Stresstest zugunsten Frankreichs
Seite 3: AKW-Verlängerung blockiert Energiewende
- Stresstest zugunsten Frankreichs
- Nuklearkrise und "Energieschmerzen" für Europa
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Die fortgesetzte Nutzung von Atomkraft blockiert die dringend notwendige Energiewende, in Frankreich, Deutschland und ganz Europa. Denn Atomkraft ist träge, sie kann nicht kurzfristig zurückgefahren werden, wenn erneuerbare Energien gerade im Überfluss zur Verfügung stehen.
Wie Frankreich in diese selbstverschuldete Atomkrise rutschen konnte, wird deutlich, betrachtet man den zivil-militärischen französischen Atomindustriekomplexes. Infrastrukturen und Investitionen werden doppelt genutzt: zivil und militärisch. Sie sind auf eine langfristige Weiterentwicklung ausgerichtet, um die Infrastruktur für die Produktion von Atomwaffen und atomaren U-Booten zu sichern.
Bereits vor Beginn des Ukraine-Kriegs hatte der französische Präsident Macron der EU das Angebot gemacht, mit ihr über gemeinsame Atomwaffen zu reden. "Wir glauben", so Macron, "die französische nukleare Abschreckung ist ein Weg, europäische Interessen zu schützen."
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs scheint dieses Interesse an einer doppelten Nutzung der Atomenergie auch in Deutschland zu wachsen. So plädierten bereits hochrangige Vertreter in der CDU für europäische Atomwaffen: Im Mai 2022 nahm der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU Fraktion Torsten Frei die von Macron angestoßene Debatte in einem Gastbeitrag in der FAZ auf.
Der Titel: "In der Krise das Undenkbare denken: Europa braucht eine eigene atomare Abschreckungsstreitmacht." Frei plädierte darin für eine Europäisierung der französischen Atommacht. Anschließend griff CDU-Chef Friedrich Merz im Juni 2022 das Angebot Macrons auf: Angesichts der Weltlage sähe er in einer gemeinsamen europäischen "nuklearen Kapazität unsere Lebensversicherung". Es dürfe da "keine Tabus mehr" geben.
Im Juli 2022 äußert sich schließlich der CDU-Politiker und ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, er halte eine nukleare Abschreckung auf europäischer Ebene für unverzichtbar. Die europäische Verteidigungskapazität sei ohne die nukleare Dimension nicht denkbar. Auch der ehemalige deutsche Botschafter Eckhard Lübkemeier und andere Persönlichkeiten hatten sich zu der Idee geäußert.
So ist es nicht unwahrscheinlich, dass hinter den Laufzeitverlängerungen bis April das Kalkül steht, diese aus Interesse an einer Zusammenarbeit mit Frankreich, im zivilen und militärischen Bereich der Atomenergienutzung, auch über dieses Datum hinaus am Netz zu halten.
Dass die Altmeiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen, wird dabei wissentlich in Kauf genommen – nicht um uns selbst vor einem Blackout zu bewahren, sondern um Frankreich weiter mit Strom zu versorgen und sich die Möglichkeit offenzuhalten, an einer europäischen Atombombe mitzuwirken.
Dr. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin und Ko-Vorsitzende der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW) sowie Präsidentin der IPPNW Europa.