Streik als Chance
In Hollywood sind die Drehbuchautoren im Ausstand
Normalerweise ist der Streik im 21. Jahrhundert ein Mittel, das für viele Beschäftigte gar nicht oder kaum mehr zum Einsatz kommt, weil sofort mit der Verlagerung der Produktionsstätten ins Ausland gewunken werden kann. Ausnahmen sind Gruppen, die tatsächlich noch die Macht haben, wenigstens einige Räder still stehen zu lassen, weil sie nur mit erheblichem bürokratischen und finanziellen Aufwand schnell zu ersetzen wären: Piloten, Ärzte oder Lokomotivführer.
Bei einer dieser Berufsgruppen würde man Streiks eigentlich am allerwenigsten vermuten: Hollywoods Drehbuchautoren sind im Unterschied zum Studiosystem der 1930er schon lange keine Angestellten mehr, sondern arbeiten ganz überwiegend freiberuflich - die Entfordisierung der Arbeitsverhältnisse traf sie weitaus früher als andere Berufsgruppen - und doch sind sie seit letzter Woche im Ausstand.
Die Writers Guild of America will vom Produzentenverband Alliance of Motion Picture and Television Producers unter anderem einen höheren Anteil aus den DVD-Einnahmen, eine Beteiligung an den im Internet mit Filmen und Serien erzielten Profiten, mehr Rente, höhere Krankenversicherungszuschüsse und einen festgeschriebenen Anspruch auf Erste-Klasse-Tickets bei Flugreisen.
Die Forderung nach einer Beteiligung an den Profiten durch neue Verwertungsmodelle kommt dabei weniger überraschend als die nach den Erste-Klasse-Tickets. Die vielen neuen Monopolrechte, die die Lobbyisten der Medienindustrie durch die nationalen und internationalen Gesetzesänderungen der letzten zehn Jahre erhalten haben, spülen mittlerweile gehörig Geld in die Kassen der Medienindustrie. Und obwohl in den Propagandakampagnen für neue Monopolrechte vor allem mit den "Autoren" argumentiert wurde, gingen die bisher leer aus. Dafür sind die Einnahmen aus dem fast toten Medium Videokassette, an dem sie sich Mitte der 1980er einen Anteil erstreikten, mittlerweile so gut wie weggebröselt.
Allerdings erhalten die Drehbuchautoren schon für das Abliefern des Drehbuchs Geld – und das nicht wenig: der Durchschnittsverdienst liegt bei 200.000 US-Dollar jährlich. Teilweise sind die Jahreseinnahmen sogar siebenstellig. Ein ständiges Nachfließen scheint da so manchem Lohnarbeiter durchaus unbillig bis vermessen. Die Autoren aber argumentieren damit, dass sie die zusätzlichen Geldquellen für Trockenperioden und Krankheitsfälle benötigen würden. Allerdings fließen solche Einnahmen in diesen Fällen ebenso wenig gezielt wie garantiert. Trotzdem streiken die Drehbuchautoren nicht für ein amerikanisches Äquivalent zur Künstlersozialkasse, das solche Risiken besser abdecken würde, sondern um Verkaufsanteile, die auch für andere Zwecke als zur sozialen Sicherung ausgegeben werden können. In Deutschland sind die Drehbuchschreiber an der DVD-Verwertung übrigens keineswegs unbeteiligt, wie etwa die Süddeutsche Zeitung behauptete. Hier fließen die Anteile an den DVD-Einnahmen über die VG Wort an die Autoren.
Nun sollte man davon ausgehen, dass gerade freiberufliche Autoren ohne weiteres ersetzbar sind. Notfalls lässt sich ja ins Englische übersetzen und gerade in Korea werden sicherlich keine schlechteren Filmdrehbücher geschrieben - eher bessere. Der Trick, sich trotzdem streikfähig zu machen, liegt darin, dass sich die Autoren teilweise Abhängigkeiten aufbauen konnten. Das geht weniger bei Spielfilmen, wo auch ein John Milius vom Medienkonzern Warner wie Dreck behandelt werden kann, sondern vor allem bei Serien: Ist eine Serie einmal angelaufen und erfolgreich, dann erwarten viele Zuschauer eine gewisse Handschrift, die nicht jeder imitieren kann. Hinzu kommt der hohe Organisationsgrad der amerikanischen Drehbuchautoren: Die Gewerkschaft, der der Futurama-Autor Patric Verrone vorsteht, hat über 12.000 Mitglieder.
Im Kino machen sich die Folgen des Streiks erst in den Jahren 2009 und 2010 bemerkbar. Ähnliches gilt für das deutsche Fernsehen, wo die amerikanischen Serien meist mit gehörigem Synchronisationsabstand laufen. Aber auch das amerikanische Fernsehen und das Internet sind vorerst nur bedingt betroffen: South Park wird gar nicht bestreikt weil Matt Stone und Trey Parker keine Gewerkschaftsmitglieder sind, die zweite Staffel von Dexter wurde wegen des drohenden Streiks bewusst früher fertig gestellt und von der 19. Simpsons-Staffel können 22 der 23 Folgen zu Ende produziert werden. Die meisten anderen Shows haben noch 5 - 10 Folgen in Reserve.
Nicht betroffen sind außerdem Sendungen, die zu blöd sind, um ein Drehbuch zu haben - zum Beispiel "Gewinnspiele" und Realityshows. Talkmaster David Letterman kündigte scherzhaft an, sein Sender wolle während des Streiks nur noch Programm für Männer machen und ausschließlich Explosionen senden. Ob sich das - in der Realität durchgeführt - nicht tatsächlich als lukratives Geschäftsmodell herausstellen könnte, bliebe abzuwarten.
Mit größerer Wahrscheinlichkeit werden dagegen nicht organisierte Außenseiter-Drehbuchautoren zum Zug kommen. Hier zeigt sich ein entscheidender Unterschied zu den Lokführern: Experimente sind machbar, weil sie für die Kunden nicht lebensgefährlich sind, sondern höchstens so schlimm wie deutsche Degeto-Produktionen.
Insofern kann der Streik tatsächlich auch eine Chance sein: Film- und Fernsehstudios lesen nun mit größerer Wahrscheinlichkeit auch Treatments und Drehbücher, die sonst vielleicht durch die Schemata der Analysten gefallen wären - was potentiell nicht nur qualitativ Minderwertigeres mit sich bringt, sondern ebenso die Möglichkeit von etwas Abwechslung und weniger Langeweile. Auf den 22 Wochen dauernden Streik von 1988 etwa folgten in der nächsten Saison unter anderem die Simpsons und Seinfeld.