Strickmuster erkannt
"Pattern Recognition": William Gibson gehen die Zukünfte aus
Cayce Pollard ist Trendscout. Sie ist allergisch gegen Branding. Was bei Naomi Klein der Intellekt abzuarbeiten versucht, erledigt bei ihr der kranke Körper. Wenn sie den Michelin-Mann sieht, packt sie die Panik. Die Logo-gesättigten Lounges der Business-Class zwingen sie wimmernd in fötale Position. Ihre spezielle Sensitivität verhilft ihr allerdings zu einem gut dotierten Job. Sie soll, im Auftrag des Werbeagenturmagnaten Hubertus Bigend, eine Person finden, die Clip für Clip ein mysteriöses Videokunstwerk im Internet verbreitet. Schlagwörter: Virales Marketing, Community-Building, Branding-Strategien.
Cayce Pollard würde sich bei der Lektüre von "Pattern Recognition", des neuen Romans von William Gibson, dessen Heldin sie ist, leise kreischend noch etwas weiter in den gepolsterten Kokon ihres Business-Class-Sessels zurückdrücken, denn Stil und Versatzstücke des Autors Gibson gerinnen in diesem Produkt endgültig zur Marke Gibson.
Ein Re-remix aus früheren Büchern
Damit ist nicht gemeint, dass der Autor rechtzeitig zum Start des Romans ein Webtagebuch eröffnet hat, was in Marketing-Kreisen wahrscheinlich immer noch als dernier cri gelten dürfte, sondern die modulare Wiederverwertung gibsonoider Topoi, die den Leser unwillkürlich zum Bücherregal gehen lässt, um zu überprüfen, ob sich auf den Titelbildern von "Neuromancer" oder "Idoru" nicht doch irgendwo der "grüne Punkt" versteckt haben könnte. Man halluziniert förmlich den Werbespot herbei, in dem zwei kleine Heyne-Taschenbücher einem als Cyberpunk-Billy-Idol verkleideten Uwe Ochsenknecht in einer dunklen Gasse auflauern und darum betteln, zu einem neuen Roman recycelt zu werden.
Es ist nämlich wirklich alles da, was schon mal dagewesen ist. Cayce Pollard ist ein Re-remix aus Colin Laneys organisch-automatischer Popkultur-Netznavigationsfähigkeit in "Idoru" und, vor allem, Marly Kruschkowa, die in "Count Zero" im Auftrag des superreichen Sammlers Josef Virek nach dem Ursprung künstlerischer Artefakte sucht - inklusive dem typisch Gibsonschen Aschenbrödel-Moment, in dem die in desorganisierter Intellektuellenarmut lebenden Protagonisten mittels wunderbarer Auserwählung und Platin-Kreditkarten ins Reich des internationalen Jet Set emporgehoben werden. Dazu noch das übliche Personal aus japanischen Otaku, Mafia-Russen und Industriespionen.
"Pattern Recognition" ist nicht mehr nur Gibson, es ist GibsonGibson(tm), ein Konstrukt aus bereits vorhandenen Text- und Motivbausteinen. Literatur als Quake-Level, in dem die bekannten Texturen immer wieder auftauchen, gegeneinander verschoben werden, verwirrende Gleichförmigkeit erzeugen, wieder in künstlichem Nebel verschwinden. Verändert hat sich höchstens das klassische Flechtmuster der Gibson-Romane. Anstatt zweier oder dreier Handlungsstränge, die kunstvoll gegeneinander ausgespielt werden, gibt es nur noch einen einzelnen linearen Ablauf.
Schlechte Rahmenbedingungen für Utopienproduktion
Scheitert der Autor aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen? In den schnellen 90ern konnte Gegenwartsliteratur nur noch als Science Fiction geschrieben werden. In den 2000ern herrscht bisher - in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht - der bleierne Regress. Wo die Rumsfelds und Bin Ladens den Ton angeben, wird Zukunft unvorstellbar, das Band der Zeit winselt in schrill jaulendem Rewind, denn die Play-Taste ist zwar noch gedrückt, aber es geht trotzdem nur noch rückwärts. Der berühmte Match-Cut, der in Kubricks "2001" in einem Wimpernschlag vom rotierenden Knochen zur Raumstation umschaltet, müsste heute in umgekehrter Richtung montiert werden. Statt luzider Science Fiction regiert stumpfer Fantasy-Eskapismus.
Der Standort Erde bietet momentan also schlechte Rahmenbedingungen für die Utopienproduktion, wovon auch Marktführer wie Gibson nicht verschont bleiben. Er kommt mit seinem Zukunftsbaukasten in der Gegenwart an, deren Rezeption er immerhin selbst maßgeblich mitgestaltet hat, was für einen Schriftsteller eine zugleich schmeichelhafte wie irritierende Situation sein dürfte. Die Gibsonwelt scheint ihren Schöpfer aber nun nicht mehr zu brauchen und dieser zieht sich aus der Zukunftsproduktion in die bloße Deskription der Gegenwart zurück.
Während Gibsons Bücher in der Vergangenheit eine wahre Fundgrube für jeden Trendscout gewesen waren, ist es in "Pattern Recognition" genau umgekehrt. Gibson verheddert sich im Dickicht kruder High-Street-Fashion-Theorien und Berater-Jargons des vergangenen Jahrzehnts und sagt uns nichts Neues mehr. Das aber ist eine Todsünde, speziell für Gibson. Stil und Sprache sind gewohnt süffig, aber die forciert wirkenden Neologismen lassen nichts mehr auf der Großhirnrinde prickeln. "Pattern Recognition" ist ein feines Badewannenbuch, aber der Marat-Effekt bleibt leider aus. Es geht nicht mehr direkt ins Herz. Bedauerlich.