeinheit erscheinen zu lassen.

Der Reich-durch-Sparen-Theologe

Das Moderatorebduo Joey Grit Winkler und Fero Andersen hat ausgiebig studiert: "Ein schlauer Mann hat einmal gesagt, dass die Reichen nicht deshalb so vermögend sind, weil sie so unheimlich viel Geld verdienen, sondern weil sie einfach wissen, wo man sparen kann." Im Gegensatz zur Fünf-Euro-Methode der Tagessparer geht es hier um das ganz grosse Geld. "Sparen wir uns heute reich!" frohlockt deshalb Joey Grit, die allerdings selbst nicht den Eindruck erweckt, ihre Methode bereits erfolgreich erprobt zu haben.

Wie bereits bei Sparmeister Sebastian Karg beginnt der Reichtum auch bei Fero Andersen mit dem Aufstehen. Um die goldene Morgenstunde wohlstandsvermehrend zu nützen, hat Fero die "Finanzexpertin" Heike Risse in sein Bad gebeten, einen Ort, an dem man den Zuwachs an Vermögen eher weniger vermutet.

Heike, die aussieht, als ob ihr die Schulung als Finanzexpertin vom Jobcenter Herne bezahlt wurde, belehrt Fero: "Jeden Tag werden 45 Liter Wasser in der Toilette heruntergespült - und das ist schon bares Geld." Sprecher: "25 Euro pro Jahr fließen so die Toilette hinunter." Durch eine Stopptaste könnten statt sechs nun auch drei Liter zumindest das kleine Geschäft für Reichtum nützen. Jahresgewinn: 13 Euro. Schade, dass dieser erst mit der Jahresabrechnung ausgezahlt wird.

Das Ergebnis derartiger Tipps kann man an seiner Wasserrechnung sehen: Obwohl der Wasserverbrauch der Bundesbürger seit Jahrzehnten sinkt, ändert sich an der Rechnung nichts, da die Wasserwerke zur Aufrechterhaltung der teuren Infrastruktur, die ausgerechnet durch den Minderverbrauch stärker verschleißt, im gleichen Maße die Preise erhöhen.

Zwischenbilanz: Man könnte durch die Idee der Klospülungs-Reichsparer zu den fünf Euro in der Tagesspardose auch noch einen Euro acht durch sparsame Klospülung hinzufügen. Ein Plus der Sparleistung von über 20 Prozent! Wenn es so weitergeht, können sich Gates und Buffett schon mal anschnallen.

Das Sparen an anderen

Wenn Gemeinschaften sparen, klingt dies besonders altruistisch. Gefragt, wo sie denn sparen möchten, antworteten klamme Kämmerer in der Reihenfolge: Straßenbeleuchtung (31 Prozent), Jugend- und Altenbetreuung (29 Prozent), Bäder schließen (14 Prozent) oder die Kita-Öffnungszeiten kürzen (11 Prozent).

Was verbindet diese vier Vorschläge? Es handelt sich ausnahmslos um Sparmaßnahmen, die nicht die Beschäftigten selbst betreffen. An deren, nirgendwo ausgewiesenen Vollkosten von etwa 70 Euro pro Stunde soll nämlich nicht gespart werden. "Einstellungsstopp" klingt toll, heißt aber nur, dass unproduktive und überforderte Beschäftigte keine Konkurrenz und keine Entlassung fürchten müssen. Und dann wegen Überarbeitung in Kur und Vorruhestand gehen.

Das Finanzamt Heidelberg wirbt gar mit dem Slogan "Trotz Spaßmaßnahmen gute Chancen im Öffentlichen Dienst". Gerade die 65 baden-württembergischen Finanzämter, so die emsigen Heidelberger, hätten nämlich für schwächere Abiturienten (bis 2,5 Durchschnitt), ausdrücklich auch, wenn sie in Mathe und Deutsch nur befriedigend wären, beste Verwendung.

Um die solchermaßen umworbenen künftigen Steuerprüfer für Frankfurter Bankhäuser mit einer Billion Bilanzsumme und 100 Tochtergesellschaften von Guernsey bis Cayman nicht abzuschrecken, verheißen die offensiv nach Mittelmaß suchenden Steuereintreiber: "Das duale Studium dauert nur drei Jahre." Dafür allerdings geht es mit dem Paternoster direkt in den gehobenen Dienst.

Die Kosten des Sparens

Sparen, soll es zumindest einen individuellen kurzfristigen Scheinvorteil bringen, darf nie volkswirtschaftlich oder gar globalökonomisch betrachtet werden. Wie Don Alphonso darlegt, führt etwa das Sparen beim Kauf italienischer Designmöbel zum Niedergang der Möbelregion Cerea. Der Don: "Die Sparsamkeit in der Globalisierung ruiniert eine ganze Region."

In unserer Kleinstadt hat der einzige Käseladen dichtgemacht. Mit den Preisen in den Supermärkten konnte er nicht mithalten. Wenn ich in einem öffentlichen Haushalt einen Euro weniger ausgebe, spare ich dennoch nur 50 Cent. Dazwischen liegt nämlich die Staatsquote, das, was der Staat von diesem Euro als Steuern und Abgaben zurückerhält. Und diese 50 Cent spare ich auch nur, wenn die gesparten 50 Cent nicht Opportunitätskosten in gleicher Höhe verursachen.

Die von einer Anstalt des öffentlichen Rechts, der Bundessteuerberaterkammer und ihrer 91.000 Steuerberater durch deren klugen Rat in Sachen "Steuern sparen" verursachten Steuerausfälle betragen etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr. Es gibt demnach keine effektivere fiskale Sparmaßnahme als die Schließung dieses paradoxen Verlustbringers.

Dass von 2009 bis 2012 nicht Deutschland, sondern Italien den Titel "Europameister im Sparen" verdient hat, wie der Spiegel unter Verwendung des Basel Kriteriums den verblüfften deutschen Politikern im "Münchhausen-Check" nachweisen konnte, zeigt, dass die Kosten des Sparens auch seinen Nutzen übersteigen können. Dann spart sich unser freundliches Nachbarland buchstäblich tot.

Der kategorische Sparimperativ

Fazit: Wer je mit einer 30-minütigen Autofahrt einem Preisanreiz gefolgt ist, muss sich die Frage gefallen lassen, ob, wer und was dabei tatsächlich gespart wird. Der Sparappell bedient alte christliche Werte der Askese und Kasteiung und verheißt eine moralische Bevorzugung vor dem Herrn. Soll Sparen aber volkswirtschaftlich gelingen, setzt dies das Vorhandensein eines kategorischen Sparimperativs voraus: Spare nur dann, wenn du zugleich auch wollest, dass auch bei dir gesparet werde.

Sparen an allen und allem ist aber ein Nullsummenspiel. Wenn die Löhne und Honorare sinken, fehlen sie auch bei Sozialabgaben, Steuern, Mieten und im Konsum. Sparen in Staatshaushalten muss dort erfolgen, wo der Spareffekt am größten ist. Dass dies bei Straßenbeleuchtung und Jugendbetreuung der Fall ist, kann wohl in das Reich der Phantasie verwiesen werden. Im Grunde besteht erfolgreiches und echtes Sparen in einer kollektiven Umverteilung. In der Schweiz und in Skandinavien haben sich die Gehälter und Abgabenquoten der Bürger so angeglichen, dass keine, durch Transferleistungen und Privilegien verursachten großen Lücken mehr im Staatshaushalt entstehen. Gerechtigkeit ist eine funktionierende Sparmaßnahme.

Und auch unser überschaubarer Privathaushalt konnte bereits durch die Abschaffung des Alpenladas X1 ins Lot gebracht werden. BMW ist dennoch nicht in Insolvenz gegangen, denn überall dort, wo der Anteil des frei für Konsum verfügbaren Einkommens am Gesamteinkommen noch höher als die Abgaben ist, etwa in weiten Teilen Asiens, in Russland und Lateinamerika, erscheint Sparen als unsinnige Betrübnis inmitten des wirtschaftlichen Aufstiegs.

Der große Sparboom setzt nur dort ein, wo es bereits seit Jahren kein Wachstum mehr gibt. Leider sorgt er dann dafür, dass es auch künftig so bleibt.